Seniorenresidenz im Visier der Medien

Heimleitung kritisiert Artikel der „Bild“-Zeitung / Medizinischer Dienst und Heimaufsicht hatten keine Hygienemängel festgestellt

Seit 2012 gehört sie zum Hattersheimer Stadtbild am Hessendamm – die auffällige Fassade der Hattersheimer Seniorenresidenz.?(Fotos: A. Kreusch)

 

 

HATTERSHEIM (ak) – Mit den Worten „Mir könne zumache“ und dem Artikel der „Bild“ in der Hand wurde der Leiter der Seniorenresidenz Hattersheim am letzten Montag, 23. März, von einer ziemlich erschreckten und verständnislosen Mitarbeiterin morgens begrüßt. „Das war ein Schlag für unser Personal, viele leisten hier mit Herzblut großen physischen Einsatz“, versteht Thomas Kohwagner die Aufregung und Frustration, die seit dem Bericht in seinem Haus bei seinen Mitarbeitern herrscht.
Wenn man die Hattersheimer Seniorenresidenz betritt, wird man von einem gepflegten Foyer in schönen Farben empfangen, der Blick geht direkt in ein lichtes, sauberes Restaurant, hinter der Speisentheke steht ein Koch mit hoher weißer Kochmütze, die Stimmung ist freundlich. Eine Dame, die mit dem Rollstuhl den Aufzug verlässt, wird gleich nett gefragt, ob sie Hilfe braucht – sie lehnt aber, ganz offensichtlich sehr gut gelaunt, ab und steuert alleine ins frühlingshafte Freie.

 

