Land der unbegrenzten Möglichkeiten

„MVF goes USA“ – Der Musikverein 1954 Flörsheim e. V. ist Botschafter für Stadt, Kreis und Land – Teil 3: Die Rundreise

FLÖRSHEIM/LEESBURG (noe) – Goodbye New York! Nach fünf aufregenden und erlebnisreichen Tagen heißt es für die Musiker des Flörsheimer Musikvereins (MVF) Abschied nehmen. Und zwar mit einem weinenden, aber sicher auch mit einem lachenden Auge: Denn so beeindruckend und sehenswert die Mega-City am Hudson River auch ist – Amerikas nördliche Ostküste hat noch einiges mehr zu bieten; dort gibt es nicht nur betriebsame Metropolen, in denen sich Vergangenheit und Moderne kreuzen, nein, auch malerische Landschaften, beschauliche Städte und kulturell einmalige Orte prägen das Erscheinungsbild. Das wollen und können sich die weitgereisten Gäste vom Untermain natürlich nicht entgehen lassen. 

 

Der Weg führt zunächst nach Südwesten. Kaum ist die Silhouette von New York verblasst, taucht die Reisegruppe in eine liebliche, malerische Landschaft ein, in die sich der gute, alte Herbst bis über beide Ohren verliebt zu haben scheint: Als „Indian Summer“ trumpft die sich andernorts eher in Zurückhaltung übende Jahreszeit ganz groß auf. Die Gäste aus dem fernen Flörsheim dürfen sich auf eine wahre Farbexplosion, eine unbeschreiblich schöne und intensive Komposition aus Rot-, Orange- und Gelbtönen, freuen.
Aber auch Amish Village, der erste Zielort der viertägigen Rundreise, verdient das Prädikat „absolut sehenswert“. Die Region der Amish (oder: Amischen) im benachbarten Bundesstaat Pennsylvania stellt den wohl krassesten Gegenentwurf zu New York dar, den man sich vorstellen kann. Rund 250 Kilometer, eine für amerikanische Verhältnisse nicht weiter nennenswerte Entfernung, trennen zwei Lebenswelten, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Während die kosmopolitische Millionenstadt am Hudson River wie kaum eine andere Metropole die (westliche) Moderne verkörpert, gleicht die beschauliche, von beneidenswerter Ruhe gesegnete, Welt der Amischen einem dauerhaft bewohnten Museumsdorf. Die täuferisch-protestantischen Amischen führen ein Leben, das in allen Bereichen von einer sehr speziellen Gottesfürchtigkeit bestimmt wird. Das hat zum Beispiel zur Folge, dass die Amischen, den „Segnungen“ des technischen Fortschritts – gelinde gesagt – skeptisch gegenüberstehen. Sie glauben, dass eine mit den Mitteln der traditionellen Landwirtschaft bestrittene Existenz gottgewollt und daher möglichst unverändert so auch in Zukunft fortzuführen ist. Die „Engländer“ dagegen, wie sie ihre andersgläubigen Nachbarn nennen, würden sich durch ihren Lebensstil und ihre Technik-Gläubigkeit von Gott entfernen. Die Amish sind denn auch konsequenterweise nicht an das amerikanische Elektrizitätsnetz angeschlossen. Sie verharren, was Erscheinungsbild und Lebensart angeht, gewissermaßen in einer Welt, die in der westlichen Hemisphäre längst untergegangenen ist. Das hierzulande verbreitete Bild von der Pferdekutsche, die von einem Mann mit alttestamentarisch üppigem Bartwuchs gelenkt wird, entspricht zwar voll und ganz der Wirklichkeit; gleichwohl muss man angesichts von Amish Village konstatieren, dass sich die Amischen für vermeintliche Hinterwäldler ziemlich clever zu vermarkten wissen. Der geneigte „Engländer“ kann dort, vom Apfelkuchen bis zum Zwiebelmesser, echt amische Qualitätserzeugnisse erhalten – gegen klingende Münze, versteht sich. Die Amish sprechen untereinander übrigens meist Pennsylvaniadeutsch, eine mit englischen Lehnwörtern durchsetzte Sprache, die ihren Ursprung in den südwestdeutschen Herkunftsgebieten dieser seltsamen, friedfertigen Menschen hat. Also, liebe Musiker: Spitzt die Ohren!
