Bader, Barbiere und Chirurgen

Vortrag bei der Arbeitsgemeinschaft Alt-Hochheim beleuchtete Dasein alter Branchen

Dr. Gabi Nick berichtete bei der Arbeitsgemeinschaft Alt-Hochheim über den Berufsstand der Barbiere, die in Hochheim lange mangels ausgebildeter Ärzte im Dorf auch chirurgische Eingriffe vornehmen durften.
(Foto: AAH)

HOCHHEIM (pm/ku) – Vor großer Zuhörerschaft referierte Dr. Gabi Nick bei der Arbeitsgemeinschaft Alt-Hochheim zum Thema medizinische Versorgung der Hochheimer im 18. und 19. Jahrhundert. Also zu jener Zeit, in der die Auswirkungen der Aufklärung zum Tragen kamen und politisch gesehen Hochheim im Jahr 1803 nach jahrhundertelanger Zugehörigkeit zum Kurfürstentum Mainz für 66 Jahre der Regentschaft des Herzogtums Nassau unterstand und 1869 unter preußische Herrschaft gelangte.

Zwar gab es im Kurfürstentum schon studierte „Medici“ mit Ausbildung auch in innerer Medizin, aber nur in geringer Zahl und meist in Städten praktizierend. Die einfache und ärmliche Bevölkerung, besonders auf dem Land, ging zu Badern, Barbieren oder Chirurgen, die in der Regel von medizinischer Tätigkeit alleine nicht hätten existieren können. Deren Ausbildung erfolgte in den (Handwerks-) Zünften. Der solchermaßen erworbene Wissensstand und Fertigkeiten konnten natürlich zudem nur mit den damals bekannten Instrumenten und Mitteln angewandt werden. Das dazu projizierte Bildmaterial, so einer Zahnentfernung in der Barbierstube, war durchaus gänsehautfördernd.

In Kurmainz wurde in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts die Stellung der universitären Medizin gestärkt und die Forderung aufgestellt, in jedem Amt einen Heilarzt, einen Wundarzt und eine Apotheke zu installieren, bei bis dahin nicht bekanntem festen Gehalt bzw. Einführung einer Gebührenordnung.

Dennoch konnte 1803 der neuen nassauischen Regierung vom Amt Hochheim nur gemeldet werden: „Es gibt weder einen Arzt noch einen Amtschirurgen oder Geburtshelfer.“ Lediglich ein Chirurg (und Bader) Sebastian Eckert und eine Hebamme seien vor Ort. Hochheim hatte 1682 Einwohner.

Die Nassauer reformierten nun kräftig. 1818 kam eine neue Verordnung, die im Kern das Ziel hatte, für die ärmere Bevölkerung eine finanzierbare und flächendeckende medizinische Versorgung zu gewährleisten. Qualitätsverbesserungen sollten insbesondere erreicht werden durch wissenschaftliche Ausbildung von Ärzten bei gleichzeitiger Einschränkung der einfachen Heilberufe, die zudem unter weitgehende ärztliche Aufsicht gestellt wurden. Nicht zugelassene „Individuen“ gehörten von da an zur Klasse der Bader. Ein solcher Umbruch brauchte naturgemäß seine Zeit, weil es an ausgebildeten Medizinern mangelte.

Orientiert an dem 1803 gemeldeten einzigen Chirurgen und Bader Eckert konnten in Verbindung mit Hochheim in davorliegender Zeit für 1652–54 ein Dr. Hohenstadt und ein Chirurg und gleichzeitig Gerichtsschreiber Ezelius festgestellt werden, der seine Barbierstube rund 30 Jahre „rühmlich“ gehalten hat und die Zulassung eines Konkurrenten abwehren konnte. Nach seinem Tod tritt sein Sohn Lorenz 1719 das berufliche Erbe an, wobei etwa zur gleichen Zeit durch Oswald Kaufmann, den Sohn des damaligen Oberschultheißen, eine zweite Barbierstube betrieben werden durfte. Kaufmann verstarb jedoch schon ein Jahr später.

Die Witwe Kaufmann heiratete schon 1721 einen Dr. Rudolph Walther, der die Barbierstube fortsetzen durfte, weil die voraussetzende „Gerechtigkeit“ hier wie auch ansonsten nicht an die Person, sondern ans Haus gebunden war. Nach seinem Tod 1757 wird mit Genehmigung des Mainzer Domkapitels der Jude Nathan Salomon Arzt in Hochheim. Neben ihm praktiziert dann ein zweiter Barbier und Chirurg namens Caietan Steinsky, der, aus Böhmen stammend, auch als Lehrer, Organist und Glöckner amtierte. Die Voraussetzung erlangte er durch Einheirat in die bekannte Familie Hochheimer. Er starb 1776. Seine Witwe heiratete schon 1777 den „Ausländer“ Peter Eckert aus Hesbach, der als Chirurg und Bader hier tätig sein konnte und – wie 1803 gemeldet – eine Alleinstellung inne hatte.

Diese verteidigte er in unablässigem Ringen gegenüber anderen Bewerbern unter anderem mit dem Argument, er habe die Zusage des Domkapitels, allein praktizieren zu dürfen. Delikater weise konnte er 1811, amtlich zur Vorlage des betreffenden Dekrets aufgefordert, selbiges „im Augenblick nicht finden“. Eckert verstarb 1819. Nach Eckert finden sich bis etwa Ende des 19. Jahrhunderts noch Namen von Badern und Barbieren wie Sigmayer (Geselle von Eckert), Karl Walther, Oscar Wetzel, Franz Baison und Johann Baur. Desweiteren ein Barbier und Heilgehülfe Carl Fritz, der in Hochheim eine familiäre Berufstradition gründete, die erst 2015 mit der Geschäftsaufgabe des Nachkommen Norbert Fritz nach rund 165 Jahren endete.

Carl hatte neben Barbieren und Frisieren noch die Lizenz für Heilbehandlungen wie Aderlass, Schröpfen, Blutegelsetzen und Zahnziehungen. Der anwesende Norbert nahm am Vortragsabend zum Ergötzen des Publikums die Gelegenheit wahr, an einer Person aus der Zuhörerschaft zu demonstrieren, wie das traditionelle Barbieren vom Einseifen bis zur Nachbehandlung – verletzungsfrei – vonstatten ging.

Der Vortrag endete mit großem Beifall und Dank als Anerkennung und Lohn für breite Forschungsarbeit im Hauptstaatsarchiv, im Stadtarchiv und mit den Kirchenbüchern, die in Verbindung mit persönlichen Befragungen ein solch fundiertes Referat ermöglichte.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X