Als Wasser noch nicht „aus der Wand“ floss

Teil 1: Der Ginsheimer Dorfbrunnen: keine Zierde sondern überlebenswichtig

GINSHEIM (ast) – Jetzt sind sie in vielen Ortschaften mit bunten Eiern und Buchs geschmückt: die Osterbrunnen. Der Brauch ist relativ jung. Er soll Anfang des 20. Jahrhunderts in der Fränkischen Schweiz entstanden sein. In Ginsheim hat Gerlinde Beisiegel 2005 die Osterschmückung eingeführt. Seitdem wird der Dorfbrunnen vor dem Heimatmuseum mit 1500 marmorierten Eiern, sowie frischer Eibe und Zypresse dekoriert. 

 

Dorfbrunnen dienten ursprünglich nicht der Zierde, sondern waren für die Bewohner überlebenswichtig. In Ginsheim gab es ehemals mindestens acht öffentliche Brunnen (siehe Infokasten). Inzwischen erinnert nur noch der Nachbau eines Pumpenbrunnens vor dem früheren Rathaus, jetzt Heimatmuseum, an die Zeit, als das Trink- und Waschwasser in Eimern nach Haus geschleppt werden musste. Heute eine Selbstverständlichkeit: Trinkwasser ist jederzeit aus dem Wasserhahn verfügbar. Ein „Luxus“, der in Ginsheim erst seit 1929 existiert. Da wurde das Dorf an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen. Endlich floss das Wasser ganz bequem „aus der Wand“, wie in der alten Ginsheimer Chronik vermerkt ist.
Hölzerne Pumpe aus dem Wald
„Der Brunnen ist noch funktionsfähig, aber der Holzstock ist nicht originalgetreu“, erklärt Rudolf Guthmann vom Heimat- und Verkehrsverein (HVV) zum letzten Ginsheimer Dorfbrunnen. Er hat den Neubau der hölzernen Kolbenpumpe beauftragt. Der Baumstamm kommt aus dem Bauschheimer Wald. Der HVV plant im Oktober, zum 30-jährigen Bestehen des Heimatmuseums, die neue Pumpe einzuweihen. Nicht nur der jetzige Pumpenstock, auch die Sandsteineinfassung des Brunnens ist ein Nachbau. Das Original befindet sich inzwischen auf dem Gelände der Gesamtschule – direkt vor dem Haupteingang. Der Brunnenschacht vor dem Museum ist dagegen unverändert gut erhalten. Guthmann schätzt die Tiefe, des mit Bruchsteinen gemauerten Schachts, auf rund vier Meter. Auf dem Grund sei Wasser zu sehen, weiß er von der letzten Besichtigung, als die Abdeckplatte von der Öffnung genommen wurde.
 
Im 18. Jahrhundert modernisiert
Ehemals waren Dorfbrunnen für die Wasserversorgung von Mensch und Tier einer Gemeinde überlebenswichtig. Ursprünglich waren es Ziehbrunnen. Das im Schacht zufließende Grundwasser wurde mit einem Eimer an einem Seil hochgezogen, das an einem querliegenden Holz mit Schwengel befestigt war. Auf alten Fotos von Ginsheim sind allerdings ausschließlich die „moderneren“ Pumpenbrunnen abgebildet, die dem Dorfbrunnen vor dem Heimatmuseum ähneln. Sie kamen ab Mitte des 18. Jahrhunderts auf. Die Umrüstung eines Ziehbrunnes zum Pumpenbrunnen war relativ einfach. Ortschronist Hans-Benno Hauf hat ein Schriftstück von 1760 entdeckt, das vermutlich so eine „Modernisierungsmaßnahme“ eines Ginsheimer Brunnens beschreibt. Da wurde Meister Johann Nicolauß Debus aus Groß-Gerau beauftragt eine „gantz neye bomb“ zu bauen. 26 Gulden hat er für seine Leistung von der Gemeinde bekommen, ist vermerkt.
Allerdings verloren die öffentlichen Dorfbrunnen über die Jahrhunderte an Bedeutung, weil es immer mehr Privatbrunnen gab. Die Wassergewinnung war aber weiter schweißtreibend. Nicht nur, dass das Trinkwasser vom Dorfbrunnen und später vom eigenen Handpumpenbrunnen ins Haus transportiert wurde. Auch das Wasch-, Putz- und Badewasser musste herbeigetragen werden. Dazu kam das Tränken der Tiere. Der überwiegende Teil der Ginsheimer Familien waren Bauern. Mindestens 50 bis 60 Liter Wasser braucht eine Milchkuh pro Tag. Landwirt Rudolf Guthmann beschreibt die mühsame Prozedur der Brunnenwassergewinnung mit Muskelkraft: Mit der Hand kräftig die Kolbenpumpe betätigen, dann mit zwei 15-Liter-Eimern in den Stall laufen und bei Kuh oder Pferd stehen bleiben, bis das Tier die Eimer geleert hat. Diese Prozedur wiederholte sich für jedes Tier im Stall und fand morgens und abends, im Sommer zusätzlich mittags statt. 
Als Rudolf Guthmann (Jahrgang 1937) geboren wurde, gab es schon längst das öffentliche Trinkwassernetz, das auch bis in den Stall reichte. Weil aber in den letzten Kriegsjahren die Wasserversorgung über Stunden ausfiel, musste er, wie seine Vorfahren, auf den Hofbrunnen zurückgreifen. Das Wasser sei angenehm frisch und kühl gewesen, erinnert sich Guthmann. Deshalb habe die Familie im Sommer gerne Brunnenwasser getrunken. Im Jahr 1951 war Schluss mit dem erfrischenden Genuss: Wegen des Baus neuer Stallungen wurde der Schacht zugeschüttet.
 
Urkundliche zugesicherte Mitnutzung
Wie wichtig es auch noch im 20. Jahrhundert war, sich die Rechte auf die Nutzung des Hofbrunnens festschreiben zu lassen, zeigt ein Kaufbrief von 1901. Die Käufer einer Hofreite, Heinricht Traupel und seine Verlobte Elisabeth Laun, legen darin schriftlich fest, dass der Verkäuferin Maria Laun der lebenslange „Mitgebrauch des Brunnens und des Abtritts“ sicher ist. Die Anfänge einer öffentlichen Abwasserentsorgung liegen übrigens im Jahr 1963. Da wurde der „Abwasserverband Mainspitze“ gegründet, der in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen feiert.
Die große Neuerung von 1929: Ein zentrales Wasserleitungssystem mit Hausanschlüssen wurde verlegt. Allerdings gab es in der Altrheingemeinde zu dieser Zeit noch keine Badezimmer. Zunächst erhielten höchstens Küche und Waschküche Anschluss an die öffentliche Versorgung. Dafür öffnete eine neue Einrichtung ihre Pforten: das Gemeindebad. Dort kamen die Ginsheimer in den Genuss eines wohligen Wannen- oder Brausebads. Wer es sich leisten konnte, marschierte mit Handtuch, Kernseife und Wurzelbürste bewehrt in Richtung Kirchgasse. Das Gemeindebad bestand bis 1970. Dann wurden dort endgültig die Hähne geschlossen. Inzwischen besaßen fast alle Ginsheimer Familien ein Badezimmer.
 
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