Fünf Jahre Landebahn Nord-West

Bürger gegen den Flughafen und die Politik mittendrin: Das umstrittene Bauwerk wird noch lange umstritten bleiben

Der Mönchwaldsee und die Landebahn Nord-West.
(Foto: Fraport AG Fototeam Stefan Rebscher)

HATTERSHEIM (mpk) – Ein ungeliebtes Bauwerk feiert Geburtstag: Am 21. Oktober 2011 wurde die Landebahn Nord-West am Frankfurter Flughafen in Betrieb genommen. Jetzt, fünf Jahre später, ist sie immer noch so umstritten wie am ersten Tag. Passend zu diesen permanenten Streitigkeiten meldeten sich zum Jubiläum eine Vielzahl an Institutionen, Lobbyisten, Aktivisten, Wirtschaftsgrößen und Politikern mit einem Sammelsurium an unterschiedlichen Perspektiven, Motiven, Zielen und Wünschen zu Wort. Es reicht schon, einige davon exemplarisch aufzuführen, um zu zeigen, wie kontrovers die Nordwest-Landebahn noch immer diskutiert wird – und wohl noch lange diskutiert werden wird.

„Die Landebahn muss weg!“
Noch immer werden diese Worte skandiert, wenn sich Montag für Montag etwa 200 Flughafengegner zum Terminal 1 aufmachen, um dort gegen die Landebahn zu demonstrieren. Es gibt gute Gründe, diese Form des Protests aufrechtzuerhalten: Im größeren Maßstab sorgte nicht zuletzt ein beeindruckender Protestzug von Mainz nach Wiesbaden mit etwa 10.000 Teilnehmern unmittelbar nach der Eröffnung der Landebahn im Oktober 2011 dafür, dass die damalige Landesregierung, bestehend aus CDU und FDP, die „Allianz gegen Fluglärm“ ins Leben rief und die Betreibergesellschaft des Flughafens Fraport, die Lufthansa, die Interessengesellschaft von Fluggesellschaften, BARIG, und die Deutsche Flugsicherung mit ins Boot holte, um mit vereinten Kräften den Schallschutz zu fördern.

Auch zum fünften Jahrestag der Inbetriebnahme der Landebahn Nord-West fanden wieder gut sichtbare Protestveranstaltungen statt. Am Vorabend des Geburtstags führte ein Sternmarsch hunderte Landebahngegner auf den Frankfurter Römerberg. Dort beschrieb unter anderem Silke Alves-Christe, die Pfarrerin der Frankfurter Dreikönigsgemeinde, in ihrer Rede eindringlich und nachvollziehbar die Auswirkungen des Landebahnbetriebs auf den Alltag der Anwohner: „Von einem Tag auf den anderen waren wir plötzlich nicht mehr frei, unser Leben so zu gestalten, wie wir es für sinnvoll halten. Vor 23 Uhr ist an Einschlafen nicht zu denken, um Punkt 5 Uhr ist der Schlaf beendet. Seit fünf Jahren haben wir nicht mehr bei gekipptem Fenster geschlafen. Wenn wir ein Zimmer lüften wollen, müssen wir uns so lange in ein anderes Zimmer begeben, um dem Lärm nicht ungeschützt ausgesetzt zu werden.“

Einen Tag später fand in Mainz eine Demonstration mit etwa 1.500 Teilnehmern statt, zu der auch der Verein zum Schutz der Lebensqualität in Flörsheim e. V. auf seiner Homepage aufgerufen hatte: „Für das Ohr schmerzender Lärm und für die Organe und das Gehirn gefährlicher Feinstaub aus den Triebwerken der an- und abfliegenden Flugzeuge am Frankfurter Flughafen bedrohen unser Leben und unsere Lebensqualität im Rhein-Main Gebiet.“

Politischer Drahtseilakt
Auch die Gründung der „Allianz gegen Fluglärm“ liegt nun fast fünf Jahre zurück. Inzwischen regiert in Wiesbaden eine schwarz-grüne Koalition, in der sich die Ausbaubefürworter der Union und die flughafenkritischen Grünen zusammenraufen mussten. Man fand tatsächlich gemeinsam einen Kompromiss: Lärmpausen sollen geschaffen, Lärmobergrenzen durchgesetzt werden.

Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir stellte im April 2015 einen Plan zur Gewährleistung von Lärmpausen vor: Durch eine veränderte Nutzung der Landebahnen sollen die Flugzeuge und damit der Lärm so verschoben werden, dass jede betroffene Region eine fluglärmfreie Stunde pro Tag hinzugewinnt – entweder eine Stunde direkt vor dem Nachtflugverbot von 23 Uhr bis 5 Uhr oder unmittelbar danach.

