Der Normalfall ist nicht in Sicht

Notunterkunft Hattersheim: Drängende Fragen müssen bei der Bürgerversammlung offen bleiben

Bei der Bürgerversammlung blieb kein Stuhl unbesetzt. MTK-Polizeichef Peter Liebeck (rechts) beantwortete Fragen rund um das Thema Sicherheit. Neben ihm waren auf dem Podium (von links) Dr. Tobias Bräunlein (Innenministerium), Bürgermeisterin Antje Köster, Andreas Koppe (Leiter Katastrophenschutz), Landrat Michael Cyriax und Dr. Johannes Latsch (MTK-Pressesprecher) vertreten.
(Foto: A. Noé)

HATTERSHEIM/OKRIFTEL (noe) – Erwartungsgemäß groß war das Interesse an der Bürgerversammlung, zu der Landrat Michael Cyriax am Mittwoch, 14. Oktober, in das Okrifteler Haus der Vereine geladen hatte, um die Öffentlichkeit über den Stand der Dinge in Sachen Notunterkunft zu informieren und offene Fragen – sofern möglich – zu klären. Letzteres sollte sich in einigen Fällen als schwierige Angelegenheit erweisen; es wurde deutlich, dass der Landrat und die übrigen Podiumsteilnehmer – namentlich waren dies Peter Liebeck (Chef der Polizeidirektion Main-Taunus), Andreas Koppe (Amtsleiter Katastrophenschutz), Dr. Tobias Bräunlein (Referatsleiter im Hessischen Innenministerium), Dr. Johannes Latsch (MTK-Pressereferent) und Bürgermeisterin Antje Köster – selbst gerne mehr wüssten: Informationen etwa über die aufzunehmenden Flüchtlingskontingente erreichen das Land, den Kreis und damit die Kommunen äußerst kurzfristig. Das kommt nicht von ungefähr, räumte doch der Sprecher der Bundesregierung unlängst ein, dass bei der Flüchtlingsthematik zurzeit „auf Sicht gefahren“ werde. Mit anderen Worten: Man stochert im Nebel herum.

Dementsprechend konnte und mochte der Vertreter des Innenministeriums keine Prognose abgeben, wie viele Flüchtlinge zukünftig noch unterzubringen und zu betreuen sind. „Hessen hat seit Anfang September 30.000 Flüchtlinge aufgenommen“, sagte Referatsleiter Bräunlein. „Ich wüsste auch gerne, wie es weitergeht.“ Der Bund habe an den Grenzen die Koordination übernommen, gleichwohl könne es weiterhin kurzfristig zu „sehr hohen Herausforderungen“ kommen. Ein Abebben des Flüchtlingsstromes sei nämlich nicht in Sicht, so Bräunlein, der dem Main-Taunus-Kreis ausdrücklich für die erbrachten Leistungen dankte und im Namen des Innenministeriums versprach, für einen reibungslosen Informationsfluss zu sorgen: „Was wir wissen, bekommen sie umgehend auch.“

Was bleibt, ist die Erfassung und Verwaltung der geschaffenen Fakten – eine umfangreiche Arbeit, die noch nicht einmal zufriedenstellend erledigt werden kann, da sich ein beträchtlicher Teil der Flüchtlinge bereits kurz nach der Ankunft wieder absetzt. So geschehen in Hattersheim: Von den 360 Flüchtlingen, die zwei Tage nach der Bürgerversammlung ankamen und Quartier in der Sporthalle am Karl-Eckel-Weg beziehen sollten, waren am Sonntag nur noch 150 in der Notunterkunft. 210 Flüchtlinge setzten sich, mit unbekanntem Aufenthalts- respektive Zielort, ab. Das ist, auf Deutschland bezogen, beileibe kein Einzelfall, sondern eher die Regel. Entsprechend beunruhigt sind viele Bürgerinnen und Bürger, sie beobachten die offenkundig außer Kontrolle geratene Situation mit wachsender Sorge. Da hilft es auch wenig, wenn, wie bei der Bürgerversammlung geschehen, etwa der Polizeidirektor des Main-Taunus Kreises zur Besonnenheit mahnt, da Straftaten erfahrungsgemäß hauptsächlich in den Notunterkünften selbst zu verzeichnen seien. Dies sei hauptsächlich mit der bedrückenden Enge in den Notunterkünften zu erklären, so Liebeck, der behauptete: „Das würde uns Deutschen auch so passieren!“ Die Polizei könne nicht für die Sicherheit garantieren, räumte Liebeck ein, werde aber alles in ihren Kräften stehende tun, um Gefahren rechtzeitig zu erkennen und abzuwehren. Es werde „in ausreichendem Maße“ Streife gefahren, außerdem werde ein – privater – Sicherheitsdienst eingesetzt, der die Sporthalle am Karl-Eckel-Weg und das dazugehörige Außengelände auch zur Nachtzeit überwacht. Mehrfach unterstrich Liebeck dabei, dass man vor den Flüchtlingen keine Angst haben müsse – sie seien mit dem Leben davongekommen und froh, nach einem strapaziösen und gefahrvollen Weg endlich in Sicherheit zu sein. Damit sprach er vielen anwesenden Bürgerinnen und Bürgern aus dem Herzen, die seine Aussagen mit kräftigem Applaus unterstützten. Ebenso viele Teilnehmer der Bürgerversammlung erreichte er jedoch nicht – sie blieben skeptisch.