Auch wenn man die gleich rechts im Erdgeschoss liegende Demenzstation betritt, wird man in hellen, freundlich eingerichteten Räumen empfangen, es hängen Bilder an den Wänden, es gibt Blumen, es wird gelacht und gescherzt. Um die Mittagszeit waren fast alle Bewohner in der stationseigenen Küche versammelt, es herrschte sehr gute Stimmung und guter Appetit, die Bewohner fühlten sich anscheinend alle sehr wohl. Auch zwei Angehörige der Damen, die im Artikel der „Bild“-Zeitung Vorwürfe in Bezug auf den Pflegezustand der Bewohner und auf Hygienemängel im Heim aufgeworfen haben, saßen gut versorgt mit am Tisch.
Am schwarzen Brett direkt neben der Küche hängt ein handgeschriebener, laminierter Brief mit einem Bild eines früheren Bewohners, in dem dessen Angehörige sich überschwänglich für die gute Betreuung ihres Vaters und Opas in der Seniorenresidenz bei den Mitarbeitern bedanken.
Das Medieninteresse ist groß, selbst der Hessische Rundfunk hat ein Kamerateam geschickt, um darüber zu berichten, was in der Hattersheimer Seniorenresidenz denn nun los ist.
In einem Pressegespräch betont Susanne Thon, Mitarbeiterin der Geschäftsleitung der Mediko Gruppe, die ein Teil der familiengeführten Lindhorst Gruppe in Winsen an der Aller ist, dass man mit der Kritik offen umgehen wolle. „Unsere Haltung ist, dass wir uns mit Kritik weiterentwickeln möchten“, erklärt Susanne Thon. „Offen damit umzugehen, ist daher für uns der richtige Weg.“ Allerdings seien einige der Vorwürfe auch schon widerlegt worden: Sowohl der Medizinische Dienst als auch die Heimaufsicht hätten bei mehreren unangemeldeten Besuchen keinerlei Hygienemängel in ihrem Haus feststellen können, auch der Pflegezustand der Bewohner sei keineswegs beanstandet worden; lediglich an der Dokumentation der Pflege habe man zu arbeiten, Schulungen für die Mitarbeiter sollen hier Abhilfe schaffen. „Das werden wir engmaschig begleiten und zeitnah umsetzen“, verspricht Susanne Thon. Allerdings habe man von sich aus mit der Mitarbeiterin, die ein Tablett mit Medikamenten im Demenzbereich auf der Spüle unbeaufsichtigt abgestellt hatte, ein Gespräch geführt und auch eine Abmahnung in der Sache an sie ausgesprochen. „Aber die im Artikel der 'Bild' angeführten Missstände wie Erbrochenes an der Wand und auf dem Bett sind nicht vorgekommen – wir haben eigene Reinigungskräfte, die von unseren Pflege-Mitarbeitern angeleitet und beaufsichtigt werden. Gebrauchsspuren gibt es überall, aber über längere Zeit bleibt bei uns nichts schmutzig“, versicherte Susanne Thon. Auch habe es keine „Doppelschichten“ oder besondere Arbeitsüberlastung auf der Demenzstation gegeben. „Wir haben 18 Pflegeplätze auf der Station, von denen 16 zurzeit belegt sind. Sie werden von drei Pflegekräften im Frühdienst und 'zweieinhalb' im Spätdienst – je nach Belegung und Pflegestufe der Bewohner – betreut. Dazu kommen unsere Küchenkräfte und Reinigungskräfte, insgesamt sind dort in der Summe zehn volle Stellen besetzt“, rechnet Susanne Thon vor. „Die Dienstplanauswertung hat ergeben, dass es weder Doppelschichten noch Arbeitsschichten von 20 Tagen am Stück gegeben hat.“ Sie erklärt weiter, in der Seniorenresidenz habe man eine Fachkraftquote von 50 Prozent, es seien dort insgesamt etwa zehn Stellen mehr besetzt als gesetzlich vorgehalten werden müssten. In der Seniorenresidenz Hattersheim werden insgesamt 82 Bewohner von mehr als 50 Mitarbeitern (in 34 Stellen) betreut, dazu kommen noch sieben Auszubildende, die Hausreinigung und die Verwaltung.
Dass die Betreuung von Senioren ein anstrengender Beruf ist, der den Pflegekräften oft viel abverlangt, ist wohl richtig, allerdings gebe es keinen Stress durch zu wenig Personal für ihre Mitarbeiter. „Ebenfalls ist uns der Vorfall, dass ein dementer Bewohner von einer Mitarbeiterin 'geschüttelt' worden sein soll, im Gespräch mit der Pflegekraft ganz anders dargestellt worden – auch bei Demenzkranken kommt es manchmal zu Aggressionen, mit denen die Pflegekräfte umgehen müssen. Wir haben etwa einen Herrn hier, der 'klammert' sofort ziemlich heftig, wenn man sich ihm nähert“, wirbt Susanne Thon um Verständnis.
Susanne Thon und auch Thomas Kohwagner bedauern es, dass die Angehörigen mit ihren Beschwerden nicht das Gespräch mit der Heimleitung gesucht haben, sie verstehen das „Sammelverhalten“ der Kritiker nicht. „Wir hatten einer der Damen angeboten, dass ein Mitarbeiter vom Qualitätsmanagement mit ihr zusammen alle ihre Kritikpunkte bei einer Visite bei ihrer Mutter durchgeht, das hat sie aber abgelehnt. Sie hat sogar einzelnen Pflegekräften untersagt, das Zimmer ihrer Mutter zu betreten“, schilderte Susanne Thon die verhärteten Fronten, die wohl entstanden sind. Ob eine andere Beschwerdeführerin sich dadurch, dass die Heimleitung beim Amtsgericht angeregt hatte, für einen bestimmten Bereich einen anderen Betreuer für ihre Mutter einzusetzen, vor den Kopf gestoßen fühlte, kann man nur spekulieren. „Eine der Damen hat eine Zeit lang ganz genau Protokoll geführt, was die Pflegekräfte bei ihrer Mutter gemacht haben – das hat besonders unsere jungen Mitarbeiterinnen zermürbt und unsicher gemacht, die haben sich kaum noch getraut, zu atmen. Eine haben wir schon nach Flörsheim versetzt, wir müssen ja auch unsere Mitarbeiter schützen.“
Thomas Kohwagner sorgt sich auch darum, wie unter solchen Umständen, wenn Pflegekräfte so wenig Wertschätzung erfahren, in Zukunft Personal für die Pflege begeistert werden soll. „Uns werden jetzt schon immer wieder von Krankenhäusern Pflegekräfte nach abgeschlossener Ausbildung abgeworben“, erzählt er.
Irritiert sind jedenfalls Thon, Kohwagner und wohl sogar die Heimaufsicht, dass die Angehörigen der Beschwerdeführer noch immer in der Seniorenresidenz zu Hause sind und sich dort offenbar ziemlich wohl fühlen – die Heimverträge wurden bislang nicht gekündigt. „Besonders eine der Seniorinnen hat bei uns ordentlich an Gewicht zugelegt, ihr geht es momentan sehr gut, sie ist viel aktiver geworden, seit sie bei uns ist“, freuen sich Susanne Thon und Thomas Kohwagner.
„Wir stehen dazu, dass es immer Dinge gibt, an denen man arbeiten muss. Wir werden die Kritik nicht unter den Teppich kehren“, erklärt Susanne Thon überzeugend. „Und wir führen ein offenes Haus, jeder kann sich jederzeit hier bei uns umschauen, wir suchen sogar selbst den Kontakt zu der neuen Siedlung im Schokoladenquartier und auch zum Kindergarten. Unsere Demenzstation hier im Erdgeschoss ist sogar von außen gut einsehbar. Wenn es solche Missstände, wie in dem 'Bild'-Artikel geschildert, gäbe, dann würde man das hier in Hattersheim sicher auch wahrnehmen!“

 

 

 

 

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