Partytime in Hattersheim

Hüttengaudi XXL: Acht Wochen „Alm Deluxe“ / Scharfe Kritik von Gewerbeverein und SPD / Bürgermeister erwartet vollen Erfolg

Am 8. September öffnet die 2.500 Quadratmeter große „Alm Deluxe“ im Stadtpark ihre Pforten. Der Veranstalter rechnet über einen Zeitraum von acht Wochen mit 1.500 Besuchern täglich. In Sichtweite: Der Kinderspielplatz und der Familientreff „Grünes Haus“.
(Fotos: A. Kreusch)

HATTERSHEIM (noe) – Noch in diesem Spätsommer kommt die „Alm“ nach Hattersheim, und das als Deluxe-Version im Format XXL. In seiner ziemlich kurzfristig veröffentlichten Ankündigung erklärt der Veranstalter, weshalb sich die Bürgerinnen und Bürger Hattersheims auf das sage und schreibe zweimonatige Gastspiel, das bereits am 8. September beginnen und sich auf einer Fläche von 2.500 Quadratmetern ausbreiten wird, freuen sollten: Die Rede ist von einem „spektakulären Rahmenprogramm mit Oktoberfestwoche von 1. bis 8. Oktober 2017, Eisstockschießen und einem musikalischen Rahmenprogramm, das sich sehen lassen kann. Die Erlöse fließen zum Teil in die Sanierung der denkmalgeschützten Hattersheimer Stadthalle, die seit 2014 für das Publikum geschlossen ist“.

In der Pressemitteilung des Veranstalters wird Bürgermeister Klaus Schindling als Initiator der „Alm Deluxe“ genannt, der „sich stark dafür eingesetzt“ habe, „dass den Bürgern als Ausgleich für die nicht-benutzbare Stadthalle ein neuer Anlaufpunkt in der Innenstadt geboten wird“. Und in der Mitteilung wird Schindling wie folgt zitiert: „Zehn Cent von jedem verkauften Bier fließen direkt in die Sanierung unserer denkmalgeschützten Stadthalle. Wir haben ein großes Einzugsgebiet und freuen uns auf interessierte Besucher aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet.“

„Saufen für die Stadthalle“?
Im Gespräch mit dem Stadtanzeiger nannte Schindling dagegen die Zehn-Cent-Regelung ein Gerücht, das derzeit im Umlauf sei: „Das stimmt so nicht.“ Laut Bürgermeister sei noch überhaupt nicht geklärt, wie hoch der Anteil ausfallen wird. Und der „Solidaritätsgroschen“ müsse sich keineswegs nur auf die verkauften Biere beziehen. Die im Pressetext zumindest begünstigte Devise „Saufen für die Stadthalle“ will der Bürgermeister demgemäß nicht ausgeben. Im Mittelpunkt des Treibens auf der Hattersheimer Alm soll der Spaß, nicht etwa der Alkohol stehen. Nun, pseudo-bajuwarische Oktoberfestivitäten gibt es zuhauf, in den meisten Fällen handelt es sich um eine Version des Ballermanns, der zumindest nicht jede Form mitteleuropäischer Zivilisation fremd ist. Es wird also erfahrungsgemäß darauf ankommen, wie familiär die achtwöchige Almrauschparty sein wird.

Zünftige Gemütlichkeit, kräftig gewürzt mit den üblichen Party-Zutaten – so wird die „Alm Deluxe“ präsentiert. Der Veranstalter wirbt mit „einer aufwändig produzierten, mobilen Original-Almhütte mit einem besonders nachhaltigen Konzept“ und erläutert in diesem Zusammenhang: „Das Original von Hand gehackte und veredelte Altholz von Almhütten aus Österreich bildet den Mantel der Alm. Im Innenraum sorgen eine antike Steinwand mit Findlingsnachbauten, speziell gefertige Lampen und ein gemütlicher Loungebereich mit Kamin für Atmosphäre und einen angenehmen Wirtshaus-Charakter.“ Und: „Sogar eine eigene Biersorte bringt die Alm Deluxe mit nach Hattersheim.“

