Die Leute trinken Wein - nach wie vor Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie: Wickerer Straßenmühle bleibt ohne musikalische Highlights

So gesellig wie im letzten Jahr darf es aktuell im Wein-Verkaufsshop nicht zugehen. Kunden müssen vorschriftsgemäß Abstand halten und einzeln eintreten.

Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie: Wickerer Straßenmühle bleibt ohne musikalische Highlights

Mit Ihrer über 700-jährigen Geschichte und unvergleichlichem Ambiente ist die Wickerer Straßenmühle nicht nur ein wahres Idyll, sondern auch ein guter Ort für Weine mit besonderer Herkunft. Hier hat das „Weingut Joachim Flick“ sein Domizil. Auch in Zeiten großer Herausforderungen, wie derzeit mit Corona, warten die 2019er Weine auf Freunde des guten Tropfens. Nicht nur aus der Monopollage des Wickerer Nonnbergs, einem der ältesten und hochwertigsten Weinberge im Rheingau, zaubert Winzer Reiner Flick alljährlich seine besten Weine.

Laue Sommerabende - keine Gäste

Die Highlights in der Straßenmühle waren bisher die großen Veranstaltungen, eingerahmt vom Bäumen, Wiesen und Natur. Jetzt allerdings sind alle Open-Air-Konzerte wie „Still Collins“, die „Helene-Fischer Tribute Show", das Open-Air-Kino und sogar das Wein-Seminar gestrichen. Die schönen Sommerabende mit einem guten Glas Wein und leckeren Köstlichkeiten von namhaften Caterern, mit Live-Bands auf der Bühne und Partystimmung - das wird Reiner Flick und ganz besonders seinen Gästen in diesem Jahr fehlen, denn Großveranstaltungen bleiben bundesweit bis mindestens zum 31. August untersagt.

Der Onlinehandel hingegen läuft derzeit gut, ganz nach dem Motto "per Klick zum Lieblingswein". Mit seinem Weinbaubetrieb ist das Weingut finanziell breit aufgestellt. Vom Endverbraucher bis zum Export, im Fachhandel, im Einzelhandel, in der Gastronomie – in allen Vertriebszweigen steht Reiner Flick mit seinen Geschäftspartnern in langjähriger Verbindung.

Der Weinladen wurde erst vor kurzem noch repräsentativer als bisher gestaltet. Im Rahmen der gesetzlichen Regelungen kann der Liebhaber guten Weines dort weiterhin einkaufen. Der Mindestabstand ist problemlos einzuhalten, es gibt genügend Platz. „Wir versuchen derzeit, intensiver mit unseren Kunden in Kontakt zu treten, mit Newslettern und über die Social-Media-Plattformen“, so Flick, „aber auch damit ist der Kunde irgendwann übersättigt. Grundsätzlich profitieren wir von der Lage mitten im Verbrauchergebiet. Bei Weingütern an der Mosel oder in der Pfalz sieht das ganz anders aus. Dort stehen Ferienwohnungen leer, der Tourismus fällt komplett weg, auf Dauer kann das keiner überleben“.

Die anfallende Arbeit sei im Weingut momentan noch nicht die große Herausforderung. Da bleiben noch etwa zwei Wochen Zeit. Die Familie hilft mit, eine Praktikantin beginnt im Mai. Wenn es gilt, sind die Auszubildenden, die Weinbergsarbeiter, der Kellermeister im Einsatz. Aber das sei schon immer so gewesen. Ein fester Personalstamm, auf den man zählen kann. Die polnischen Helfer waren im Frühjahr da, sind vor Ostern nach Hause gefahren. „Akut wird es erst zur Weinlese, wenn keine zusätzlichen Helfer kommen“, befürchtet Flick. „In dieser unkalkulierbaren Situation haben wir alle Bestellungen reduziert. Gekauft wird nur das, was dringend gebraucht wird. Es gab schon Engpässe bei der Lieferung von Flaschen, das ist wirklich kein Spaß für einen Weinbaubetrieb“.

Reiner Flick sieht die Zukunft mit ziemlichen Magenschmerzen: „Das wird uns nachhaltig fordern. Gut, dass wir immer den Endverbraucher hochgehalten haben, diese Leute sind uns wichtig, die retten uns. Bäcker, Metzger und Handwerker - viele Kleinbetriebe halten jetzt noch aus, sie arbeiten nahezu rund um die Uhr, sie sorgen dafür, dass das Geld in der Region bleibt. Doch irgendwann können sie nicht mehr. Lebenswerke werden aufgegeben.“

Künstler besonders betroffen

Sie schlossen zuerst und werden wohl als letzte wieder öffnen. Für Event-Teams, Bands, DJs und Künstler bedeutet die Corona-Krise eine sehr lange Zeit ohne Einnahmen. Was diese Situation für die Agenturen bedeutet, erlebt Reiner Flick hautnah: „Die Künstler, mit denen wir schon lange zusammenarbeiten, sind sozusagen ‚auf Null gesetzt‘. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, dann wird man die Ansage 'Kein Anschluss unter dieser Nummer' hören. Viele trifft diese Corona-Krise bis in Mark und Bein, sie haben keine Idee, wie das noch werden soll."

Winzer und Bauern kämpfen zudem derzeit nicht nur wegen Corona. Acht bis zehn Wochen Regen oder brutale Trockenheit wechseln sich ab. „Gott sei Dank haben wir in diesem Jahr keine Neuanpflanzungen. Die verschlingen schnell mal 25.000 bis 30.000 Euro pro Hektar. Doch auch die jungen Reben vom letzten Jahr müssen intensiv gepflegt werden.“

Winzer und Bauern kämpfen derzeit nicht nur wegen Corona. Acht bis zehn Wochen Regen oder brutale Trockenheit wechseln sich ab. „Gott sei Dank haben wir in diesem Jahr keine Neuanpflanzungen. Die verschlingen schnell mal 25.000 bis 30.000 Euro pro Hektar. Doch auch die jungen Reben vom letzten Jahr müssen intensiv gepflegt werden.“

Was am Ende übrig bleibt

Der Winzer ist sich sicher: „Wir werden das durchstehen, doch was bleibt, ist die Angst vor dem, was danach kommt. Nach Corona wird das Leben komplett anders sein. Ich wünschte mir, man könnte dieses Jahr einfach streichen. Danach kann nicht einfach ein Schalter umgelegt werden. Bleibt abzuwarten, was am Ende noch übrig sein wird. Das Geld muss erst verdient werden, damit es ausgegeben werden kann. Die aktuelle Situation hat unvorstellbare Ausmaße angenommen. Wir müssen die Lage realistisch sehen, uns nicht in die Tasche lügen“. Mit diesem Hintergrund hat er sich sogar schriftlich an den Corona-Koordinator der Hessischen Landesregierung gewandt, bisher ohne Antwort. Zum Abreagieren geht Reiner Flick in den Weinberg und hackt in der knochentrockenen Erde. Für ihn ist es wie Meditation. Dabei kann er nachdenken.

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