Blau-rote Festtage in Flörsheim

Kleiner Jahrgang mit großen Aufgaben / Absage an Kerbeverein, Festhalten an Jahrgangskerb

Lange feierten die Kerbetanzbesucher im Gemeindezentrum. Mit dabei das Ehepaar Bergmann, das sich vor 50 Jahren auf einem Kerbetanz im Gasthaus Hirsch kennen- und lieben gelernt hatte und Jahr für Jahr den Kerbeborsch die Treue hält.
(Fotos: R. Dörhöfer)

 

FLÖRSHEIM (drh) – Kerbeborsch zu sein ist manchmal ein ganz schöner Kraftakt. Schon beim Baumholen am frühen Samstagmorgen, 17. Oktober, im Flörsheimer Wald stellten die vierzehn jungen Burschen des aktuellen Jahrganges schnell fest, dass zum Kerbeborschdasein mehr gehört als das Posieren mit Anzug, Krawatte, Kappe und Schärpe. Meter um Meter bewegten die jungen Burschen den gefällten Riesen mit dem mächtigen Stamm in Richtung Ladewagen. Selbst ein Kürzen des mächtigen Stammes mit der Kettensäge und das Zupacken einiger Exe erleichterte dem aktuellen Jahrgang die Schwerstarbeit nur ein wenig. Müde vom Vorabend und geschafft von den Strapazen im Wald warteten dann am Mainufer aber schon die nächsten Herausforderungen, und so wurde selbst das Befestigen der Lichterkette oder das Ausrichten der Leiter am Baum zur Mammutaufgabe. Der Stamm des Kerbebaumes war gar so mächtig, dass er nur knapp in die Halterung am Gasthaus „Hirsch“ passte. Die sonst üblichen Schrauben mussten durch längere ersetzt werden. Kaum war der Kraftakt vollbracht, waren im Gemeindezentrum letzte Handgriffe für den abendlichen Kerbetanz zu verrichten.

Um 16 Uhr stand zunächst aber die Eröffnung des Kerbeplatzes an. Während sich der Saal des Gemeindezentrums am Abend mit Besuchern stetig füllte, fehlte jedoch ein städtischer Vertreter zum Fassanstich. Bürgermeister Michael Antenbrink hatte sich entschuldigt und eigentlich sollte Erster Stadtrat Sven Heß den Part übernehmen. Doch er war nicht da, und so half Kaplan Wojciech Kaszczyc gern aus. „Er vertritt dieser Tage ja schon den Pfarrer, da kann er auch für den Bürgermeister und den Ersten Stadtrat einspringen“, hieß es im Saal und tatsächlich machte Kaszczyc seinen Job gut und leerte sein wohlverdientes Glas Apfelwein in einem Zug. Nur der Fassstopfen hatte dem Jahrgang Probleme bereitet, erst als ein Exkerbeborsch berherzt eingriff und mit dem Hammer gegen den Stopfen schlug, löste sich der Holzstopfen und das Zapfen am Fass konnte fortgesetzt werden.

Kerbevadder Fabian Eufinger hatte in seiner Kerberede verkündet: „Ein Kerbeverein wird es nicht geben, solange wir in Flerschem leben“, und damit ein Festhalten an der Jahrgangskerb bekundet. Unumstritten ist aber ein Rückgang der Zahl an aktiven Kerbeborsch erkennbar.