Versorgung gewährleistet
Landrat Michael Cyriax warb indes um Verständnis für seinen Entschluss, den kreisweiten Katastrophenfall auszurufen. Angesichts der überaus kritischen Lage habe man schnelle und wirksame Maßnahmen treffen müssen, die nur im „Katastrophenmodus“ umsetzbar seien. Dazu gehöre eben auch die Belegung der Sporthalle am Karl-Eckel-Weg und die Reaktivierung der benachbarten Stadthalle. Es gehe darum, die „keinesfalls alltägliche Situation, dass Menschen drohen, obdachlos zu werden“, abzuwenden. Cyriax kündigte die Betreuung der Notunterkunft durch einen privaten Betreiber an, dadurch würden die Ehrenamtler, denen der Landrat ausdrücklich dankte, entlastet. Das Deutsche Rote Kreuz werde die medizinische Betreuung übernehmen, um die tägliche Versorgung der Flüchtlinge kümmere sich ein Caterer.

Gerade der gesundheitliche Zustand der Flüchtlinge beschäftigte einige Besucher der Bürgerversammlung; sie wollten wissen, was zur frühzeitigen Erkennung gefährlicher Krankheiten und gegen, sofern fesgestellt, deren Ausbreitung unternommen wird. Landrat Cyriax betonte zunächst, dass ihm keine Verdachtsfälle auf Erkrankungen vorliegen würden, die besorgniserregend seien. In Wallau – dort wurde, anders als in Hattersheim, die Notunterkunft zum Zeitpunkt der Bürgerversammlung bereits genutzt – seien die ankommenden Flüchtlinge in aller Kürze medizinisch untersucht und vereinzelt ärztlich behandelt worden.

Kompensation erlaubt Betrieb
Eine Frage, die in puncto Notunterkunft (noch immer) überall in Hattersheim zu hören ist, lautet: „Warum gerade unsere Stadt?“ Der Amtsleiter des Katastrophenschutzes Andreas Koppe beantwortete sie, indem er den Entscheidungspfad des Kreises nachzeichnete. Aufgrund hunderter Menschen, die kurzfristig unterzubringen seien, habe man sich dazu entschlossen, sogenannte Überlaufeinrichtungen – also Notunterkünfte – zu schaffen. Naturgemäß seien Hallen zu diesem Zwecke am besten geeignet. Da man aber nicht auf Hallen zurückgreifen wollte, die primär für den Schulsport genutzt werden, und da bestimmte Kriterien (ausreichende Stellfläche für Feldbetten, Nebenräume, Sanitärbereich) erfüllt werden sollten, habe sich die Zahl der infrage kommenden Objekte auf ganze vier reduziert. Die Kreissporthalle in Kriftel sei aufgrund ihrer zu kleinen Fläche und fehlender Nebenräume ausgeschieden, aus denselben Gründen (zunächst) die Sporthalle in Bad Soden. Die Ländcheshalle in Wallau und die Sporthalle, kombiniert mit der Stadthalle, in Hattersheim seien schließlich übrig geblieben.

Auf Nachfrage eines Bürgers räumte Koppe ein, dass erst umfangreiche Maßnahmen wie die Beseitigung der Brandschäden und die Wiederherstellung der Wasserversorgung einen Betrieb der Stadthalle als Versorgungsstation ermöglicht hätten. Vor allem müssten diverse Kompensationsmaßnahmen umgesetzt werden – beispielsweise muss die dauerhafte Anwesenheit eines Brandsicherheitsdienstes die defekte Sprinkleranlage ausgleichen. „Es ist gelungen, eine rechtssichere Anlage zu betreiben“, stellte Koppe zufrieden fest.

Doch wie verhält es sich mit der Sporthalle? Einen Tag nach der Bürgerversammlung wurde, wie bereits angekündigt, der Katastrophenfall aufgehoben. Im Umkehrschluss heißt das, dass der Normalfall wieder eingetreten ist. Weshalb trotzdem bis zu 500 Menschen auf engstem Raum einquartiert werden können, blieb und bleibt schleierhaft. Der Katastrophenfall ist erst dann beendet, wenn in den Kommunen Notunterkünfte obsolet werden und die Bundesregierung nicht mehr „auf Sicht fährt“.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X