Den Lebenden zur Mahnung

Beeindruckende Gedenkveranstaltung / 180 Kreuze erinnern an die Opfer des Ersten Weltkrieges

Das Flörsheimer Amateurtheater setzte nicht nur die harten Lebensumstände während des Krieges, sondern auch die dramatischen Folgen für Kriegsheimkehrer und Familienangehörige in Szene.?(Foto: R. Dörhöfer)

 

FLÖRSHEIM (drh) – Jakob Dienst, Josef Fuchs, Franz Weilbächer, Josef Hahn, Michael Luger, Ludwig Flick, Karl Langendorf, Peter Hartmann, Fritz Keller und Philipp Klepper sind nur zehn der 180 Opfer, die Flörsheim während des Ersten Weltkrieges zu beklagen hatte. Peter Becker stellte mit seinem Team am Wochenende 180 Holzkreuze auf die Wiese neben der Kriegergedächtniskapelle und erinnerte so, verbunden mit der Mahnung „Sag Nein zum Krieg“, an das Schicksal der Gefallenen.

 

Gut 300 Menschen waren der Einladung Beckers gefolgt und nahmen auf ganz besondere Weise Anteil an der Gedenk- und Mahnveranstaltung zum Ersten Weltkrieg. Der Krieg forderte in Deutschland 2 Millionen und weltweit 17 Millionen Tote. „Es waren meist junge Burschen, aber auch Ehemänner und Familienväter“, sagte Engelbert Kohl in der Begrüßung, bei der er auch die Bedeutung der roten Mohnblumen an den Holzkreuzen erklärte: „Der rote Mohn, der auf vielen Kriegsgräbern wächst, ist ein Sinnbild des Friedens. Der Mohn macht keinen Unterschied, ob Freund oder Feind unter ihm begraben liegt.“
Bürgermeister Michael Antenbrink forderte in seiner Ansprache auf, sich gegen jede Art von Gewaltverherrlichung zu stellen und zog auch einen Bogen zu den aktuellen politischen Entwicklungen in der Ukraine, im Nahen Osten und im Irak. Der Erste Weltkrieg habe sich zu einem Ausblutungskrieg sondergleichen entwickelt, in dem jegliche zivile Normen ignoriert worden seien.
Der Vorsitzende des Heimatvereins Dr. Bernd Blisch fasste die historischen Ereignisse und Abläufe des Kriegsbeginns zusammen und machte den Zuhörern damit klar, dass sich Deutschland 1914 nach 40 Jahren des Friedens innerhalb von 37 Tagen mitten im Kriegsgeschehen befand. Blisch ging gar einen Schritt weiter und verglich die Geschehnisse zum Ersten Weltkrieg mit dem kürzlichen Abschuss eines Flugzeuges in der Ukraine. Er übertrug das Handeln der politisch Verantwortlichen auf die Gegenwart und kreierte damit ein Szenario, in dem Deutschland auch heute innerhalb weniger Wochen in einen Krieg verwickelt würde. Blisch beschrieb den Irrglauben vieler junger Deutscher an einen schnellen Krieg. „Einen derart vernichtenden Stellungskrieg mit hoch technisierten, biologischen und chemischen Waffen hatte niemand erwartet“, so Blisch. Er erinnerte auch an die seelischen Verletzungen der Soldaten, nach zwei Jahren im Schützengraben sei niemand mehr dieselbe Person wie vor dem Kriegseintritt gewesen.
Auch beim Verlesen der Namen erkannten viele Anwesenden, dass es typisch Flörsheimer, Wickerer und Weilbacher Namen sind, die zum Teil auch von heute lebenden Flörsheimer getragen werden. „Stell' dir mal vor, die gäbe es jetzt innerhalb von vier Jahren alle nicht mehr“, flüsterte eine Frau ihrem Ehemann zu, als sie die ihr bekannten Namen hörte.
Pfarrer Christian Preis sprach als Flörsheimer und ehemaliger Militärpfarrer zu den Menschen und berichtete, mit welchen Eindrücken er junge Soldaten bei Besuchen von Militärfriedhöfen begleitete. „Spätestens, wenn die Soldaten durch die Grabreihen schlendern, die Namen lesen und feststellen ,die waren gerade mal so alt wie wir', kommen Gefühle hoch“, erzählte Preis, der als Kind schon erfuhr, dass der Bruder seines Opas auch zu den Gefallenen in Verdun zählte. Preis stellte klar, dass Gott niemals zur Legitimierung von Krieg missbraucht werden dürfe und forderte eine äußerste Abrüstung und Rückführung auf das Minimale, das zur Landesverteidigung gebraucht werde.