Schöne Erinnerungen
Vor 30 Jahren, 1985, war der Jahrgang 37 Mann stark. „Wir waren zwar ein extrem großer Jahrgang, doch auch die Jahrgänge über und unter uns waren um die 30 Personen“, erinnerte sich der damalige Kerbevadder Andreas Sahm, der seine Truppe über Zeitungsanzeigen zum Jubiläumstreffen am Freitagabend ins Joffche geladen hatte. Immerhin kam etwa ein Drittel des Jahrganges zusammen, um sich an die alten Zeiten zu erinnern, Fotos anzuschauen oder gar ein Originalplakat hochleben zu lassen. Für sieben Mark Eintritt war ein Besuch des Kerbetanzes in der Stadthalle damals möglich. „Es waren rund 1.000 Besucher in der Halle. Alle Altersklassen waren dabei“, erinnerte sich Sahm, der aber auch die eher unschönen Zusammentreffen mit Leuten des „Presswerks“ aus Rüsselsheim nicht vergisst. „Bei unseren Kerbeveranstaltungen stand teilweise eine Hundertschaft an Polizisten vor der Tür und unsere Eltern waren extrem besorgt“, sagte Sahm. „Wir stellten den Gesellen aber auch schon freiwillig ein paar Bierkästen ins Freie, um den Frieden zu wahren. Bis auf wenige Ausnahmen ging es auch friedlich ab“, so Sahm. „Alles in allem eine schöne Zeit“, meinten die Herren, die zum Teil schon die eigenen Söhne durchs Kerbeborschdasein geführt haben.

„Viele von uns kommen später, müssen die Kinder erst noch zu Bett bringen“, hieß es am Tisch der Kerbeborsch 1993/1997. Die grün-gelben Exkerbeborsch um den ehemaligen Kerbevadder Tobias Gall feierten 20-jähriges Jubiläum. „Wir waren für die damaligen Zeiten ein eher kleiner Jahrgang mit 21 Burschen und hatten es daher nicht ganz einfach. Die Konkurrenz unter den Jahrgängen war auch noch größer als heute“, erinnerten sich die Ehemaligen, die ein Schwein namens Rudi als Maskottchen hatten, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach den Feierlichkeiten im Gasthaus Joffche verzehrt wurde. Auch die Kerbeborsch des Jahres 1983 erinnerten sich an ihre Kerbetage am Freitagabend im Joffche. Sie hatten – eine Premiere – einst Bürgermeister Wolf zum Kerbeumzug zu Hause in der Gallusstraße abgeholt; sie erinnerten sich, wie auch der 30er-Jubiläumsjahrgang, noch an den knauserigen Stadthallen-Wirt Westermann zurück: 40 Mark habe dieser für eine Kiste Bier verlangt.

Persönliche Kerbetradition
„Wir sind den Kerbeborsch seit 50 Jahren treu, haben diese in ihrem Brauchtum bei mehr als 100 Veranstaltungsbesuchen unterstützt“, zog das Ehepaar Christel und Wolfgang Bergmann am Samstagabend Bilanz. Vor 50 Jahren hatten sich die beiden im Gasthaus Hirsch einst kennen- und liebengelernt und seitdem lassen sie keinen Kerbetanz und Nachkerbetanz aus. „Es ist für uns Tradition“, sagte Christel Bergmann, die noch die mahnenden Worte des Hirschwirtes in den Ohren hat, habe die Saaldecke beim damaligen Kerbetanz doch bedrohlich gewackelt. „Eine Saalheizung gab es noch nicht. Ein Kohleofen wummerte, dass die Ofenrohre glühten“, so Wolfgang Bergmann, der sich auch das 50. Tänzchen mit seiner Frau nicht nehmen ließ. „Wir lieben die Band Don't Stop. Die haben sieben Jahre lang bei uns zu Hause ihre ersten Proben gehalten“, so die Bergmanns, die auch in Zukunft, solange es die Gesundheit zulässt, an ihrer persönlichen Kerbetradition festhalten wollen.

Die Burschen ernannten Bürgermeister Michael Antenbrink am Rathaus zum Ehrenkerbeborsch, der gemeinsam mit Kaplan Kaszczyc in der Kutsche unter Begleitung des Musikvereins und im Beisein vieler Exkerbeborsch zum Kerbeplatz chauffiert wurde. Viele Familien nutzten den Kerbesonntag, um ihren Kindern Karussellfahrten zu spendieren, und am Abend lockte der Glühwein. Nachdem es erneut an dauerhaftem Strom für die Kerbebaumbeleuchtung fehlte, gab der benachbarte Süßwarenstand kurzerhand eine Steckdose für den Kerbebaum frei. Kerbebopp „Melanie“ konnte somit auch im Dunkeln noch lange die Wacht über den Kerbeplatz halten.

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