„Zu Gottes Ehr in Stadt und Land“

Flörsheimer besuchen Gießerei Rincker in Sinn zum Guss der „Gloriosa“ / Erstmaliges Läuten der neuen Glocke am Verlobten Tag

Rund um die Glockengrube versammelten sich die Besucher aus Flörsheim.
(Fotos: Ernst Glöckner)

FLÖRSHEIM/SINN (gl) – Als die zwei Reisebusse mit der Flörsheimer Delegation um Willi Lauck und Pfarrer Jung am frühen Freitagnachmittag, 22. April, in Sinn vorfuhren, lag bereits unverkennbar ein besonderer Duft in der Luft. Schon durch das Fenster der Halle ließ sich eine lodernde Flamme erahnen. Und der Blick durch das Tor enttäuschte keineswegs: Bei Rincker wird Glockenguss mit Tradition betrieben! Das Unternehmen, das nachweislich seit 1590 unter diesem Namen und im Familienbesitz Glocken anfertigt, lieferte bereits 1948 und 1966 das Geläut von St. Gallus.

Trotz des Tosens des Brenners, der bereits seit Stunden die Bronze im Ofen zum Schmelzen brachte, und der Hitze, die dadurch entstand, versammelten sich die Flörsheimer rund um die Glockengrube. Von der Form selbst war – bis auf den „Einguss-trichter“ – nichts zu sehen. Dann betraten Glockengießer Hanns Martin Rincker und sein Team die Halle, der Ofen verstummte. Er begrüßte die Gäste und erläuterte das Vorgehen: Der Ofen müsse jetzt geöffnet werden, um zu prüfen, ob alles für den Guss vorbereitet werden kann. Dann werde die Schlacke abgezogen und Zinn hinzugegeben, um das Mischverhältnis von 80 Prozent Kupfer zu 20 Prozent Zinn zu erhalten.

Nun ging es schnell. Ein prüfender Blick, eine Messung, und schon trugen die Mitarbeiter die Barren herbei. Als das Gemisch mit einem Fichtenstamm verrührt wurde, konnte jeder das Brodeln des heißen Metalls hören. Eine weitere Messung verriet: Es kann gegossen werden! Mit 1.140 Grad sei das Metall flüssig genug, um diese große Glocke zu gießen. Rincker bat um Ruhe und Pfarrer Jung trat für ein kurzes Gebet nach vorne. Langsam wurde der Ofen geneigt, so dass durch die Rinne das orange leuchtende Metall gleichmäßig in die Form floss. Rauch breitete sich aus und schließlich war die Form voll. Pfarrer Jung stimmte „Großer Gott, wir loben dich“ an und die Gemeinde sang mit.

Ein Blick auf die Uhr zeigte „Altmeister“ Hans Becker, der mit seiner fast 40-jährigen Erfahrung die gesamte Glockenform aufgebaut hat: Drei Minuten zwanzig. Eigentlich messe man die Zeit nicht, doch bei so einer großen Glocke waren die Glockengießer dann selbst neugierig.

Rincker zeigte sich erleichtert: „Es ist alles gut gegangen, ich werde Ihnen nicht versprechen, dass die Glocke geraten ist, das werden wir erst dann sehen, wenn wir sie ausgepackt haben.“ Dann werde der Glockensachverständige sein Urteil abgeben können. Dennoch sei die Glocke „perfekt gegossen“. Doch noch muss die Glocke samt Form in der fünf Meter tiefen Glockengrube verweilen, bis sie von den Arbeitern vollständig ausgegraben wird. Denn damit die Form nicht springt, wurde sie in den Tagen vor dem Gießen fest in der Grube in Erde eingestampft. Und dennoch spürten die Glockengießer den Druck, als sich die Form mit dem heißen Material füllte.

Die Bemühungen des gesamten Teams, das Glockengießer Hanns Martin Rincker nach dem Glockenguss dem Publikum stolz vorstellte, honorierten die Flörsheimer mit Applaus.

Eine Glocke dieses Ausmaßes herzustellen, war auch für die Glockengießer etwas Besonderes, schließlich wurde eine solche zuletzt in den 1960er-Jahren in den eigenen Hallen angefertigt. „Der Ofen war heute bis zur Oberkante der Unterlippe voll“, so Rincker. Für die zwei Meter hohe Glocke wurde ein Gewicht von 4.448 Kilogramm errechnet. 5,2 Tonnen Material fasst der Ofen. „Wir haben nur gesagt: Wenn an dieser großen Glocke irgendwas passiert, dann brauchen wir mehr Metall. Aber das kann bei so einer großen Glocke auch mal schnell 100 Kilo mehr oder weniger sein.“ Rincker war daher froh, dass viel Material in den Überlauf geflossen ist, denn so sei das kalkulierte Gewicht mehr oder weniger erreicht.

Wie selbstverständlich durfte nach dem Guss die Gießerei besichtigt werden. Dabei wurden auch alle Facetten des Handwerks von der Planung über den Formenbau und das Verzieren bis hin zum Gießen erläutert. Wie eine Glocke genau geformt wird, dass auch der richtige Ton erklingt, ist allerdings Gießergeheimnis … Tatsächlich verhält sich eine Glocke gar nicht wie ein Musikinstrument, vielmehr wird ihr „Schlagton“, in diesem Fall g0, durch mehrere „Teiltöne“ bestimmt.

Als besonderes Anschauungsobjekt konnte die „Falsche Glocke“ gezeigt werden: Darunter verstehen die Glockengießer das Gegenstück zur Gussform, das normalerweise bei der Fertigstellung ebenjener zu Bruch geht. Da die Form für „Gloriosa“ jedoch so gut gelungen ist, konnte das Werkstück aus gebranntem Lehm, das der späteren Bronzeglocke im Aussehen gleicht, im Ganzen geborgen und ausgestellt werden. Die fertige Glocke soll die Inschrift „Als Gloriosa im ehernen Gewand läut‘ ich zu Gottes Ehr in Stadt und Land – Verlobter Tag A D 2016“ tragen.

Wer beim Verlassen der Gießerei aufmerksam war, konnte am Hallentor auf einer Palette ein weiteres Schmuckstück entdecken: Hier stand bereits ausgegraben und gereinigt die kleine Glocke für den Dachreiter von St. Gallus, die zehn Tage zuvor gegossen worden war. Im Juli wird sie gemeinsam mit „Gloriosa“ die Reise nach Flörsheim antreten. Erstmals läuten soll die große Glocke zum Verlobten Tag dieses Jahres.

Für die Flörsheimer Reisegruppe stand kurz nach 16 Uhr die Heimfahrt an. An die eindrucksvollen Stunden in der Gießerei wird sich sicher der ein oder andere erinnern, wenn die Glocke „in Stadt und Land“ schallt.

Gebet für die Glocke
„Bitten wir den allmächtigen Gott, dass er unserem Vorhaben seinen Segen schenkt, er jetzt das Geschick der tüchtigen Glockengießer lenke und alles Bemühen zur Vollendung bringt.
Allmächtiger Gott, Herr des Himmels und der Erde, die ganze Schöpfung verkündet Dein Lob. Sieh auf das Werk unserer Hände und segne dieses flüssige Metall, das für den Guss unserer neuen Glocke bestimmt ist. Leite seine feurigen Ströme und schenke unserem Mühen Erfolg. Gib, dass die neue Glocke Deinen Namen verherrliche inmitten Deiner Gemeinde in Flörsheim. Das gewähre uns durch Christus, unseren Herrn. Amen. Reicher Segen komme jetzt auf uns herab. Gott lasse das große Werk gelingen: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“

 

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