Das Konzept zur Umsetzung der geplanten Lärmobergrenze stellte Al-Wazir vor wenigen Wochen vor. Ziel ist eine Verringerung des Fluglärms um 1,8 Dezibel bei 701.000 Flugbewegungen im Jahre 2020. Doch nun werden auch die Freunde des Flugverkehrs wieder lauter. Al-Wazir hofft auf eine freiwillige Vereinbarung mit dem Flughafenbetreiber Fraport, doch die bisherigen Signale stimmen wenig hoffnungsvoll. Und die Befürworter des Flughafenausbaus bekommen Rückenwind aus Wirtschaft und Politik. So bezeichnet beispielsweise die Vereinigung der Hessischen Unternehmerverbände (VhU) in einer jüngst veröffentlichten Pressemitteilung die Inbetriebnahme der Landebahn Nord-West am 21. Oktober 2011 als „Erfolgsgeschichte zum Wohle Hessens und weit darüber hinaus“. Der Hauptgeschäftsführer der VhU, Volker Fasbender, rief die Politik in Land und Bund auf, alles daranzusetzen, um dem Flughafen und der heimischen Luftverkehrswirtschaft weiteres Wachstum und Beschäftigungsaufbau zu ermöglichen.

Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag, Florian Rentsch: „Die Landebahn Nord-West ist eindeutig eine Erfolgsgeschichte: Mit der Inbetriebnahme gibt es nicht nur massive Verbesserungen im Betriebsablauf, die sich direkt positiv auf die Pünktlichkeit der Flüge auswirkt – es sind außerdem über 10.000 neue Jobs entstanden.“ Rentsch befürchtet eine zu starke Ausbremsung der Entwicklung des Flughafens durch zu umfangreiche Lärmschutzmaßnahmen: „Bei allem Verständnis denen gegenüber, die von Fluglärm betroffen sind: einerseits dürfen die eingeleiteten massiven Lärmschutzmaßnahmen nicht aus dem Blick geraten, anderseits darf die Entwicklung des Flughafens auch weiterhin nicht stehenbleiben, sonst gerät dieser und mit ihm ein absoluter Stützpfeiler der hessischen Wirtschaft gegenüber den Wettbewerbern aus zum Beispiel Istanbul oder Dubai weiter ins Hintertreffen. Schon jetzt ist der Flughafen Frankfurt in Europa auf Platz vier zurückgefallen.“

Auch der Fraktionsvorsitzende der CDU im Hessischen Landtag, Michael Boddenberg, meldete sich zu Wort und schlug dabei einen Ton an, der wohl dem Balanceakt innerhalb der Regierungskoalition entspricht: „Die Inbetriebnahme der Nordwest-Landebahn vor fünf Jahren hat der Region einmalige, neue Wachstums- und Jobchancen eröffnet. Durch den Ausbau zählt Frankfurt zu den weltweit wichtigsten Drehscheiben der Luftfahrt. Der Erhalt und die Schaffung tausender neuer Arbeitsplätze wurden dadurch gesichert, Menschen und ihren Familien Zukunftsperspektiven eröffnet.“ Der grundsätzlichen Befürwortung der Landebahn folgt aber auch die Anerkennung der Belastung von Mensch und Umwelt: „Im Interesse der Region muss die Luftverkehrswirtschaft daher alles technisch Mögliche und ökonomisch Vertretbare tun, um für eine weitere Fluglärmreduzierung zu sorgen.“

Lärm bleibt Lärm
Trotz all dieser in den letzten fünf Jahren eingeleiteten Maßnahmen reißen die Proteste seitens der Bevölkerung nicht ab. Womöglich verursachen schon kleine Fortschritte große Anstrengungen seitens der Politik und der Wirtschaft – doch im Alltag der Menschen kommt davon nur wenig an. Das Nachtflugverbot endet bereits um 5 Uhr morgens, und stets kann ein extrem lautes „Einzelschallereignis“ über dem eigenen Dach die Nachtruhe vorzeitig beenden. Zumal ein Zeitfenster von sechs Stunden fluglärmfreien Schlaf ohnehin sehr knapp bemessen ist – insbesondere für Kinder. Im Rahmen der vom Land Hessen in Auftrag gegebenen Lärmwirkungsstudie NORAH wurde unter anderem der Frage nachgegangen, was Fluglärm für die Entwicklung und Lebensqualität von Kindern bedeutet. 

Dabei kam man zu dem Ergebnis, dass sich lauter Flugverkehr negativ auf die schulischen Leistungen auswirken kann: Der Krach stört den Unterricht, und in stark belasteten Gebieten konnte eine verringerte Leseleistung festgestellt werden. Man kam im Rahmen der Studie auch zu überraschenden Befunden: So fühlen sich Menschen durch Fluglärm stärker beeinträchtigt als vom Straßen- oder Schienenverkehr – selbst wenn Autos und Züge örtlich messbar lauter sind. Diese Beobachtung könnte eine Erklärung für das Phänomen liefern, dass leichte Dezibelreduzierungen und Lärmobergrenzen bei den Betroffenen gefühlt kaum ankommen. „Luftverkehr ist stets die hinsichtlich der Belästigung dominierende Quelle“, hieß es bei der Vorstellung der NORAH-Ergebnisse im Oktober 2015.

So steht zu erwarten, dass die umstrittene Landebahn Nord-West auch in den kommenden Jahren ein regionales Reizthema mit verhärteten Fronten bleiben wird. Eine unbefriedigende Aussicht für das Geburtstagskind – und die Menschen in seinem Umkreis.

 

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