Die schwierige Suche nach etwas Hoffnung

Ginsheim-Gustavsburger AG Haushaltskonsolidierung nahm die Arbeit auf

GINSHEIM-GUSTAVSBURG (gus) – Es ist eine fast unmenschliche Aufgabe. Wie stoppen die Ginsheim-Gustavsburger die rasant steigende Verschuldung, die alles öffentliche Leben abzuwürgen droht? Der Haupt- und Finanzausschuss der Gemeindevertretung hat durch die Gründung einer „AG Haushaltskonsolidierung“ den Versuch gestartet, den drohenden Finanzkollaps der Gemeinde abzuwenden – und wird dabei vor einem Rätsel stehen. Das zeigte die Auftaktsitzung der AG im Konferenzraum des Gustavsburger Bürgerhauses, das – so viel scheint schon einmal festzustehen – den Bürgern mit seinem speziellen Charme noch lange erhalten bleiben dürfte.

 

Keinerlei Investitionen aus der Gemeindekasse in Neubauten, Streichung jeglicher freiwilliger Ausgaben, kräftige Gebührenerhöhungen – und immer noch wäre das Ziel nicht erreicht, den Schuldenanstieg zu stoppen. „Sie werden bittere Entscheidungen zu treffen haben“, versprach Wirtschaftsprüfer Gerhard Kopf den Fraktionen in seinem Analyse-Vortrag. Das betreffe sowohl den Bereich der Investitionen als auch den der freiwilligen Ausgaben, die Kommune mit defizitären Etats eigentlich sowieso nicht haben dürfen – mit bestimmten Ausnahmen. Tabus bei der Diskussion, was die Kommunalpolitiker ihren Bürgern in Zukunft alles wegnehmen und aufbürden könnten, dürfe es nicht geben, stellte Kopf klar.
 
