Zwischenbilanz im Kastengrund

Informationen zum Stand der Flüchtlingsintegration im Kreis / Prozess in drei Schritten: Unterbringen, Sprache lehren, integrieren

Der Erste Beigeordnete Wolfgang Kollmeier, der Kreisbeigeordnete Johannes Baron, die VHS-Direktorin Regina Seibel und Petra Hauzel- Litzinger vom Kommunalen Jobcenter (v.l.) verschaffen sich einen Überblick über den Baufortschritt in den Räumen im Kastengrund.
(Foto: MTK-Pressestelle)

HATTERSHEIM (mpk) – Es ist ein teures, notwendiges und nützliches Projekt: Für 8,1 Millionen Euro kaufte der Main-Taunus-Kreis das Gelände im Kastengrund, um dort bis zu 638 Flüchtlinge unterbringen und diesen in zehn modernen und einladend wirkenden Unterrichtsräumen Sprachkurse anbieten zu können. Weitere 8,5 Millionen Euro verschlingen die noch andauernden Umbauarbeiten. Die ersten Bewohner dort werden diejenigen Flüchtlinge sein, die derzeit noch in der Hattersheimer Voltastraße untergebracht sind. Diese Unterkunft wird es in Zukunft nicht mehr geben. Zusätzlich bietet das Areal dem Hochbau- und Liegenschaftsamt eine neue Heimat. Ab Januar wird auch das Veterinäramt dorthin umziehen, weitere Ämter könnten noch folgen.

Ziemlich genau ein Jahr, nachdem der Main-Taunus-Kreis angesichts der kurzfristigen Zuteilung von 1.000 Flüchtlingen mit dem Ausruf des ersten Katastrophenfalls seit 1945 bundesweit für Aufsehen gesorgt hatte, zogen nun im Rahmen eines Pressegesprächs der Erste Kreisbeigeordnete Wolfgang Kollmeier (CDU), der Kreisbeigeordnete Johannes Baron (FDP), die Direktorin der Volkshochschule (VHS) des Main-Taunus-Keises, Regina Seibel, sowie Petra Hauzel-Litzinger vom Kommunalen Jobcenter eine erste Zwischenbilanz.

Schwerpunkt Sprache
Wolfgang Kollmeier blickte zunächst zurück auf die Haushaltsberatungen 2016. Man wollte damals die notwendigen Maßnahmen einleiten, um die eintreffenden Menschen unterbringen und schnellstmöglichst integrieren zu können. Das Angebot von Sprach- und Integrationskursen erachtete man als unbedingt notwendig, und daher sorgte man im Haushalt 2016 sicherheitshalber mit einer Summe in Höhe von 2,1 Millionen Euro vor. Davon sollten unter anderem 40 Kurslehrer fest angestellt werden - bislang arbeitete die VHS stets nur mit Honorarkräften.

Die eingeplanten 2,1 Millionen Euro wurden nun bei weitem nicht ausgegeben, was in erster Linie an den unerwartet stark zurückgegangenen Flüchtlingszahlen liegt. Ursprünglich rechnete man für 2016 mit 2.400 neuen Flüchtlingen im Main-Taunus-Kreis. Aktuell kommen nur noch etwa 20 pro Woche an. Und von den geplanten 40 neuen Lehrkräften werden bis Jahresende voraussichtlich auch nur 22 tatsächlich eingestellt worden sein. Diesem Trend entsprechend hat man für den Haushalt 2017 die vorgesehenen Ausgaben auf 1,25 Millionen Euro reduziert.

Haushaltsmäßig geht der Kreis von all jenen Flüchtlingen aus, die auch ein Bleiberecht erwarten können. Menschen aus Eritrea, Syrien, Somalia, dem Irak und dem Iran werden in der Regel anerkannt und dürfen bleiben. Hinzu kommen noch Pakistaner, Afghanen und Staatenlose. Hier finanziert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) grundsätzlich keine Sprachkurse, jedoch sieht der Main-Taunus-Kreis auch hier in der Praxis eine hohe Bleibeperspektive. Deshalb nimmt der Kreis diese Personengruppe ebenfalls freiwillig in seine Sprachprogramme auf und finanziert diese komplett selbst.

Die Bewältigung des Flüchtlingszustroms war und ist laut Wolfgang Kollmeier nicht nur eine Herausforderung, sondern auch ein Lernprozess. Das zeigte sich unter anderem beim Bildungsniveau der hier Ankommenden: Aktuell herrscht dort eine Analphabetenquote von 38 Prozent - angesichts dieser Zahlen war das anfangs geplante Kurssystem gar nicht durchführbar. Intensive Vorlaufkurse müssen nun viele Menschen erst einmal auf ein Niveau bringen, von dem aus sie tatsächlich in Kursen durchstarten können.

Analphabet nicht gleich Analphabet
Die VHS-Direktorin Regina Seibel stellte hierbei klar, dass es im Bereich Analphabetismus entscheidende Abstufungen gibt: Denn etwa die Hälfte dieser Gruppe beherrscht sehr wohl die arabische Schrift - jedoch nicht die lateinische. Dennoch stellt das Erlernen einer neuen Sprache innerhalb kürzester Zeit auch für gebildete Menschen einen enormen Kraftakt dar: „Sie müssen sich vorstellen, sie müssen jetzt die arabische Schrift innerhalb weniger Monate erlernen, und zwar so, dass sie sie lesen können und sie sie flüssig schreiben können“, so Seibel. „Da nützt manchmal ein Perspektivwechsel.“

Etwa 75 Prozent der hier ankommenden Flüchtlinge werden beschult. Bislang haben 930 Flüchtlinge an Sprach- und Integrationskursen der VHS teilgenommen. Diese Kurse umfassen nicht nur die Vermittlung von Sprachkenntnissen, sondern auch von Inhalten, die dem Einbürgerungstest ähneln, wie etwa zum politischen System in Deutschland oder der Gleichstellung der Geschlechter. Bereits 19 Kursteilnehmer haben mittlerweile den Deutschtest bestanden. 13 davon wurde das Erreichen der Niveaustufe B1 attestiert, die zur Einbürgerung in Deutschland erforderlich ist. Die anderen dürfen in weiteren 300 Unterrichtsstunden versuchen, ebenfalls die Stufe B1 zu erreichen. Aktuell stehen 200 Kursteilnehmer kurz vor der Prüfung.

