„Wir sind den Menschen verpflichtet“

Feierlicher Bürgerempfang zum Tag der Deutschen Einheit – Domkapitular Dr. Wolfgang Pax hält Festvortrag

Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger wurden im Rahmen des Bürgerempfanges ausgezeichnet. Auch die Schulbesten waren geladen.
(Fotos: R. Dörhöfer)

FLÖRSHEIM (drh) – Auch wenn zahlreiche Politiker schon bezweifelten, dass die Bergpredigt ein Vorbild für politisches Handeln sein könne, Domkapitular Dr. Wolfgang Pax trat im Festvortrag zum Tag der Deutschen Einheit am Montagmorgen, 3. Oktober, in der Stadthalle den Gegenbeweis an. „Auch wenn Staat und Kirche getrennt sind, so haben wir ein gemeinsames Ziel: Wir sind den Menschen verpflichtet“, sagte Pax, der in der Bergpredigt Jesu eine Orientierung für die Ausrichtung des Handelns im öffentlichen Leben sieht. 

Die Seligpreisungen der Bergpredigt zeigten, dass Rückgrat gefragt sei, um öffentlich zu gestalten und um nicht vor Bedrohungen einzuknicken. Dass Barmherzige selig sind, ist für den Domkapitular ein Aufruf, dass Menschen mit einem gegenseitigen Abrechnen aufhören müssen. „Wem das Wort Barmherzigkeit zu religiös ist, der ersetzt es mit Augenmaß“, so Pax, der somit auch allen Politikern zu einem Handeln mit Augenmaß riet. Augenmaß sei die Schwester des Rechts und der Gerechtigkeit. Aus der Bergpredigt erwachse die Verantwortung zum Handeln: „Die Bergpredigt ist eine Handlungsanweisung für all diejenigen, die etwas tun können. Es muss einen Weg zwischen den aktuellen Hartz-IV-Sätzen und dem bedingungslosen Grundeinkommen geben.“ Die Bundesrepublik sei ein demokratischer und sozialer Staat, der allen Menschen Schutz vor existenzieller Not gewähren müsse.

Im Hinblick auf die Eroberungskriege in der Welt sagte Pax, dass Land niemals erobert, sondern prozesshaft geerbt werden müsse. Gewalt sei keine Lösung, sondern vielmehr müssten die Verantwortlichen auf die Entwicklung an sich vertrauen und auf politische Lösungen setzen – auch wenn sie lange dauerten. Gewalt führe niemals zu einer offenen Gesellschaft. Friedensgebete und das Tragen von Lichtern und Meinungen auf die Straße hätten die Wende vor 26 Jahren herbeigeführt. „Hätte jeder allein gebetet, hätte sich nichts geändert“, sagte Pax. Gläubige und Nichtgläubige hätten im Prozess zur Wiedervereinigung gemeinsam einen friedvollen Weg aus der Diktatur gewählt. In der DDR hätten die Menschen unter der fehlenden Religions- und Meinungsfreiheit gelitten, und so sollten sich alle bewusst sein, dass gerade der säkulare Staat diese Rechte garantiere. Christen müssten wissen, dass der säkulare Staat kein Widerspruch zur Religion ist, denn im säkularen Staat könne man auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. Ein neutraler, demokratischer Staat müsse daher auch ein Einbringen von Gläubigen nicht fürchten. „Gerade die Flüchtlingskrise zeigt, dass Kirche und Staat Aufgaben gemeinsam angehen müssen“, so Pax. Schon Paulus habe mit seinen Predigten die Öffentlichkeit wach gerüttelt. Es sei falsch, alles Religiöse ins Private zu drängen, denn ein weltanschaulich offener Staat akzeptiere Religionen. Die Flörsheimer, die vor 350 Jahren im öffentlichen Raum ihr Gelöbnis ablegten und all diejenigen, die seit 350 Jahren an diesem Versprechen trotz manch politischem Gegenwind festhielten, hätten nie einen Zweifel gehabt, ob es richtig sei, Religion in der Öffentlichkeit zu leben. „Die Teilnahme am 350. Verlobten Tag war ein beeindruckendes Erlebnis“, sagte der Domkapitular.

Bürgermeister Michael Antenbrink resümierte die Geschehnisse der Wiedervereinigung. Heute herrschten in ganz Deutschland nahezu die gleichen Bedingungen. Doch die aktuellen rassistischen Entwicklungen, der Hass auf Minderheiten und demokratische Parteien müsse als Gefahr erkannt werden. „Demokratie braucht Menschen, die sich für die demokratischen Werte stark machen und Minderheiten schützen“, sagte Antenbrink. Gegenseitiger Respekt sei angezeigt, denn es könne nicht sein, dass ehrenamtliche Kommunalpolitiker sich heute schon für ihr Handeln Rechtsbeistand holen müssten.

Antenbrink schaute mit Sorge auf den Rückzug einiger Staaten aus der Europäischen Union. Eine Renationalisierung könne niemals in eine gute Zukunft führen. „Die EU war kein Wirtschaftsprojekt, sondern ein Weg zum Frieden“, mahnte Antenbrink in seiner Ansprache. In seinen Augen gehöre auch die Türkei zur Europäischen Union, selbst wenn die augenblickliche Lage in dem Land schwierig sei: „Wir müssen die Kräfte in der Türkei unterstützen, die für dieselben Werte wie wir einstehen.“ Anlässlich des fünfjährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft mit Güzelbahce sprach auch Güzelbahces Bürgermeister Mustafa Ince ein Grußwort. Er bedankte sich für die Gastfreundschaft und lud auch die Flörsheimer zu einem Besuch in der Partnerstadt ein.

Der Bürgerempfang war mit rund 350 Gästen ausgesprochen gut besucht, und Schüler der Musikakademie Flörsheim umrahmten den Bürgerempfang mit festlicher Musik. Jahr für Jahr werden im Rahmen des Empfangs verdiente Bürger der Stadt ausgezeichnet. Gemeinsam mit Stadtverordnetenvorsteher Steffen Bonk überreichte Bürgermeister Michael Antenbrink entsprechende Urkunden. Bonk oblag sodann das Schlusswort. Er betonte noch einmal die langjährige Freundschaft mit der Partnerstadt und lobte das freundliche Miteinander mit den Delegationsbesuchern

 

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