Glockenklang in ökumenischer Einigkeit

Viele Besucher aus Nah und Fern strömten zum Premierengeläut nach St. Gallus und erlebten einen ergreifenden Festakt

Über 400 Menschen kamen, um der Jährung des 350 Jahre alten Versprechens beizuwohnen.
(Fotos: R. Dörhöfer)

FLÖRSHEIM (drh) – Auf die Sekunde genau schalteten Pfarrer Sascha Jung und Küster Wilhelm Bachmann die einzelnen Glocken von St. Gallus zum Stadtgeläut. Ein leichter Knopfdruck auf die Funkfernbedienung genügte, um Gloriosa und ihre sieben Geschwister von St. Gallus am Gelöbnistag zum Läuten zu bringen.

Mehr als 400 Flörsheimer hatten sich am Donnerstagabend,28. Juli, auf dem Gallusplatz versammelt, um das erste Läuten der beiden neuen Glocken im Gesamtgeläut nicht zu verpassen. Glockenfans aus ganz Deutschland und gar aus der Schweiz hatten sich ebenfalls auf dem Platz eingefunden, um das außergewöhnliche Ereignis digital festzuhalten, um dann in entsprechenden Internetforen über den Flörsheimer Glockenklang zu fachsimpeln. „Ich bin überglücklich. Habe Freudentränen in den Augen. Gloriosa klingt einfach wundervoll sanft“, so die Empfindungen von Glockengießer Hanns Rincker.

Beide Pfarrer im Gespräch
Zum Stadtgeläut läuteten nicht nur die acht Kirchenglocken von St. Gallus, sondern insgesamt 16 Glocken in ökumenischer Eintracht, und so sprachen Pfarrer Sascha Jung und Pfarrer Martin Hanauer in der sich anschließenden Talkrunde auch gemeinsam zum 350-jährigen Jubiläum zum Verlobten Tag. Der ZDF-Moderator Andreas Klinner befragte die beiden Pfarrer wie auch den ehemaligen Landrat Berthold Gall zur Zukunftsfähigkeit des Verlobten Tages und blickte mit seinen Talkgästen zurück auf die Geschichte des großen Flörsheimer Feiertages. „Wir müssen den Verlobten Tag zukunftsfähig machen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft überein bringen“, sagte Pfarrer Sascha Jung, der sich über die große Anteilnahme an den Jubiläumsveranstaltungen freut. Für Pfarrer Hanauer, der seit 29 Jahren am Verlobten Tag teilnimmt, ist das Feiern des Gelöbnisses ein Baustein des sozialen Engagements in Flörsheim. Viele Ehrenamtler, die sich bei Besuchsdiensten, in der Flüchtlingsarbeit, in der Kleiderkammer oder bei anderen sozialen Einrichtungen engagierten, schöpften Jahr für Jahr aus der Teilnahme am Verlobten Tag neue Kraft und Inspiration für ihr Tun. „Der Verlobte Tag hält den Funken des Glaubens wach“, so der evangelische Pfarrer, der sich bei einer ersten Besprechung zur Vorbereitung des Jubiläums nichts sehnlicher wünschte, als dass katholische und evangelische Christen gemeinsam auch das Brot Jesu teilen könnten. Die Besucher auf dem Gallusplatz kommentierten die Aussage mit Applaus, wenngleich bekannt ist, dass in diesem heiklen Punkt der Ökumene die offiziellen Hürden nicht einfach umgangen werden können.

Seit etwa 50 Jahren nimmt die evangelische Gemeinde an den Feierlichkeiten des Verlobten Tages teil, und Berthold Gall sieht hierin gar eine Fortschreibung einer ganz alten Tradition. Einst hätte auch die jüdische Gemeinde das Gelöbnis mitgefeiert. Jung ergänzte, dass im vergangenen Jahr gar auch Nichtchristen, die als Flüchtlinge in Flörsheim nach einer neuen Heimat suchten, an der Prozession teilgenommen hätten. Andreas Klinner fragte sodann auch, wie die Kirche aktuell auf den Terror im Land und die zunehmende Islamophobie antworten könne. Hanauer sprach sich hier für die Integration von Fernstehenden aus. Viele der Täter hätten ein Leben im Abseits geführt, und so seien Christen dazu aufgerufen, auf isoliert lebende Menschen zuzugehen, um Gemeinschaft zu suchen. Er wisse aber auch, dass die Grenze zur Überforderung nicht weit sei. Ein Patentrezept habe er nicht. Für Jung liegt der Auftrag der Kirche im Haltgeben, um der Suche nach pauschalen Sündenböcken für den Terror der Welt keinen Raum zu lassen. Die Kirche habe in ihrer Geschichte Verfolgungen erlebt und sei nun mehr denn je zum Festhalten an christlichen Werten gefordert. „Wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken“, sagte Jung.

Beeindruckendes Theaterspiel
Einen plötzlich einsetzender Wolkenbruch wertete Klinner zwar als Zustimmung des Heiligen Geistes, aber dennoch flüchteten die Gläubigen ins Innere der Galluskirche. In Windeseile wurde die gesamte Mikrofontechnik umgebaut, sodass die Spielszene des Flörsheimer Amateurtheaters auch in der Kirche gut mitverfolgt werden konnte. Wolfgang Stock, der Autor des Neuen Spiels zum Verlobten Tag 1996 hatte aus dem Fundus des eigentlichen Theaterstückes eine Szene zusammengefasst, die die Gläubigen ergriff. Die Schauspieler zeigten den Zwiespalt zwischen Glauben und Hoffen auf Erlösung und dem Gefühl, von Gott verlassen worden zu sein. Es ist der junge Pfarrer Münch, der die Dorfbewohner von 1666 ins Gelöbnis einstimmen lässt, wodurch sie ihren Zorn und ihre Ohnmacht überwinden. Die Worte „Solange in Flörsheim stehet Stein auf Stein“ brannten sich auch am Donnerstag, an dem Tag, wo genau vor 350 Jahren das Gelöbnis gesprochen wurde, ins Innere der Zuhörenden. „Gänsehaut pur“, kommentierten die Flörsheimer.

Der Spielszene schloss sich eine ökumenische Abendandacht an. Der Flörsheimer Musikverein unter der Leitung von Sef Diehl begleitete die Andacht musikalisch, und spätestens, als beim „Großer Gott wir loben Dich“ die Stimmen der Gläubigen das Gotteshaus erfüllten und die Glocken eindringlich den Lobgesang untermalten, schien der typische Geist des Verlobten Tages, der über all die Jahrhunderte so viele Generationen am Gelöbnis festhalten ließ, wieder spürbar zu sein. Die Tür zum Glockenturm stand unbeabsichtigt offen, doch um so ergreifender war das Nachläuten der imposanten Glocke mit ihrem sanften Ton im Kircheninneren zu spüren. Man verabschiedete sich mit dem Versprechen, sich spätestens am Verlobten Tag am 29. August wiederzusehen.

 

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