Finanz-Gau verhindern
„Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt“ – der alte Ökoslogan aus der Gründungszeit der Grünen ist auch heute noch ein prima Spruch, um in den Köpfen das Bild eines mahnend erhobenen Zeigefingers zu erzeugen. Nachhaltigkeit ist der inzwischen zum Allerweltsschlagwort mutierte Begriff aus der Forstwirtschaft, der die Antwort auf die allzu berechtigten Zukunftssorgen bringen soll, scheint 30 Jahre später klar. Und das gilt längst nicht mehr nur für Baum und Rebhuhn, sondern auch für die öffentlichen Haushalte.
Weg von der mit immenser Geschwindigkeit ansteigenden Verschuldung, einen Weg finden, den Finanz-Gau zu verhindern, den die heutigen Kinder, von denen wir das Gemeinwesen nur geborgt haben, als Erwachsene auszubaden hätten. Vor dieser Situation stehen in Hessen derzeit längst nicht nur jene Kommunen, die von der Landesregierung unter den Schutzschirm geholt werden, wenn sie denn wollen.
Ob Ginsheim-Gustavsburg dieselbe ablehnende Entscheidung über den Einstieg in den Schutzschirm getroffen hätte wie Bischofsheim – das ist Spekulation, denn die Frage stellte sich nicht. Ganz so desaströs wie in der Nachbargemeinde sind die Ginsheim-Gustavsburger Haushaltsdaten bisher nicht, dass die Doppelgemeinde das Angebot bekommen hätte. Aber Landrat Thomas Will (SPD) gab der Gemeindevertretung im Mai zusammen mit seiner Haushaltsgenehmigung – neben dem Zusammenstreichen des Investitionskreditvolumens von geplanten 7,1 Millionen auf 3,25 Millionen Euro – eine Denkaufgabe auf: Sich sofort um die langfristige Konsolidierung zu kümmern. Das von der Gemeinde vorgelegte Haushaltssicherungskonzept entspräche nicht der Gemeindehaushaltsverordnung, stellte der Landrat klar.
Den Auftrag der Neusortierung nahm der Haupt- und Finanzausschuss nun durch den Start in die AG Haushaltskonsolidierung auf. In mehreren öffentlichen Sitzungen will die AG die Suche nach dem Weg aus der Verschuldungsfalle gestalten. Die Perspektive reicht dabei bis ins Jahr 2020, dem Jahr, in dem angeblich das Neuverschuldungsverbot greifen wird – aber wer glaubt ernsthaft daran, dass das eingehalten wird? Es sieht nach den derzeit bekannten Zahlen nicht ansatzweise danach aus, dass sich einfach so ein Weg auftun wird, der die negative Entwicklung stoppen oder gar umkehren könnte.
Die Mainzer Beratungsfirma Dr. Dornbach Revision, für die Gerhard Kopf arbeitet, hatte den Auftrag erhalten, die AG zum Einstieg über die Faktoren zu informieren, die die positive Entwicklung einleiten könnten. Und über die ungeschminkte Wahrheit: Bei einer ungebremsten Entwicklung würde die Gemeinde von den 20 Millionen Euro Verschuldung, die zum Ende des Doppelhaushalts 2012/13 laut Planzahlen erreicht sein werden, auf 65 Millionen Euro in acht Jahren kommen. Bei rund sechs Millionen Euro Defizit pro Jahr werden sich die kommenden Haushaltsjahre der Gemeinde nach den, natürlich nur sehr vagen Vorausschauen einpendeln.
Dabei haben die Kommunen derzeit noch großes Glück: Das Zinsniveau ist seit Jahren auf einem so niedrigen Level, dass Schulden machen derzeit so billig ist wie nie zuvor. Aber wenn das Zinsniveau in den kommenden Jahren wieder ansteigt – und Wirtschaftsexperten erwarten dies schon für die nächste Zeit in einem zumindest gemäßigten Ausmaß – stimmen die für die AG errechneten Szenarien nicht mehr. Die Gemeinde geht von konstant 1,5 Prozent Zinsen aus. Nähert sich dieser Wert wieder stärker dem jahrelang üblichen Niveau an, wird vielmehr alles noch deutlich schlimmer und entsprechend schwieriger zu bewältigen sein.
Letztmals hatte Ginsheim-Gustavsburg im Jahr 2008 einen positiven Haushaltsabschluss, wie der Fachbereichsleiter für die Zentralen Dienste, Sven Heß, den Fraktionen erläuterte. Da war, wie auch 2005, einer Ausnahmesituation eines Ausschlags nach oben bei der Gewerbesteuer zu verdanken. In den jüngsten Jahren etablierte sich ein Verhältnis von rund 23 Millionen Euro Erträge und 29 Millionen Euro Aufwendungen. Allerdings fehlen ab 2010 die Abschlüsse, so dass es angesichts der wirtschaftlich guten jüngsten Jahre zuletzt möglicherweise höhere Einnahmen gegeben hat als erwartet. Negativ wirkt entgegen, dass das Eigenkapital der Gemeinde, 2008 noch 10,8 Millionen Euro betrug, Ende 2011 offenbar aufgebraucht war.
„2012 wird ein gutes Jahr“, erwartet Heß bei den Gewerbesteuern in diesem Jahr allerdings wieder einen Anstieg. Konstant bei sechs bis sieben Millionen Euro liegt seit Jahren der Gemeindeanteil an den Einkommenssteuern. Acht bis neun Millionen Euro reicht die Gemeinde jährlich an den Kreis als Kreis- und Schulumlage weiter.
Wo entstehen aus der laufenden Verwaltungsarbeit die Defizite? Der Friedhof mit seinem 170.000 Euro Minus im Jahr ist nicht das wahre Problem. Das große Defizit entsteht beim Personal, vornehmlich im Bereich Kindertagesstätten. Nicht zuletzt da diese, allgemein politisch gewollt, ihren Betreuungsumfang weiter ausbauen sollen, werden die Kitas im kommenden Jahr laut Planzahlen ein Loch von drei Millionen Euro in die Kasse reißen. Mit 75 Mitarbeitern sind dort inzwischen mehr Angestellte zu finden als in der Kernverwaltung, also in den Rathäusern. Eine kostendeckende Gebührenerhöhung? Für junge Ginsheim-Gustavsburger Familien wäre das das Signal zum Aufbruch in eine andere Gemeinde.
Höhere Einnahmen als bisher sollen die erhöhte Hundesteuer (23.000 Euro), höhere Friedhofsgebühren (16.000 Euro), höhere Kitagebühren (50.000 Euro) und eine noch nicht zu errechnende Mehreinnahme durch die Spielapparatesteuer bringen. Zudem sind bereits Investitionen im Umfang von 340.000 Euro gestrichen oder auf Hoffnungsbasis verschoben worden. 
Man braucht auch als schwacher Kopfrechner nicht den Taschenrechner einsetzen, um zu überschlagen, dass hier bestenfalls ein ärmlicher Rinnsal den heißen Stein kühlen soll. Und es lässt sich nicht viel verändern beim großen Kostenfaktor Personal: Die Fluktuation über die bis 2020 altersbedingt ausscheidenden Rathausmitarbeiter ist bekannt – und sehr niedrig: In allen kommenden Jahren stehen bestenfalls ein halbes Dutzend Pensionierungen an.
 
Politiker noch nicht ganz bereit
Ob die Konsequenz der Arbeit, die die AG Haushaltskonsolidierung vor sich hat, bei den Fraktionen wirklich schon angekommen ist? Die Ortspolitiker sind schließlich vorrangig als Erklärer der kommenden Einschnitte gefragt. Die Wortmeldungen nach den Erläuterungen von Gerhard Kopf (siehe Nebentext) weckten Zweifel, dass die Kommunalpolitiker schon dort sind, wo die Sachzwänge sie früher oder später hinbringen werden.
Der Vorsitzende der Gemeindevertretung, Jochen Krausgrill (SPD), legte in einer fünfminütigen Stellungnahme besonderem Wert darauf, Kopf zu verdeutlichen, dass eine Gemeinde nicht nach den Maßstäben eines Unternehmens zu bewerten sei. Mehr oder weniger deutlich stellte er klar, dass das Tabuverbot, zu dem Kopf den Politikern rät, nicht der Weg ist, den er mitzugehen bereit ist.
Albrecht Marufke (FWG) war es wichtig zu betonen, dass es seine Fraktion war, die schon 2009 auf den Schritt gedrängt habe, der mit der AG nun endlich angegangen werde. Mario Bach (CDU) und die SPD-Vertreter spulten das alte Aufrechnungs-Spielchen ab. „Der Landrat zieht uns das Geld noch raus“, verwies Bach auf die hohe Umlagebelastung der Kommunen durch die Kreis- und Schulabgabe, wie in jeder guten Haushaltsrede. Diese, wenig dem Thema nutzenden Beiträge zeigten, dass es den Fraktionen offenbar noch immer schwer fällt, ihre Denkmuster abzulegen, die vor allem nach Wegen suchen, den Glanz der eigenen Farben zu stärken.
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