Nach dem Besuch bei den Amischen erreichen die Flörsheimer am Nachmittag das am Atlantik gelegenen Städtchen Annapolis; dort werden die Musiker schließlich den Tag ausklingen lassen und über Nacht bleiben. Von der Beschaulichkeit des historischen Küstenortes sollten sie sich indes nicht täuschen lassen, Annapolis ist mit lediglich 36.500 Einwohnern immerhin Hauptstadt des (zugegebenermaßen nicht gerade riesigen) Bundesstaates Maryland und zudem Sitz der Marineakademie der USA (US Naval Academy).
Am nächsten Tag wartet auf den MVF mit Washington D.C. ein „kapitales“ Schwergewicht. Washington ist, was man sich ausnahmsweise leicht merken kann, seit 1800 Regierungssitz der Vereinigten Staaten. Die Kapitale am Potomac River ist wie Brasilia, Neu Delhi oder St. Petersburg eine sogenannte Planhauptstadt; sie wurde „auf der grünen Wiese“ quasi aus dem Boden gestampft. Ein gewisser Pierre Charles L'Enfant, seit dem Unabhängigkeitskrieg mit George Washington befreundet, wurde mit der Planung des neuen Regierungssitzes beauftragt. Eine Besonderheit im Stadtbild Washingtons ist das Fehlen von Hochhäusern oder gar Wolkenkratzern. Das liegt an einer etwas ungewöhnlichen, nunmehr rund hundert Jahre alten Vorschrift, laut der in Washington kein Neubau höher sein darf, als die Breite der angrenzenden Straße, wobei es allerdings eine Toleranz von exakt 6,1 Metern gibt. Die Flörsheimer haben bei ihrer ausgedehnten Stadtrundfahrt also freie Sicht auf die zahlreichen Attraktionen, darunter so bekannte Bauwerke wie das Kapitol, das Lincoln Memorial, das Washington Monument und natürlich das Weiße Haus, in dem Mr. President vielleicht gerade brisante Dokumente auswertet oder Fernsehen guckt. Oder beides zugleich, schließlich ist er ja Chef des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten.
Noch am selben Tag setzen die Flörsheimer ihren Weg zum etwa 65 Kilometer entfernten Leesburg fort. Die offiziell im Jahre 1813 gegründete Stadt im Bundesstaate Virginia kann mit Fug und Recht als „Boomtown“ bezeichnet werden. So zählte Leesburg im Jahre 1980 noch genau 8.357 Einwohner, zehn Jahre später waren es bereits 16.202 und zur Jahrtausendwende 28.311 Einwohner. In diesem Tempo ging es weiter: In der letzten Statistik (2011) ist von sage und schreibe 43.303 Einwohnern die Rede. Das Beste daran ist: Die Stadt hat ihren typischen „Virginia-Charme“ in Form von alten, hübsch restaurierten Häusern und schmucken Parkanlagen behalten – obwohl sich die Bevölkerungszahl der Stadt binnen 30 Jahren mehr als verfünffacht (!) hat. Leesburg ist die Kreisstadt von Loudoun County (rund 300.000 Einwohner), das seit 2006 mit dem Main-Taunus-Kreis durch eine Partnerschaft verbunden ist. Ein herzliches „Welcome“ ist den Musikern des MVF also gewiss. Spätestens, wenn sich nach den dort geplanten ein bis zwei Konzerten herumgesprochen hat, was die Freunde aus Flörsheim musikalisch so alles drauf haben, dürfte das Eis gebrochen sein. Die Konzerte sollen am Mittwoch und/oder am Donnerstag (19. und 20. September) stattfinden. 