„Schlagergrößen aus Malle“
Nun zu den erwähnten Party-Zutaten: Die Alm ist durchgängig von 11 bis 0 Uhr geöffnet, an jedem Tag wird es Musik von Livebands und/oder aus der „Konserve“ geben. Gegenwärtig sucht der Veranstalter weiterhin nach lokalen und auch überregionalen Gruppen und DJs, um das musikalische Rahmenprogramm möglichst abwechslungsreich gestalten zu können. Denn acht Wochen sind eine lange Zeit und „Zünftigkeit“ und Partylaune sollen schließlich in hoher Drehzahl erhalten bleiben. Als Höhepunkt der Alm-Wochen wird das einwöchige Oktoberfest angekündigt, das laut Veranstalter am 1. Oktober durch Bürgermeister Klaus Schindling und „die Vertreter der Stadt Hattersheim“ eröffnet werden soll. Nach dem Bieranstich durch den Rathauschef soll es durchgehend bis Mitternacht „Stimmung und Tanz mit DJ und Moderation“ geben. So geht es, von ins Programm eingestreuten Livebands unterstützt, bis zum Ende der Oktoberfestwoche am 8. Oktober weiter. Gewissermaßen der Höhepunkt des Höhepunkts soll sich am 7. Oktober im Rahmen des „Mallorca-Abends“ ereignen: Für jenen Samstag werden nämlich vom Veranstalter „Schlagergrößen aus Malle vom Bierkönig“ versprochen.

Summa summarum: Aus Sicht des Bürgermeisters und des Veranstalters wird die Stadt Hattersheim und mit ihr das ganze Rhein-Main-Gebiet in den Genuss eines neuen Highlights kommen – und das an zentralem Orte, inmitten des idyllischen Stadtparks. Doch genau dieses Pfund, mit dem die Macher der Alm wuchern wollen, stößt keineswegs auf allgemeine Zustimmung.

„Wir finden es befremdlich“
Im Namen des Hattersheimer Gewerbevereins kritisiert dessen Vorsitzender Darius Gevelhoff mit deutlichen Worten den bürgermeisterlichen Entschluss, die Alm Deluxe in die Stadt zu holen: „Wir finden es befremdlich, den lokalen Gastronomie-Unternehmen ohne Rücksprache und ohne Ankündigung ein 2.500 Quadratmeter großes Konkurrenzgewerbe direkt vor die Tür zu setzen mit der (wie wir es sehen) Ausrede, es werde damit Geld für die Stadthalle gesammelt. Warum sind die lokalen Unternehmen nicht gefragt worden, ein zusätzliches Fest zu initiieren?“

Es sei mit Mindereinnahmen der lokalen Unternehmen zu rechnen, was wiederum zu weniger Gewerbesteuereinnahmen führen werde, so der Vorsitzende des Hattersheimer Gewerbevereins. Laut Veranstalter würden zudem täglich 1.500 Besucher bewirtet. „Wie soll das logistisch in Hattersheim bei gesperrten Einfahrtstraßen funktionieren?“ fragt Gevelhoff. Außerdem sei davon auszugehen, dass der Park Schaden nehmen werde – tatsächlich wurde der Rasen der Parkanlage bereits bei der Anlieferung von Materialien zum Aufbau der Almhütte erheblich in Mitleidenschaft gezogen (siehe das entsprechende Bild zu diesem Bericht).

