Mahnungen von bleibender Bedeutung

9. November: SPD gedenkt jüdischen Opfern der NS-Zeit / Redner betonen Pflicht zur Erinnerung und warnen vor Radikalisierung

Die „Shalom-Singers“ der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und der Klezmer-Musiker Roman Kuperschmidt (rechts) begleiteten die Gedenkveranstaltung in der Kulturscheune musikalisch.?(Fotos: A. Kreusch)

 

FLÖRSHEIM (ak) – Mit einer beeindruckenden und aufwühlenden Veranstaltung, die aber auch viele Momente der Zuversicht hatte, wurde am 9. November in der Flörsheimer Kulturscheune an die grausamen Geschehnisse während der Reichspogromnacht des Jahres 1938 erinnert. Im Namen der SPD Flörsheim begrüßte Franz Kroonstuiver die Gäste zu der Gedenkfeier unter der Überschrift: „Nie wieder Judenhass! Es geschah doch wieder im Sommer 2014 auf unseren Straßen!“

 

Nach Grußworten des Ersten Stadtrates Sven Heß und des Repräsentanten der SPD Main-Taunus, Dieter Falk, trat Vered Zur-Panzer – die junge Kommunalpolitikerin aus Bad Vilbel ist Vorstandsmitglied des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokraten in der SPD – an das Rednerpult. Vered Zur-Panzer ist Jüdin der dritten Generation nach der Shoah. Sie brachte die Bilder der schrecklichen Nacht in ganz Deutschland allen Zuhörern noch einmal in Erinnerung: „Mit Axt, Brechstange und Beinpieke zerstörte man den Berichten nach auch in Flörsheim die Synagoge und die Läden der Juden, die Synagoge wurde sogar am nächsten Tag ein zweites Mal von den Kindern zerstört – Fensterscheiben wurden eingeworfen, Möbel und andere Gegenstände auf die Straße geworfen. 1943 teilte der Bürgermeister seiner vorgesetzten Stelle endgültig mit: Flörsheim ist jetzt judenfrei.“ Für die Juden in ganz Deutschland gingen aber die Qualen und Erniedrigungen weiter. Zur-Panzer erinnerte auch daran, wie schwer es der deutschen Justiz nach dem Ende der Nazi-Herrschaft gefallen sei, die schrecklichen und ganz augenscheinlich „unrechten“ Ereignisse aufzuarbeiten: „Leute, die zuvor schon ihre Beteiligung gestanden hatten, stritten auf einmal alles ab, manche wollten nur zufällig dabei gewesen sein, andere hatten nichts gesehen. Es konnten nicht alle Täter zur Rechenschaft gezogen werden, wie sie es verdient hätten, manche wurden sogar freigesprochen.“

Alarmierende Eskalation
Als Nachkommin einer Familie, die unter dem Naziregime schwer gelitten hat, verkraftet sie Aussagen wie „was geht das uns an“, „es werden doch auch anderswo Menschen verfolgt und ermordet“ oder „wir wollen nicht schon wieder daran erinnert werden“ nur sehr schwer. „Es ist unsere Pflicht, nachfolgende Generationen zu erinnern“, so Zur-Panzer. „Wer nicht gedenkt, macht sich schuldig des Vergessens!“
Dass heute Islamismus und auch wieder Rechtsextremismus durch Deutschland „wehen“, macht ihr Angst. „Diese Eskalation zu barbarischer Gewalt ist alarmierend“, stellt Vered Zur-Panzer fest. „Schon im Hinblick auf die NSU-Morde wurde die Gewaltbereitschaft in diesen Gruppierungen unterschätzt, Radikalisierungstendenzen entgegenzutreten ist eine Aufgabe unseres Staates!“ Daher erwartet Zur-Panzer heute ein entschlossenes, präventives Handeln des deutschen Rechtsstaates gegen alle radikalisierenden Ideologien. „Es liegt an uns, dass unsere Gesellschaft nicht wieder zerreißt in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe und Weltanschauung“, ermahnte sie die Zuhörer in ihrer sehr emotionalen Rede.
Philipp und Felix Moritz von den Jusos verlasen die Familiennamen jüdischer Bürger, die während der NS-Zeit im Kreis verfolgt und ermordet wurden. Zuvor sprach man zusammen das Kaddisch, das in der jüdischen Tradition insbesondere zum Totengedenken gebetet wird.

Einmal mehr sprachlos
Flörsheims katholischer Pfarrer Sascha Jung erinnerte sich in seiner Rede an einen Besuch in der „Villa am Wannsee“, bei dem er eine Überlebende der Shoah getroffen hat. Das Gespräch mit ihr hat sich ihm eingeprägt. „Sie erzählte, dass sie sich geschworen hatte, deutschen Boden nicht mehr zu betreten und war noch immer sehr verbittert“, sagte Jung. „Aber unser sehr langes Gespräch endete auch für sie versöhnlich, als sie bemerkte, dass wir die Auseinandersetzung mit den Geschehnissen von damals suchen, dass wir ihre Sprache sprechen und uns mit ihrer Religion und Kultur beschäftigen.“ Nachdem er vor kurzem auch Yad Vashem, die Holocaust-Erinnerungsstätte in Jerusalem, besucht hat, ist er einmal mehr sprachlos, beschämt und bedrückt. „Diesen Besuch vor etwa einer Woche muss ich immer noch verarbeiten. Das, was geschehen ist, darf sich niemals wiederholen, menschliches Leben erduldet keine Fahrlässigkeit. Erinnern trägt immer auch etwas Prophetisches in sich.“
Für Pfarrer Jung ist das Gedenken im christlich-jüdischen Dialog eine Staatsbürgerpflicht, die ihm auch als Christ ins Stammbuch geschrieben ist. „Es waren auch Bischöfe, die ihre Hand zum Hitlergruß gehoben haben“, ruft er ins Gedächtnis. Für einen Bischof, der den Holocaust leugnet, sei in der katholischen Kirche kein Platz. Die Zuhörer quittierten diese Feststellung mit viel Beifall. Pfarrer Sascha Jung beendete seine Rede mit einem Zitat von Elie Wiesel: „Die Juden sind Gottes Gedächtnis und das Herz der Gesellschaft!“

Wehmut und Vitalität
Dass man dem Zusammenleben verschiedener Kulturen durchaus nicht nur düstere, sondern auch optimistische und humorvolle Aspekte abgewinnen kann, zeigte Philipp Moritz beim Verlesen eines Textes der jüdisch-deutschen Schriftstellerin Lea Feynberg aus deren Buch „Ich werd sowieso Rapper“. Wie die Berliner Lehrerin erzählt, wie sie mit Vorurteilen ihrer Schüler – die aus vielen verschiedenen Kulturkreisen stammen – umgeht, ließ alle schmunzeln.
Musikalisch untermalt wurde die Gedenkveranstaltung von den wehmütig betörenden Klarinettenklängen des bekannten jüdischen Klezmer-Musikers Roman Kuperschmidt, während die „Shalom-Singers“, der Chor der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, mit wunderbar kraftvollem Gesang eindrucksvoll die Vitalität jüdischer Kultur demonstrierten.

 

 

 

 

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