Schokoladige Aussichten

Stadtmuseum als Bildungs- und Begegnungsort / Geschichtsverein informiert über Planungen

Diplom-Ingenieur Stefan Wiese von der „Real Grundbau GmbH“ aus Hofheim erläuterte den interessierten Besuchern des HGV-Infostandes die Pläne für das Stadtmuseum und den Gastronomiebetrieb im alten Sarotti-Werkstattgebäude.
(Foto: A. Kreusch)

HATTERSHEIM (ak) – Ende der letzten Legislaturperiode hatten sich die städtischen Gremien mehrheitlich und endgültig für ein Hattersheimer Stadtmuseum entschieden. Der Hattersheimer Geschichtsverein (HGV) wählte mit dem 21. Mai einen wunderbaren Tag aus, um Nachbarn, Anwohner und Interessierte über die Pläne und Konzepte des zukünftigen Hattersheimer Museums im alten Werkstattgebäude auf dem ehemaligen Sarotti-Gelände, dem jetzigen „Schokoladen-Quartier“, zu informieren. Viele Interessierte umringten den Stand am Hessendamm, an dem etliche Pläne und Zeichnungen einzusehen waren und an dem Vertreter des Geschichtsvereins und des Investors gerne Rede und Antwort standen.

Der Geschäftsführer des Investors „Real Grundbau GmbH“ aus Hofheim, Diplom-Ingenieur Stefan Wiese, erklärte, wie sich in Zukunft in dem langgezogenen Werkstattbau der ehemaligen Schokoladenfabrik das Museum und ein Gastronomiebetrieb ergänzen sollen. Auf der Okriftel zugewandten Seite des Gebäudes wird in „normaler Stahlbeton-Konstruktion“ über die ganze Länge ein eingeschossiger Anbau mit einer Glasfront entstehen, rechts zum Hessendamm hin soll es dort Platz für Gastronomie geben, aus dem linken Teil des alten Gebäudes und des Anbaus sollen etwa 540 Quadratmeter Museumsfläche werden. „Das wird kein großer Gastronomiebetrieb werden, kein Sternerestaurant; aber auch kein Bistro, sondern ein Lokal, in dem man zu vernünftigen Preisen gut essen kann“, versprach Stefan Wiese jetzt schon. „Einer der Investoren kennt sich auf diesem Gebiet gut aus, er betreibt selbst Gastronomie in Deutschland – das wird dann auch funktionieren.“ Museum und Gastronomie werden getrennte Eingänge haben – ob dazwischen Raum für Sitzgelegenheiten im Freien geschaffen wird, ist noch offen. Da der Investor auch das Nachbargrundstück in Richtung Hattersheim bebaut, wird die Belieferung von dieser Seite aus möglich gemacht, auch Parkplätze sind auf der „Hattersheimer Seite“ in ausreichender Zahl geplant.

Skepsis und Freude
Unter den Anwohnern, die zur Informationsveranstaltung gekommen waren, gab es zu den Plänen verschiedene Standpunkte: während ein Nachbar darauf beharrte, beim Kauf seines Hauses sei seitens des Bauträgers „von Gastronomie keine Rede gewesen“ und größtmögliche Rücksichtnahme einforderte, freuten sich andere Anwohner; sie betrachten den Zuzug des Museums und der angeschlossenen Gastronomie als Bereicherung ihres Wohnviertels. „Nein, das haben wir doch alle gewusst – es war doch einmal sogar von einem Hamburger-Schnellrestaurant die Rede, welches vielleicht hier hineinkommen sollte. Wir haben ja immer auf ein schönes Café gehofft, aber ein Lokal, in dem man mal schön essen gehen kann, ist auch nicht schlecht. Wir freuen uns total, wir haben schon so lange darauf gewartet“, meinten etwa zwei junge Mütter.

Der HGV-Vorsitzende Hans Franssen gab zu bedenken, dass das Museumskonzept schon immer auch Gastronomie in dem Gebäude vorgesehen hat. Auch Ingenieur Stefan Wiese betonte noch einmal, dass das Gebiet mit dem Werkstattgebäude von Anfang an nicht als reines Wohngebiet, sondern als Mischgebiet ausgewiesen war und dass es den Käufern natürlich möglich gewesen ist, die entsprechenden Pläne einzusehen und sich darüber zu informieren. „Auch im barrierefreien Gebäude, welches neben der Werkstatthalle entstehen wird und welches als Ärztehaus geplant ist, wird noch ein Gewerbe einziehen – geplant ist aber hier auch auf jeden Fall ein Nahversorger für das Quartier“, erklärte Stefan Wiese. Dazu könne auch etwa eine Bankfiliale oder eine Sparkasse gehören. Dennoch machten Wiese sowie die HGV-Vertreter Ulrike Milas-Quirin und Franssen deutlich, wie wichtig den Museumsbetreibern eine gute Nachbarschaft mit den Bewohnern der Schokoladensiedlung ist. „Wir werden im Museum etwa pädagogische Konzepte für die Kita-Kinder anbieten und auch die Bewohner der Seniorenresidenz gerne einbeziehen. Wir wären ja dumm, wenn wir nicht um Unterstützung aus der Umgebung werben würden“, so Ulrike Milas-Quirin. Sie hofft, dass schon Ende 2018 ein Teil des Stadtmuseum eröffnet werden kann. „Die Archäologie braucht vielleicht noch ein bisschen länger, es wird ja noch immer gegraben“, erklärte sie den interessierten Zuhörern.