Auch die SPD äußerst sich in einer Pressemitteilung skeptisch bis ablehnend. „Die Idee, dass ein Anlaufpunkt geschaffen wird, ist grundsätzlich nicht schlecht“, finden SPD-Fraktionschef Dr. Marek Meyer und SPD-Ortsvereinsvorsitzender Thomas Abicht, „aber der dafür ausgewählte Ort, der überlange Zeitraum und die nicht stattgefundene Kommunikation mit dem Gewerbeverein zeugen von einer ganz schlechten Vorbereitung.“

Unter Berufung auf die, von Bürgermeister Schindling offensichtlich nicht autorisierte, Zehn-Cent-Regelung meinen die Sozialdemokraten außerdem: „Das bedeutet, dass für einen Betrag von 10.000 Euro genau 100.000 Bier verkauft werden müssen. Da kann man gespannt sein, ob da überhaupt ein nennenswerter Betrag zustande kommt, denn die Sanierung der Stadthalle wird einen Millionenbetrag kosten.“

Die Idee ist aus Sicht der SPD „grundsätzlich begrüßenswert“, der Hattersheimer Stadtpark sei als Standort für die Alm jedoch „vollkommen ungeeignet“. „Der Platz am Hattersheimer Weiher ist ein Ort der Ruhe und Erholung“, sagen Meyer und Abicht, „darüber hinaus befindet sich am direkt angrenzenden ‚Grünen Haus’ ein beliebter Familientreffpunkt mit kleinen Kindern.“ Die SPD schließt sich mit Blick auf die vor Ort entstehende starke Konkurrenz für die lokalen Gastronomen der Kritik des Gewerbevereins vollinhaltlich an. Bedauerlich sei außerdem, dass die Hattersheimer Gewerbetreibenden weder in die Entscheidung eingebunden worden noch überhaupt informiert worden seien. „Bürgermeister Klaus Schindling hat immer angekündigt, dass ihm Transparenz und Beteiligung besonders wichtig sind. Das hat diesmal allerdings überhaupt nicht funktioniert“, monieren die Sozialdemokraten.

„Innovation und Fortschritt“
Rückendeckung erhält der Bürgermeister für seine Initiierung des Alm-Spektakels erwartungsgemäß aus den Reihen der Koalition. In einer Stellungnahme nimmt Koalitionssprecher Peter Pilz (FDP) kein Blatt vor den Mund: „Abermals hat unser Bürgermeister Klaus Schindling und sein ‚Winning Team‘ bewiesen, was Innovation und Fortschritt bedeutet. Mit dieser Aktion wird Hattersheim ein weiteres Marketingwerkzeug an die Hand gegeben, um seine herausragenden Qualitäten im MTK und darüber hinaus zu präsentieren. Von der Sogwirkung werden auch die bestehende Gastronomie und die lokalen Geschäfte profitieren. Mehr Lauf und Attraktionen bringt einfach mehr Umsatz. Umso erstaunlicher ist, dass der Vorsitzende des lokalen Gewerbevereins, Darius Gevelhoff, die Sache kritisch sieht und in einem Anflug von ‚trumpschem‘ Protektionismus neue Attraktionen von der Stadt fernhalten möchte.“

Dem wird aus den Reihen des Gewerbevereins entschieden widersprochen: „Nicht nur der Vorsitzende des Gewerbevereins sieht das kritisch, sondern der Gewerbeverein insgesamt“, kommentiert Dirk Staudt. „Als stellvertretender Vorsitzender kann ich dies beurteilen. Die Gespräche und Reaktionen, die wir mit vielen Hattersheimer Gewerbetreibenden in den letzten Tagen geführt haben, zeigen, dass diese Aktion insgesamt sehr kritisch gesehen wird. Eine Sogwirkung wird sicher eintreten, jedoch vermutlich zum Nachteil der Hattersheimer Gastronomie. Die Kritik an dieser Reaktion als ‚trumpschen Protektionismus‘ zu verunglimpfen zeigt die Dünnhäutigkeit des ‚Winning Teams‘. So ganz scheint man selbst nicht an den Erfolg zu glauben.“

