Von Entwarnung darf nicht die Rede sein

Deutsche Flugsicherung widerspricht Deutschem Fluglärmdienst: Lufthansa-Cargo-Maschine flog nicht zu niedrig

Der gegen 14 Uhr über der Kreuzung Weilbacher Straße/Rheinallee gemessene Fluglärm war mit 88 dB(A) überdurchschnittlich hoch.
(Grafik/Datensatz: DFLD)

FLÖRSHEIM (noe) – Wirbel im doppelten Wortsinn verursachte eine Boeing 777 der Fluggesellschaft Lufthansa Cargo, die mit dem Ziel Landebahn Nordwest am 31. März um 14 Uhr das Stadtgebiet überflog. Es kam nämlich erstens zu einem erneuten Wirbelschleppenvorfall, nach 28 dokumentierten Ereignissen dieser Art seit Inbetriebnahme der Landebahn Nordwest am 20. Oktober 2011, und zweitens, wie der Tagespresse zu entnehmen ist, zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen der DFS (Deutsche Flugsicherung GmbH) und dem DFLD (Deutscher Fluglärmdienst e. V.).

Die in Langen sitzende DFS befasst sich als Teil der Luftverkehrsverwaltung des Bundes unter anderem mit der Flugverkehrskontrolle des Luftverkehrs in Deutschland. Eigentümerin des Unternehmens ist die Bundesrepublik Deutschland. Der im Jahr 2002 gegründete DFLD dagegen erfasst und dokumentiert den, wie sein Name verrät, vom Luftverkehr verursachten Lärm. Der eingetragene und als gemeinnützig anerkannte Verein mit Sitz in Mörfelden-Walldorf betreibt, im Bundesgebiet oftmals im Auftrag von Städten und Gemeinden, mehr als 600 Fluglärm-Messstationen in 50 Regionen und sieben Staaten. Auch in Flörsheim ist der DFLD aktiv: an der Kreuzung Weilbacher Straße/Rheinallee misst er im Auftrag des Vereins „Für Flörsheim“ den dort auftretenden Fluglärm, außerdem werden für die Stadt mittels einer digitalen Videokamera die bei Ostbetrieb über das Stadtgebiet führenden Anflüge dokumentiert.
Sowohl die von der Messstation am 31. März gegen 14 Uhr erfassten Daten als auch das von der Kamera aufgenommene Bild der Lufthansa-Cargo-Maschine belegen aus Sicht des DFLD, dass dem Wirbelschleppenereignis ein Zwischenfall respektive eine Unregelmäßigkeit während des Überfluges vorausging. Mit einer auf den entsprechenden Datensätzen – es handelt sich um die vom Flugzeug gesendeten Transponderdaten – beruhenden Grafik visualisiert der DFLD die zeitweise deutliche Unterschreitung der Ideallinie des Anflugwinkels (3,2 Grad) und die zugleich registrierte starke Beschleunigung. Zugleich stieg der Fluglärm in Höhe der Messstation auf 88 dB(A). Die Daten bestätigen die Aussagen von Augenzeugen des Wirbelschleppenvorfalls: sie berichteten von einer bedrohlich niedrig fliegenden, überaus lauten Maschine.

Dagegen behauptet die DFS, sämtlichen Daten und Bildern der DFLD-Messstation sowie allen Zeugenaussagen widersprechend, dass es während des betreffenden Überfluges zu keiner Auffälligkeit gekommen sein kann: die dem (Bundes-)Unternehmen vorliegenden Radardaten würden beweisen, dass die über Flörsheim einzuhaltende Flughöhe zu keinem Zeitpunkt unterschritten worden sei.

Unkontrollierbar
Was ist nun richtig? War die Boeing 777 ein „Tiefflieger“ oder nicht? Fakt ist: sie hat eine Wirbelschleppe verursacht, die von dem Dach eines Hauses in der Riedstraße mehrere Ziegel abdeckte, welche einen Carport durchschlugen und auf dem Boden zerschellten. Glücklicherweise kamen die Bewohner mit dem Schrecken und dem erwähnten Sachschaden davon.

Der Vorfall macht jedoch deutlich: in Flörsheim bleibt die aus der Luft kommende Gefahr für Leib und Leben bestehen. Gerade wenn es, der felsenfesten Überzeugung der DFS gemäß, richtig sein sollte, dass unmittelbar vor dem Wirbelschleppenvorfall alles normal abgelaufen ist, darf von Entwarnung nicht die Rede sein. Denn dann steht, von der DFS attestiert, fest, dass die Situation unkontrollierbar ist. Dann ist auch zu konstatieren, dass trotz korrekten Anfluges auf die Landebahn Nordwest mit einem Wirbelschleppenvorfall gerechnet werden muss. Es würde bedeuten, dass die Stadt einem willkürlich auftretenden Phänomen ausgeliefert ist, das unterschiedliches Zerstörungspotential birgt und das sich eben doch nicht alle 10 Millionen Jahre nur einmal ereignet.

Die Stadt und der Verein Für Flörsheim raten Hausbesitzern aus gutem Grund zur Teilnahme am Dachklammerungsprogramm. Je mehr sich dazu entschließen, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, von einem herabstürzenden Ziegel – etwa während eines Spaziergangs – getroffen zu werden. Es wurde jedoch mehrfach bezeugt, dass Wirbelschleppen auch in Bodennähe eine beachtliche Kraft entfalten können. Bei dem bislang schwersten Vorfall, geschehen vor fast genau drei Jahren in der Plattstraße, wurden nicht nur zahlreiche Ziegel vom Dach geschleudert, die Wirbelschleppe warf auch einen im Innenhof stehenden schweren Sack Blumenerde um. Leider ist es wohl so: auch in einem Flörsheim mit sicheren Dächern werden Überflüge immer wieder für Wirbel sorgen.

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