Am Freitag verabschiedet sich der MVF von Leesburg und Loudoun County – die USA-Reise neigt sich ihrem Ende entgegen, noch am Abend werden die Flörsheimer von New York aus über den „großen Teich“ gen Heimat fliegen. Doch zuvor steht noch ein Besuch im 280 Kilometer entfernten Philadelphia auf dem Programm. Die mit 1,5 Millionen Einwohnern größte Stadt des Bundesstaates Pennylvania ist für die amerikanische Geschichtsschreibung zweifelsohne von herausragender Bedeutung. Wohl weniger, da nach ihr der gleichnamige Frischkäse benannt wurde; Philadelphia ist nämlich die Wiege der Vereinigten Staaten – und nicht etwa die der Doppelrahmstufe. Die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung (1776) und die Verfassung der Vereinigten Staaten (1787) wurden in Philadelphia aus der Taufe gehoben. Außerdem ist Philadelphia Heimstatt der legendären „Liberty Bell“, jener Freiheitsglocke also, die bei der ersten öffentlichen Verkündigung der Unabhängigkeitserklärung erklang und auf diese Weise – im wahrsten Wortsinn – die Nationwerdung der US-Amerikaner einläutete. Philadelphia war, was nicht weiter verwunderlich ist, einst Hauptstadt der Vereinigten Staaten – allerdings nur zehn Jahre lang (1790 bis 1800). Vor Philadelphia war übrigens New York die Kapitale (1788 bis 1790). Dies und eine Menge mehr werden die Musiker bei einer zweistündigen Stadtrundfahrt erfahren.
Mit vielen schönen Erlebnissen und unvergesslichen Eindrücken im Gepäck treten die Musiker am Abend schließlich die Heimreise nach „Good old Flerschem“ an. 
Damit ist das Ende dieser Miniserie erreicht. Man könnte auch passenderweise sagen: Die Ouvertüre ist verklungen. Was nun folgt, ist der Hauptteil, den freilich nur die Reisenden am eigenen Leibe erfahren werden. (Im besten Sinne, versteht sich.) Die Musiker des MVF fiebern schon jetzt jenen zehn Septembertagen entgegen, die zu den wohl aufregendsten ihres Vereinslebens zählen werden. 
Es ist schwer vorherzusagen, welche der vielen Reise-Stationen schlussendlich den nachhaltigsten Eindruck bei den Musikern hinterlassen wird. Kann etwa die pulsierende Weltmetropole New York die Flörsheimer in ihren sagenumwobenen Bann ziehen? Werden die weitgereisten Gäste dem kolossalen Charme der Freiheitsstatue erliegen? Oder wird die Steubenparade alles andere in den Schatten stellen? Werden vielleicht mit den Landschaften und den Leuten von Loudoun County die schönsten Erinnerungen verbunden sein? Oder wird die sehr eigene Lebenswelt der Amish den größten Eindruck hinterlassen? 
Wie dem auch sei, eines ist gewiss: Wir „Daheimgebliebene“ sind schon jetzt auf die Geschichten gespannt, die der MVF von seinem Übersee-Abenteuer zu erzählen hat.
Auch am Ende dieser Miniserie soll nicht unerwähnt bleiben, dass das in der Vereinsgeschichte sicherlich einmalige Projekt „Steubenparade/USA-Reise“ eine recht kostspielige Angelegenheit ist. Teuer ist insbesondere der Transport der Musikinstrumente, aber auch die dringend notwendige Neuanschaffung adretter, einheitlicher Kleidung ist mit hohen Ausgaben verbunden. Wer möchte, kann den Musikern mit einer Spende in selbstgewählter Höhe helfen (siehe Bankverbindung unten). Der MVF freut sich über jeden Euro, Spender erhalten übrigens eine steuerlich abzugsfähige Spendenbescheinigung.
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