Schicksale auf 880 Seiten

Peter Becker und Team veröffentlichen Dokumentation über Flörsheimer im Ersten Weltkrieg

„In den Schützengräben des Wahnsinns schrien die Soldaten nach der Mutter oder Gott“ – so derTitel des 880-seitigen Werks zum Ersten Weltkrieg. Über schreckliche Kriegsereignisse, aber auch Freundschaften und nette Anekdoten berichtet das neue Werk von Peter Becker.

 

FLÖRSHEIM (drh) – Nicht eine einfache Broschüre und auch kein Taschenbuch, sondern das, was Peter Becker mit seinem Team über den Ersten Weltkrieg in Flörsheim nun geschaffen hat, ist ein Monument. Auf 880 Seiten im DIN A4-Format schildern der Flörsheimer Autor und all seine Mitstreiter die Gescheh- und Erlebnisse der Flörsheimer im und um den Ersten Weltkrieg aus verschiedensten Blickwinkeln und sie geben zugleich eine umfassende Dokumentation der Zeit.

 

Das Werk mit dem Titel: „In den Schützengräben des Wahnsinns schrien die Soldaten nach der Mutter oder Gott“ enthält zum einen die beiden Kriegstagebücher der Soldaten Jakob Dehn und Karl Steinebach sowie Auszüge des Bürgermeistertagebuchs von Jakob Lauck. Die Redaktionsgruppe hat zudem jedem Flörsheimer, Wickerer und Weilbacher Gefallenen ein bis zwei Seiten gewidmet und versucht, die einzelnen Lebensläufe so genau wie möglich zu schildern. Mal konnten die Forscher jedoch nicht viel mehr als die Lebensdaten zusammentragen, dann wiederum kennen sie ganze Familiengeschichten, Freundschaften und detaillierte Kriegserlebnisse. Als Beispiel nannten die Autoren die Freunde Konrad Bauer und Johann August Birlenbach. Die beiden jungen Flörsheimer Burschen kannten sich von der Arbeit, waren miteinander befreundet und zogen auch gemeinsam in den Krieg. Die beiden waren dem Musketier, Infanterie-Regiment 353, 1. Kompanie zugeteilt und kamen nach Russland, wo Konrad Bauer im Alter von 20 Jahren am 2. November sein Leben verlor. Sein Flörsheimer Kamerad Johann August Birlenbach fiel nur zwei Tage später in der gleichen Schlacht. „Da hielt die Freundschaft bis zum Tod“, meinte Hans Nuffer. Es ist sogar bekannt, dass die beiden in Russland nebeneinander begraben wurden.
Auch von anderen Flörsheimern wissen die Schreiber, dass sie in der Kriegszeit an der Front zusammengehalten haben und beispielsweise die Inhalte ihrer Pakete aus der Heimat teilten. Zu Weihnachten hätte die Flörsheimer Verwaltung allen Kriegssoldaten einmal ein Päckchen geschickt und die heute noch vorhandene Rückantwortskartei belegt, dass die Heimatpäckchen bis nach Sibirien geschickt wurden. Unter anderem soll eine Broschüre des Bürgermeisters im Paket gewesen sein. Becker und Co. recherchierten zwei Jahre lang in verschiedensten Archiven und besuchten über 100 Familien, die heute noch Materialien und Unterlagen ihrer Vorfahren besitzen.
Irene Fendt, Vorsitzende des Historischen Vereins, konnte beispielsweise einen faltbaren Christbaum auftreiben, den Wickerer einem Soldaten an die Front geschickt hatten. Der Klapp-Christbaum wie auch die Bilder aller Gefallenen sind unter anderem Bestandteil der Ausstellung, die ab dem Ersten Advents-Wochenende im Heimatmuseum zu sehen ist.
Das Buch spiegelt die Kriegsereignisse chronologisch wider. „Wir wollten und konnten irgendwann gar keine Erkenntnisse mehr weglassen. Aus all unseren recherchierten Daten ergaben sich immer wieder neue beeindruckende Geschichten und Schicksale“, so Peter Becker. Das Archiv der Flörsheimer Zeitung hätte bei der Schilderung des Lebens während der Kriegsjahre in Flörsheim sehr geholfen und schließlich seien die Todesanzeigen auch immer ein Beleg gewesen. Aber auch Feldpostkarten, Schlachtbilder aus dem Bundesarchiv in Koblenz und Auszüge aus dem Kirchenarchiv fanden Einzug im Buch.
Zum Tagebuch von Jakob Dehn hat die Heimatforschergruppe beispielsweise einen Kartenverlauf erstellt und so können die Leser schnell nachvollziehen, wie oft und weit der Flörsheimer in seiner Kriegsdienstzeit versetzt wurde. Andere wiederum aber hätten jahrelang mehr oder weniger in ein und demselben Schützengraben festgesessen. Viele Flörsheimer hätten an der Westfront gekämpft, doch manch ein Soldat vom Untermain kam auch bis nach China, in die Türkei oder eben nach Sibirien. „Wir haben auch die Gefallenen der Partnerstädte Pérols und Pyskowice aufgelistet. Zu Güzelbahce erhielten wir keinerlei Angaben“, erklärte Becker, der persönlich auch die Schicksale von Juden und Zigeunern näher beleuchtet hat. Flörsheimer Juden hätten ebenso an der Front gekämpft wie Christen und so sei der spätere Vorwurf, dass sich die Juden vor dem Krieg gedrückt hätten, schlichtweg gelogen. Der in der Obermainstraße lebende Sali Kahn sei beispielsweise fast als letzter aus der Gefangenschaft nach Flörsheim heimgekehrt. Seine Heimkehr sei mit einem Begrüßungsbanner über der Straße noch gefeiert worden, bevor Sali Kahn die Lobestrophäen wenige Jahre später aufgrund der nationalsozialistischen Anfeindungen aus Kummer und Frust im Main versenkte.
„Die Nachrichten auf den Feldpostkarten sind ungeschönt ehrlich. Immer wieder ist von Läusen, Ratten, Schlamm und verwesenden Leichen zu lesen“, erinnert sich Heinrich Eckert.
Kurt Wörsdörfer fügte die einzelnen Recherchearbeiten, die die Forschergruppe in wöchentlichen Treffen stets einander vorstellten, zum Gesamtwerk zusammen. Es arbeiteten mit: Peter Becker, Peter Duchmann, Reinhard Lehrig, Heinrich Eckert, Kurt Wörsdörfer, Hans Nuffer, Heinz-Josef Großmann, Irene Fendt, Wilfried Theiss und Franz Eberwein.
Am 11. Dezember liest auf Initiative des Heimatvereins Peter Becker mit Engelbert Kohl und Ralf Keß aus dem Werk um 19 Uhr im Flörsheimer Keller. Zudem wird Burkhard Ilsen musikalische Beiträge leisten und das Flörsheimer Amateurtheater spielt einige Szenen aus dem Programm der Gedenkfeier „Sag Nein zum Krieg“, die am 10. August an der Kriegergedächtniskapelle stattfand. Das Buch selbst ist sodann in der Flörsheimer Buchhandlung zum Preis von 25 Euro erhältlich. Die Ausstellungseröffnung findet am Freitag, 28 November, um 19 Uhr im Heimatmuseum statt.

 

 

 

 

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