Vom Grauen gezeichnet
Das Flörsheimer Amateurtheater führte, abseits nüchterner Tagebucheinträge und Kriegszahlen, drei Szenen auf, in denen menschliche Gefühle zu Beginn, während und nach Beendigung des Krieges transportiert wurden.
Die erste Szene griff die Lebenssituation zu Kriegsbeginn 1914 auf und spiegelte zum einen die Kriegsbegeisterung der jungen Männer, zum anderen aber auch die einsetzenden Ängste und damit verbundenen Handlungen wie Hamsterkäufe wider. Die zweite Spielszene berichtete vom Leben in Flörsheim, wo die Männer schlichtweg fehlten und die Frauen den Alltag bewältigten. Schlechte Nachrichten von der Front, Todesanzeigen in der Lokalzeitung und große Ängste bestimmten das Leben. Familie Langendorf beispielsweise verlor drei Söhne im Krieg. Die dritte Szene beschrieb die Zeit nach dem Grauen und zeigte gezeichnete Kriegsheimkehrer, die dem Aufgeben nahe waren und sich keineswegs mehr einfach ins Flörsheimer Leben integrieren konnten. „Von zwei Wickerer Soldaten wissen wir, dass sie im Feld Selbstmord begangen haben. Zu den 180 Opfern zählen auch ein Jude und drei russische Kriegsgefangene, die in Weilbach bei einem Unfall verunglückten“, erklärte Peter Becker, der mit viel Herzblut die Veranstaltung organisiert hatte. Der Weilbacher Heimatforscher Wilfried Theiss ergänzte die Namen der russischen Männer zur Kriegsopferliste, könnten die Namen doch bis heute auf einem Gedenkstein auf dem alten Weilbacher Friedhof gelesen werden.

„Nie wieder Krieg“
Vor einigen Jahren hatte Becker bereits Kreuze zum Gedenken an die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges aufgestellt. Doch die aktuellen vielen kriegerischen Entwicklungen in der Welt und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren schrien doch geradezu nach „Nie wieder Krieg“. Dem jüdischen Opfer wurde kein Kreuz, sondern eine Stele mit Judenstern zum Gedenken aufgestellt. Der Gesangverein Volksliederbund trug mit „Die Rose“, „Blowin in the wind“ und „'S ist Feierabend“ musikalisch zum Nachdenken bei. Berührend auch die Beiträge von Musiker Burkhard Ilsen, der mit seiner Gitarre zwei Antikriegslieder moderner Art präsentierte. „Der Besuch der Veranstaltung war absolut lohnenswert und beleuchtete die Geschehnisse aus vielen Blickwinkeln“, lobte ein Besucher.
Peter Becker allein hätte die Veranstaltung allerdings nicht stemmen können. Ihm standen fleißige Helfer wie Heinrich Eckert und Hans Nuffer zur Seite, die beispielsweise die Kreuze zimmerten. Reinhard Lehrig half bei der Vorbereitung der Beschriftung, Peter Duchmann stellte das Lager für die Kreuze zur Verfügung und Paul Hartmann organisierte den Transport. Tatkräftige junge Helfer waren für das Einschlagen der Kreuze in den harten Boden vonnöten. Hier packten Marlon Olivari, Marco Wientgens und Lion Becker mit an. Mitglieder der Old Company halfen beim Auf- und Abbau und sorgten für die Tontechnik und Getränke. Becker selbst bezahlte die Unkosten für Material und Plakate und hätte sich von städtischer Seite mehr Unterstützung gewünscht. „Viele städtische Schaukästen blieben einfach leer“, so Becker.
Im Dezember wird ein Buch über die Schicksale der einzelnen Opfer informieren und auch die Veranstaltung vom Sonntag noch einmal inhaltlich aufgreifen. Die Kreuze werden bis zum Verlobten Tag stehen.

 

 

 

 

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