40 Jahre und kein bisschen leiser

Nicht vom Winde verweht: Open Air feiert stürmisches Jubiläum / 17 Bands, 2.000 Besucher

„Visdom“ aus Mainz ließen die Hauptbühne beben. Später erledigte das der Wind – am Samstag musste aus Sicherheitsgründen auf die Seitenbühne ausgewichen werden.
(Fotos: R. Dörhöfer)

 

FLÖRSHEIM (drh) – Nach 40 Jahren Open-Air-Erfahrung lässt sich das 100-köpfige Helferteam rund um die Old Company (OC) auch von Sturm- und Orkanwarnungen nicht abschrecken. Schon im Vorfeld des Festivals vom 24. bis 26. Juli wurden alle Helfer auf die angekündigten Turbulenzen vorbereitet, und so hieß es an allen Bauzaunverkleidungen „Leinen los“, als kurz vor Mitternacht die ersten Windböen den Platz an der Mainbrücke erfassten. Flink packten Helfer wie Gäste mit an und brachten die wenige Stunden zuvor noch benötigten Sonnenschirme in Sicherheit. Die eigens fürs Jubiläum erstellten Holzskulpturen legten die Helfer aus Sicherheitsgründen zu Boden und für wen es dann noch nicht Zeit war, nach Hause zu gehen, der suchte unter der Mainbrücke Schutz vor Regen und Wind.

Für den „Headliner“ des Abends „Simeon Soul Charger“ blieb sodann nur die Hälfte der eigentlich angedachten Bühnenzeit, denn spätestens als der Regen auf die Bühne peitschte, war für die gebürtigen Amerikaner, die derzeit in Bayern leben, Schluss mit der Vorstellung. Zuvor schon hatten die Bands „Dirty Flamingos“ aus Darmstadt, „Visdom“ aus Mainz und „Mandrax Queen“ aus Bamberg die Bühne gerockt.
Als allererstes stand jedoch Lokalmatador „Handkäs Ede“ aus der Nachbarstadt Rüsselsheim auf der Bühne. „Handkäs Ede“ übernahm nach seinem eigenen Auftritt auch gleich die Bühnenmoderation und das Ansagen der Bands. „Im Jubiläumsjahr haben wir etwas mehr Budget in die Bands investiert“, erklärte Lucia Kreuzer von der ausrichtenden Old Company. Es spielten stolze 17 Formationen, bei der Premiere vor 40 Jahren waren es gerade mal zwei Bands. Wenn das Angebot somit doch umfangreicher geworden ist, am Grundsatz „umsonst und draußen“ hält die Old Company nach wie vor fest. Nicht nur das Angebot an Bands ist vielfältiger geworden, auch kulinarisch hat sich das Spektrum erheblich verbreitert. Neben der klassischen Bratwurst, die es auch vor 40 Jahren schon gab, finden sich heute auch vegetarische und sogar vegane Speisen auf der Karte.
Dass eine ganze Familie ins Open-Air-Geschehen involviert sein kann, zeigt das Beispiel von Familie Haug. Wo sich vor über 20 Jahren zunächst nur Sohn Sebastian engagierte, werkeln heute neun Familienmitglieder vom Enkel bis zu den Großeltern mit. „Wir beschäftigten uns im gesamten Jahr mit dem Open Air“, meinte Lucia Kreuzer (geb. Haug), die im Infozelt Dienst schob und ihre Familienangehörigen aber auch im Cafézelt oder hinter einer der Essenstheken fand. Die Haugs lagern beispielsweise Material, basteln Dekorationen, prüfen Strom- und Technikequipment, fertigen Ausweise oder backen Haddekuche für das Bembelmobil. Das Spektrum der Haug'schen Aktivitäten ist seit über 20 Jahren so vielseitig wie das Open Air selbst.

Seit 1983 unter der Brücke
Von 1976 bis 1978 bot das Forum an der Stadthalle den Rahmen für die Rockfestivals, bevor von 1979 bis 1981 auf der Mainwiese hinter dem Bootshaus gefeiert wurde; 1982 war das einzige Jahr, in dem die Veranstaltung aufgrund der Witterung in der Stadthalle gefeiert wurde. Ein Jahr später hatte das Festival seinen Bestimmungsort unter der Brücke am Mainufer gefunden.
Nach 40 Jahren Festivalgeschichte tummelte sich am Wochenende ein buntes Publikum aller Altersklassen. Von den jüngsten Sprösslingen mit Ohrenschützern, über junge Teenies, den ein oder anderen Punk, Schottenrockträger oder Festivalfreak bis hin zum jung gebliebenen Oldie, der sich vor 40 Jahren dem bunten Treiben hingab, abtanzte und einst gegen das Leben in der konservativen Kleinstadt aufbegehrte. Am Samstagmorgen verschärfte das OC-Team die Sicherheitsmaßnahmen noch einmal, hängte viele Dekorationen gänzlich ab und sicherte manch Zelt noch mit zusätzlichen Heringen oder Spanngurten. Zudem wurde die große Hauptbühne unter der Mainbrücke gesperrt und die geschütztere Seitenbühne genutzt.
Am Mittag eröffneten die Rüsselsheimer „Iron Guns“ mit Hardrock dann die Bühnenshow auf der windgeschützten Seitenbühne. Es folgten „King Ludwig“, die Eppsteiner Sing- und Songwriterin Jacky Bastek, „Shaved Chewbacca“, „Magnetic Mountain“, „I.H. Ska“ und „Ruby Shock“, bevor die „Old Company Allstars“ ihr Bestes gaben. Zehn Musiker aus dem Umfeld der OC hatten sich vor einem halben Jahr zusammengefunden, um ihrem Lieblingsfestival von der Bühne aus zu gratulieren. Die Truppe präsentierte ausgewählte Cover-Songs von Deep Purple bis Eric Clapton.
Die „Nitrogods“ waren die ersten Musiker, die mit der einsetzenden Wetterberuhigung am Samstagabend wieder auf der Hauptbühne spielen konnten: „roh, dreckig und hart“ ging es in der Drei-Mann-Truppe zur Sache. Absoluter Höhepunkt im Festivalprogramm war der Auftritt von „Vintage Caravan“. Die jungen Isländer, die sich bereits im Alter von 12 Jahren im Jahr 2006 als Rockgruppe gefunden hatten, gehören mittlerweile zu den ganz Großen im Rockgeschäft. Im vergangenen Jahr gastierten sie in Wacken und auch jetzt machten sie in Flörsheim nur im Rahmen einer großen Europa-Tournee Station. Am Sonntag gaben die „Super Hard Boys“ aus Köln und „The Tips“ aus Neuss noch ein Gastspiel.
Insgesamt genossen etwa 2.000 Besucher das Jubiläumsfestival, das mit einem Feuerwerk am Samstagabend ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk bekam. Der Festivalinitiator und Chronist des Open Air, Peter Becker, bezahlte die besondere Überraschung aus eigener Tasche. Und die Tatsache, dass viele Festivals im Umfeld (Mainz und Schwalbach) aufgrund der Wetterbedingungen gänzlich abgesagt wurden, stimmte alle OC-Fans trotz der schwierigen Bedingungen froh: „Da haben wir wieder einmal Glück gehabt!“

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