Der von Peter Pilz gescholtene Gewerbevereinsvorsitzende Darius Gevelhoff betont, dass sich der Gewerbevereinsvorstand für die Interessen der Hattersheimer Gewerbetreibenden „neutral, sachlich und ohne jegliche Parteizugehörigkeit“ einsetze. In diesem Fall vertrete man speziell die Interessen der lokalen Gastronomie. „Wie es Fortschritt sein kann, diesen lokalen Unternehmen durch Initiative der Stadt einen externen Mitbewerber vor die Nase zu setzen, können wir nicht verstehen. Zumal der keine Gewerbesteuereinnahmen bringt“, so Gevelhoff. „Und wir sind enttäuscht und entsetzt, dass unsere sachliche Kritik von der gesamten Regierungskoalition für uns gefühlt sehr persönlich und wie von politischen Gegnern vorgetragen empfunden wird. Das ist so nicht der Fall.“ 

„Ich bin ein Mann des Tuns“
Im Gespräch mit dem Stadtanzeiger berichtete Bürgermeister Klaus Schindling, wie die Alm zu einem Thema für Hattersheim werden konnte. So sei er in der Zeit zwischen seiner Wahl und seinem Amtsantritt als Bürgermeister in einer Wiesbadener Kneipe zufällig mit dem Geschäftsführer der Alm Deluxe ins Gespräch gekommen. Er sei sofort von dem Konzept angetan und der Meinung gewesen: „Das wäre was für die Stadt.“ Im Laufe der Zeit habe man sich intensiver verständigt und schlussendlich einen entsprechenden Pachtvertrag für den Stadtpark abgeschlossen.

Dass nun nicht nur die politischen Mandatsträger, sondern alle Bürgerinnen und Bürger quasi vor vollendete Tatsachen gestellt werden, die sich zudem sehr zeitnah und mehr oder minder intensiv auswirken, stellt für den Rathauschef kein Problem dar. Er ist davon überzeugt, dass die Alm ein voller Erfolg wird. Hier könnten sich Leute aus Hattersheim und dem gesamten Rhein-Main-Gebiet über einen langen Zeitraum begegnen, ausgelassen miteinander feiern und ganz einfach Spaß haben.

Motivation sei mitnichten gewesen, Mittel für die Sanierung der Stadthalle zu sammeln – unabhängig wie hoch der Anteil der Stadt an den verkauften Erfrischungsgetränken oder sonstigem ausfallen werde, die Einnahmen wären angesichts des Millionenprojektes Stadthallensanierung nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber die zum Beispiel durch Steuererhöhungen in den letzten Jahren arg gebeutelten Hattersheimer hätten auch mal eine Attraktion verdient, die so noch nie dagewesen sei und zweifelsohne ihresgleichen suche. Er sei schließlich als „Treuhänder auf Zeit“ auch dafür gewählt worden, das „Wohlbefinden in der Stadt zu erhöhen“.

Ob sich das Wohlbefinden in der Stadt auf diese Weise tatsächlich steigern lässt, bleibt abzuwarten. Allein wegen der tagtäglichen Dauerbeschallung bis in die Nachtstunden dürfte sich in einem gewissen Radius um den zu einem Festgelände umfunktionierten Stadtpark und ab einem gewissen Zeitpunkt ein gewisser Unmut breitmachen. Ob bereits nach einer Woche Katerstimmung in Hattersheim herrscht? Ob dann noch immer hunderte ortsfremde Gäste herzlich willkommen sind?

Wenn sich die Alm doch als Flop oder Schlimmeres herausstellen sollte, werde man laut Bürgermeister Schindling eben so konsequent sein und sagen: „Einen Versuch war‘s wert, aber das lassen wir in Zukunft besser sein.“ Vandalismus, Lärmbelästigung, Müll- und Verkehrsprobleme seien, räumte Schindling ein, „realistische Dinge, die passieren könnten“. Aber aus Sicht des Bürgermeisters eben nicht zwingend passieren müssen. Die Hattersheimer Gastronomie werde dagegen „mit Sicherheit keinen Schaden nehmen“, so Schindling. Er gehöre nicht zu den „Berufspessimisten“ und „notorischen Nörglern“, die aus Angst vor Neuem lieber nichts unternehmen: „Ich bin ein Mann des Tuns!“

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