Das Museumskonzept
Das Konzept des Stadtmuseums sieht vor, einen roten Faden durch die Hattersheimer Geschichte zu ziehen: von den Kelten über die berühmte mittelalterliche Handelsstraße „Via Regia“, vom Bahnhof als Motor der Industrialisierung, vom Zuzug von Gastarbeitern, Migranten und Flüchtlingen bis zur A 66 und dem Flughafen sollen die wichtigsten Einflussfaktoren Verkehrswege, Mobilität und Internationalität deutlich gemacht werden. Sarotti steht dabei stellvertretend für die Hattersheimer Geschichte von den Anfängen der Industrialisierung bis zur Gegenwart. Themenschwerpunkte sollen Schokolade („Wir werden sogar eigene Schokolade herstellen können! Ist das nicht klasse?“), das Alleinstellungsmerkmal „Sarotti-Mohr“, die Industriegeschichte und die regionale Identität der Stadt sein. Aus der Sammlung des HGV stehen dazu Objekte aus der Vor- und Frühgeschichte, aus der Stadtentwicklung und Heimatgeschichte, aus alten Handwerksbetrieben und Werkstätten, aus der Landwirtschaft und den ehemaligen Rosengärtnereien, aus der Kirchengeschichte, aus der Industriegeschichte (Zuckerfabrik Maingau, Sarotti, Cellulosefabrik Offenheimer – Phrix) und aus dem Stadtarchiv (unter anderem mit dem Nachlass von Anton Flettner) zur Verfügung.

Dabei soll das Stadtmuseum nicht nur Kultureinrichtung und Lernort, sondern mit seinem Versammlungsraum, in dem immer wieder verschiedene Sonderausstellungen ihren Platz finden sollen, auch Treffpunkt für das Wohnquartier sein. „Veranstaltungen und Gastronomie sollen neben Informationen natürlich auch Schokoladengenuss bieten“, stellt Ulrike Milas-Quirin in Aussicht. Die Schwerpunktthemen des Museums bieten dabei sehr gute Möglichkeiten für Museumspädagogik; denkbar sind etwa Erfinderwerkstätten mit Hubschrauber- und Schiffsbau zum Schwerpunkt Anton Flettner, Projekte rund um Schokolade und Ernährung zum Thema Sarotti und Workshops „Leben wie bei den Kelten“ in Sachen Archäologie.

Finanzierung und Zahlen
Selbstverständlich kam unter den Zuhörern auch die Frage nach der Finanzierung des Stadtmuseums auf. Auch hier konnten die Vertreter des HGV konkrete Zahlen vorweisen. Demgemäß sei die Finanzierung – unter anderem mit einer über 10 Jahre kontinuierlich zugesicherten Spende in Höhe von 12.000 Euro und mit Förderbeträgen aus Landesprogrammen für privatrechtliche Museen – kein Problem. „Das Projekt wurde schon einmal als förderwürdig angesehen, und obwohl damals die 60.000 Euro Fördersumme wegen der Zurückstellung des Projekts zurückgegeben worden ist, hat man uns schon Wohlwollen für den zweiten Anlauf signalisiert“, erklärte Ulrike Milas- Quirin.

Der HGV geht mit einem Vermögen von 138.000 Euro (Stand: Ende 2015) an die Einrichtung des Museums, davon werden etwa 56.000 Euro für die Einrichtung der Dauerausstellungen bis 2018 gebraucht werden, weitere 42.000 Euro sind für Umzugskosten und die Einrichtung vorgesehen; nach der Einrichtung des Stadtmuseums verbleiben dem Verein immer noch 40.000 Euro. Die jährlichen Betriebs-, Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten werden vom Investor mit etwa 16.200 Euro angesetzt – da das Gebäude dem HGV mietfrei zur Verfügung stehen wird („lebenslang“, mindestens aber für 28 Jahre) kommen dazu lediglich die Betriebsnebenkosten wie etwa Strom. „Es sind auch Investoren dabei, die selbst Sammler sind und die so etwas interessiert“, verriet Stefan Wiese, warum auch auf Investorenseite mit Wohlwollen gerechnet werden kann. „Wir hoffen sehr, dass sich Investoren und der HGV gegenseitig befruchten und dass hier für beide eine Win-win-Situation entsteht. Stellen Sie sich vor: das wird doch große Klasse, wenn man hier wieder die Schokoladenproduktion riechen und sogar schmecken kann“, freute sich Ulrike Milas-Quirin.

Für den Museumsbetrieb sind vom HGV etwa 16.500 Euro eingeplant, es ergibt sich also etwa eine Ausgabensumme von 35.700 Euro im Jahr. Dieser stehen nach der Kalkulation des HGV Einnahmen in Höhe von etwa 34.200 Euro gegenüber, die durch Eintrittsgelder, Führungen und Events, durch einen „Chocolate Market“, durch den Verkauf von Schokoartikeln und Replika, durch die Vermietung des Veranstaltungsraumes sowie durch Spenden, Stiftungszuwendungen und durch Mitgliedbeiträge erzielt werden sollen. Den Zuschussbedarf von 1.500 Euro im Jahr sieht der Geschichtsverein als kein zu großes Problem an: „Der HGV kann gestützt auf eine Stiftung und einen Großsponsor einen soliden finanziellen und personellen Beitrag zum erfolgreichen ehrenamtlichen Betrieb des Museums leisten.“

Es zeigte sich bereits an Ort und Stelle, dass die Vorstellung des Museumsprojekts auf fruchtbaren Boden fiel: „Wir haben bei der Aktion immerhin zwei neue Mitglieder gewonnen. Das freut uns sehr, denn es zeigt, dass es wieder interessant ist, für 20 Euro Jahresbeitrag Mitglied im Hattersheimer Geschichtsverein zu werden“, freute sich Ulrike Milas-Quirin.

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