Jedoch sind bislang 403 Flüchtlinge auch trotz mehrmaliger Einladung nicht zu den Sprachtests erschienen, die zwar ein freiwilliges Angebot darstellen, jedoch auch eine Grundvoraussetzung zur Teilnahme an den Sprach- und Integrationskursen sind. „Auch das gehört zum Bild“, so Kollmeier. Die Ursachen für eine solche Verweigerungshaltung sind vielfältig, wie Regina Seibel berichten kann: „Viele Menschen kommen nach einer jahrelangen Flucht hier an, müssen sich erst mal orientieren. Dann bekommen sie gesagt, sie können Deutsch lernen - manche denken jedoch: ‚Ich will hier gar nicht bleiben‘, so die VHS-Direktorin. Hinzu kommen noch teils schwer kranke Menschen, zerrissene Familien und stark traumatisierte Flüchtlinge. „Die Gründe sind so unterschiedlich, wie die Menschen, die nicht kommen“, bringt es Seibel auf den Punkt.

Integration in den Arbeitsmarkt
„Wie bringen wir die Menschen nun in Arbeit?“ Dieser Fragestellung widmete sich im Rahmen des Pressegesprächs der Kreisabgeordnete Johannes Baron und verwies hier zunächst auf eine weitere Grundvoraussetzung, die lange nicht so obligatorisch erfolgt ist wie landläufig angenommen: „Wir können jetzt im Oktober 2016 zum ersten Mal davon sprechen, dass alle Flüchtlinge im Main-Taunus-Kreis einen Asylantrag stellen konnten“, so Baron. Es herrscht inzwischen eine Situation der Erfassung, der Antragstellung und auch schon einiger Entscheidungen. Mit diesen Entscheidungen kann man nun arbeiten: Zum einen hofft er darauf, dass das Land bald die Infrastruktur so aufstellt, dass die notwendigen Abschiebungen erfolgen. Zum anderen erfordern die Entscheidungen für die Bürger, die bleiben können, nun weitere Maßnahmen zu deren Integration in den Arbeitsmarkt.

Bis zum Jahresende werden sich etwa 3.000 Flüchtlinge im Main-Taunus-Kreis befinden. Etwa ein Drittel davon wird in den nächsten Monaten nicht anerkannt werden, während 2.000 anerkannte Flüchtlinge dann in das Zweite Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wechseln können - was nicht automatisch geschehen wird: Hier ist ein entsprechender Antrag notwendig. Es wird laut Baron zwar ein paar wenige Fälle geben, wo man nach der Anerkennung direkt selbst Arbeit finden wird, beispielsweise bei einem Verwandten. Der Regelfall wird nach Ansicht des Kreisbeigeordneten jedoch sein, dass diese Personen nach der Anerkennung durch das BAMF oder nach einer Entscheidung von einem Verwaltungsgericht zu SGB-II-Antragstellern werden.

Diese Entwicklung wird sich deutlich in der Arbeitslosenstatistik niederschlagen: Im MTK befinden sich derzeit erstmals mehr als 10.000 Menschen im SGB II. Die Zahl ist innerhalb eines Jahres um 500 gewachsen, was fast ausschließlich an anerkannten Flüchtlingen liegt, so Baron. Die SGB-II-Arbeitslosenquote wird aus diesen Gründen weiterhin steigen, und deshalb ist es unbedingt erforderlich, mit diesem Personenkreis jetzt schon entsprechend umzugehen und wichtige Maßnahmen einzuleiten. Und hier spricht Baron nicht von Maßnahmen, die die Leute kurzfristig in eine Beschäftigung bringen können. Vielmehr ist eine intensive Beschäftigung mit den Menschen über einen langen Zeitraum notwendig. Es kann zuweilen fünf bis sieben Jahre dauern, bis eine Integration in den hiesigen Arbeitsmarkt stattfinden kann.

Um für die einzelnen Anerkannten die passenden Maßnahmen einleiten zu können, muss man wissen, mit wem man es zu tun hat. Hier hat sich in den letzten Monaten einiges getan, wie Baron erfreut feststellt: „Wir wissen sehr gut Bescheid über die Menschen, die hier sind. Das unterscheidet auch die Situation zu der vor einem Jahr, wo wir fast nichts wussten.“ Es wird zu individuellen Entscheidungen kommen, wie im SGB II üblich: Wo muss bei Sprache nachgesteuert werden? Wo bei der Schulbildung? Durch ein gezieltes Fallmanagement sollen die Menschen auf den Arbeitsmarkt gebracht werden. Dabei baut Baron auf die Unterstützung des Bundes: „Wir hoffen als Main-Taunus-Kreis, dass der Bund das wahr macht, was er zugesagt hat. Wir brauchen natürlich jetzt ganz andere Beträge für Arbeitsmarktmaßnahmen.“

 

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