„Kein Krieg ohne Suppenwürze“

Kriminalität im 18./19. Jahrhundert – Ausstellung im Flörsheimer Heimatmuseum

Dr. Dr. Mark Scheibe freute sich über die Überraschung, die er den Besuchern der Ausstellungseröffnung „Kein Krieg ohne Suppenwürze“ mit dem „schlafenden Soldaten“ Matthias Kroneisen bereitet hatte. ?(Foto: A. Kreusch)

 

 

FLÖRSHEIM (ak) – Dr. Dr. Mark Scheibe ist Jurist und außerdem Spezialist für die Geschichte Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, er hat sich ganz besonders mit der Kriminalität in dieser Zeit, hauptsächlich mit dem „Schinderhannes“ und dessen Strafakten, aber auch mit den Auswirkungen und Folgen der französischen Revolution für die Bevölkerung unserer Region beschäftigt. 
Für die Stiftung „Historische Kommission für die Rheinlande 1789–1815“ hat er nun die Ausstellung „Kein Krieg ohne Suppenwürze“ zusammengestellt, die in den nächsten zwei Jahren im Rhein-Main-Gebiet unterwegs sein wird und die am letzten Freitag im Heimatmuseum in Flörsheim erstmals gezeigt wurde. 
Dr. Bernd Blisch machte die etwa fünfzig Besucher der Ausstellungseröffnung in seiner Begrüßung darauf aufmerksam, dass nicht nur die Völkerschlacht bei Leipzig, die durch ihre Nachstellung aktuell gerade in allen Medien präsent war, ein Ereignis dieser Zeit war, sondern dass auch etwa die „Attacke bei Wicker“ oder das „Gefecht bei Hochheim“ historische Begriffe sind, die darauf hindeuten, dass auch die Region um Flörsheim von den Wirren dieser Zeit ergriffen wurde.
Bürgermeister Michael Antenbrink wies darauf hin, dass gerade („brandaktuell“) vor wenigen Tagen in Hattersheim archäologische Hinweise auf dort lagernde napoleonische Truppen gefunden worden waren und so sicher die Neugier auf Exponate aus dieser spannenden Zeit überall im Rhein-Main-Gebiet groß sein wird. Dr. Dr. Mark Scheibe stimmte die Ausstellungsbesucher mit weniger heroischen, dafür mehr praktischen und unverblümten Worten auf das ein, was sie in der Ausstellung erwartete: „Während ihres Rückzuges sind mehr als 200.000 Soldaten damals durch die Rhein-Main-Region hier gezogen – zum ganz großen Teil mit zerrissener Kleidung und ohne Strümpfe und Schuhe. Sie haben der Bevölkerung ihre Kleidung abgenommen wo sie nur konnten – etwa ein Hochheimer schrieb damals in sein Tagebuch: ,Ich habe nichts mehr auf dem Leib außer meinen vier Wänden.'“ Selbst vor Kloster-Schneidern machten – wie Mark Scheibe amüsant erzählte – die marodierenden Soldaten damals nicht halt. Die Kapuziner-Mönche mussten ihnen aus den im Kloster vorrätigen Stoffen eben Kutten nähen, danach machten sich bis an die Zehenspitzen bewaffnete „Mönche“ auf ihren weiteren Weg zurück nach Frankreich. „1792 kam der Krieg nach Flörsheim“, erzählte er im Heimatmuseum, „etwa 20.000 Mann waren auf dem Weg ins Elsass – keiner hatte Schuhe an und keiner hatte ein Gewehr!“ Dass es nicht einfach war, einen Krieg mit Männern zu führen, die gerade erst als Soldaten angeworben und „angelernt“ worden waren, zeigte er mit der Anekdote auf, in der er schilderte, wie französische Soldaten beim Vorrücken durch den Rhein wateten und sich wegen des Beschusses von der anderen Seite ins Wasser duckten – danach war ein Gefecht „ins Wasser gefallen“, denn die an den Gürteln befestigten Pulvertaschen waren alle nass geworden.
„Dass die Franzosen damals die Vorteile der französischen Revolution nach Deutschland bringen wollten, hat man hier nicht verstanden – es folgten 23 Kriegsjahre mit schwersten Verlusten. In Mainz zum Beispiel war nach einem Gefecht, bei dem die verheerenden Brandbomben eingesetzt wurden, kein Dach mehr ganz, ebenso wurde damals Frankfurt in Schutt und Asche gelegt. Der Kriegslärm aus den Städten war weit bis in die Region zu hören, die Feuersäulen der brennenden Städte waren weit zu sehen. Kanonen sind furchtbare Waffen, die viel Leid brachten.
In der Ausstellung kann man nicht nur Kanonenkugeln in die Hand nehmen, man kann auch eine Kriegskasse mit acht Schlössern –für die damalige Zeit „unknackbar“– bestaunen. Ebenso zu sehen sind eine „Geldkatze“ aus Leder, die man sich um den Leib band sowie feste Nagelschuhe und einen der bekannten „Tschakos“ aus Leder. Ebenfalls sehenswert eine Wildererflinte aus dieser Zeit, einen schweren Brustpanzer, die von Soldaten in der Schlacht getragen wurden, Schulterplatten für die Uniformen und viele Karten zu verschiedenen Schlachten. Bei allen Ausstellungsstücken wurden immer erklärende Texttafeln platziert. Auch viele originale Kleidungsbeispiele aus der damaligen Zeit werden gezeigt. Dr. Mark Scheibe machte dabei begeistert auf die Nähfertigkeiten aufmerksam, die damit heute gut noch demonstriert werden können: „Das ist alles mit der Hand genäht, jeder einzelne Stich!“ Sogar ein ganzer napoleonischer Soldat in voller Montur mit Flinte, Säbel und Tornister lag neben seinem hohen „Tschako“ am Tag der Ausstellung offenbar friedlich schlafend in einer Ecke im Heimatmuseum. Man hätte denken können, er läge seit etwa 200 Jahren schon dort – wenn da nicht die Steckdose neben dem Gewehr gewesen wäre. Dr. Dr. Mark Scheibe schmunzelte und freute sich daran, das die Ausstellungsbesucher den „schlafenden“ Soldaten mit seiner Uniform so genau musterten und ihn wohl für einen „Wachssoldaten“ hielten. Und die Besucher staunten dann nicht schlecht, als doch tatsächlich der Duft einer von Mark Scheibe gereichten Brezel den „Soldaten“ aus seinem „tiefen Schlaf“ holte, er wirklich ganz lebendig aufstand und die Brezel hungrig verspeiste. Die Verblüffung machte bald herzhaftem Gelächter Platz: „Das hätt' ich jetzt nicht gedacht, dass der echt ist!“, und „Ei ich hab‘ gedacht, des is e Schaufenster-Bobb!“, machten die Besucher ihrem Erstaunen sehr amüsiert Luft. Die Überraschung war gelungen! An den „Soldaten“ Matthias Kroneisen konnte man sogar Fragen zur damaligen Zeit stellen, so wusste er zu erzählen, dass sein „Chef“ Napoleon gar nicht so klein war, wie man immer denkt: „Napoleon war 1,63 Meter groß, für die damalige Zeit eigentlich ganz normal – er sah halt neben den großen Soldaten in seiner Wache dann immer ziemlich klein aus und die hohen Hüte der Soldaten machten den Unterschied optisch natürlich noch größer“, klärte der nette „Soldat“ gerne auf. 
Warum die Ausstellung den eigentlich ja merkwürdigen Namen „Kein Krieg ohne Suppenwürze“ trägt, das wussten die meisten der Flörsheimer Besucher schon aus einem interessanten und amüsanten Vortrag, den Dr. Dr. Mark Scheibe vor einiger Zeit in der Flörsheimer Kulturscheune gehalten hatte. „Weil das Schießpulver wie Suppenwürze schmeckt – ich hab' das damals in der Kulturscheune probiert, es schmeckt wirklich wie Maggi!“, erinnert sich eine Besucherin gerne an den Vortrag.
Die Ausstellung im Flörsheimer Heimatmuseum in der Hauptstraße 43 ist bis zum 2. Februar immer samstags und sonntags zwischen 14 und 18 Uhr geöffnet, an den Sonntagen werden ab 16 Uhr Führungen (3 Euro pro Person) angeboten. Gruppen, die Interesse an einer Führung an einem Wochentag haben, können sich unter der Telefonnummer 06145–4565 anmelden.
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