Die Bühne voll mit lauter engagierten Menschen

Bürgerempfang der Stadt und der Stadtverordnetenversammlung mit Ehrungen am Feiertag

Das bisher wenig bekannte Wirken der Igelgruppe in Bad Weilbach soll durch die Auszeichnung in der Kategorie "Dank und Anerkennung" in den Fokus rücken.

Wenn die Deutschen am 3. Oktober des Jahrestages ihrer Wiedervereinigung im Jahr 1990 gedenken, laden die Stadt Flörsheim und ihre Stadtverordnetenversammlung zu einer eigenen Feierstunde ein, die gleich zwei Schwerpunkte setzt: Neben einem Gastvortrag, der in diesem Jahr einen interessanten Aspekt der bundesrepublikanischen Geschichte beleuchtete, zeichnen der Bürgermeister und der Stadtverordnetenvorsteher verdiente Bürgerinnen und Bürger für ihr ehrenamtliches Engagement aus. Deshalb nannte sich die rund 75-minütige Veranstaltung in der Stadthalle am Dienstag auch „Bürgerempfang“, auch wenn das Interesse an ihr außerhalb des Kreises der eingeladenen Beteiligten begrenzt ist.

Es ist gerade das Erfreuliche an der Lebenswirklichkeit in Flörsheim, dass es in der Stadt entgegen aller Unkenrufe, bisher jedenfalls, nicht an verdienten Kandidatinnen und Kandidaten für die Auszeichnungen in den verschiedenen Kategorien fehlt, die die Ehrenordnung der Stadt kennt. Ein Dutzend Personen und Gruppen durften sich auf der Bühne der Stadthalle zeigen und ihre Urkunden und Geschenke oder Auszeichnungen entgegennehmen. Umrahmt war das Programm von Auftritten des Chors „in Takt“ des Gesangsvereins Sängerlust Wicker.

Schulabsolventen

Eine außergewöhnliche Kategorie der Auszeichnungen ist die erste, die Bürgermeister Bernd Blisch und Stadtverordnetenvorsteher Michael Kröhle präsentierten. Die beiden weiterführenden Schulen in der Stadt, die Sophie-Scholl-Schule und das Graf-Stauffenberg-Gymnasium, benennen jährlich Absolventinnen oder Absolventen, die sich in ihrer Schulzeit besonders durch ehrenamtliches Engagement für die Schulgemeinschaft ausgezeichnet haben.

Hier gehe es nicht um das Belohnen besonders guter Schulloten, „aber es stellt sich immer wieder heraus, das diejenigen, die sich besonders engagieren, in der Regel auch gute Noten vorweisen können“, sagte Blisch. Von ihren Zeugnisnoten mussten weder Hanna Frey (Sophie-Scholl-Schule) noch Katharina Hofmann und Louisa Spielmann (Stauffenberg-Gymnasium) berichten, die in diesem Jahr die Auszeichnung in der Kategorie erhielten.

Hanna Frey ist eine ehemalige Schülersprecherin an der Sophie-Scholl-Schule, in dieser Funktion habe sie „die Arbeit der Schülervertretung gestärkt und gefestigt sowie integrierend in der Schulgemeinde gewirkt“, heißt es in der Begründung der Schule für die Benennung. Konkret organisierte sie die Aktionen im Rahmen des an das „Stadtradeln“ angelehnte „Schulradelns“, sammelte Spenden für die Clowndoktoren und die Kinderkrebshilfe. Auch an einer Spendenaktion für die Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien, hier mit Unterstützung der Lehrkräfte von der Schülervertretung umgesetzt, war Frey treibende Kraft. Dabei kamen Spenden von rund 1.300 Euro zusammen.

Die Abiturientinnen Katharina Hofmann und Louisa Spielmann haben laut Laudatio in ihrer gesamten Schulzeit am Graf-Stauffenberg-Gymnasium am Schwerpunkt Musik teilgenommen. Sie waren bei allen Konzerten und Aufführungen der „Big Band“ der Schule dabei und haben diese aktiv mitgestaltet. Auch beim preisgekrönten Hörspiel „Das Stauffenberg-Projekt“ waren die Schülerinnen engagiert, als Einsprecherinnen wie als Komponistinnen für den Soundtrack. Beide sind über das Engagement an der Schule hinaus auch in örtlichen Vereinen aktiv. Gemeinsam als Mitglieder des Orchesters des Musikvereins Flörsheim, Spielmann darüber hinaus bei der DJK Schwarzweiß Flörsheim als Übungsleiterin, Hofmann in der St.-Gallus-Kirchengemeinde als Lektorin und Oberministrantin.

Dank und Anerkennung

In dieser Kategorie wurden in diesem Jahr eine Einzelperson und zwei Gruppen ausgezeichnet. Seit sensationellen 50 Jahren gehört Reinhold Bolz ununterbrochen dem Vorstand des Gesangvereines Sängerlust Wicker an. 1999 wurde er 1. Vorsitzender des Vereins – nach 19 Jahren als 2. Vorsitzender. Inzwischen geht Bolz somit in sein 25. Jahr als Chef des Wickerer Gesangsvereins – seltene Daten eines ehrenamtlichen Engagements.

Angelika Haacke stand zwar als Einzige von der ersten der beiden ausgezeichneten Gruppen auf der Ehrungsliste, die Initiatorin der Igelgruppe in Bad Weilbach stand aber inmitten ihrer Mitstreitenden auf der Bühne. „Igelgruppe“ ist nicht etwa der Name einer Kita-Einheit, vielmehr ist sie tatsächlich mit wahrhaftigen Igeln beschäftigt.

Es ist eine der vielen Tierarten, die unter den sich verändernden klimatischen Verhältnissen leidet. Die Gruppe kümmert sich – in Absprache mit dem städtischen Baubetriebshof – um die stacheligen Tierchen, vor allem durch das Aufstellen von Igelhäuschen. Die werden natürlich regelmäßig mit Futter und frischem Wasser ausgestattet. Eine Initiative, von der über Bad Weilbach hinaus noch nicht viel zu hören war, „deshalb dachten wir uns, holen wir sie mal auf die Bühne“, sagte Blisch.

Von der Flörsheimer Ahmadiyya Muslim Jamaat-Gemeinde standen zehn Mitglieder der Gruppe „Humanity First“ auf der Bühne, der Großteil in hellblauen Westen ihrer Organisation. Denn ein Dutzend Flörsheimer Ahmadiyyas machte sich nach dem verheerenden Erdbeben in Syrien und der Türkei vom 6. Februar mit 57.000 Toten auf in den Südosten der Türkei, um an einem Hilfseinsatz von Humanity First Deutschland teilzunehmen.

In Belen betrieb Humanity First eine Küche und sorgte so dafür, dass die Erdbebenopfer mit Speisen, aber auch Kleidung und Medizin versorgt werden konnten. Auch fuhren Fahrzeuge der Organisation in die umliegenden Zeltstädte, wo Humanity First die Hilfsgüter verteilte. „Das war ein wichtiger Einsatz des humanitären Engagements in der Türkei, Sie machen aber auch viel in Flörsheim für die Gemeinschaft“, betonte Michael Kröhle.

Preis für bürgerschaftliches Engagement

Auch im Ahrtal kam und kommt nach der Naturkatastrophe Hilfe aus Flörsheim an. In der Kategorie „Bürgerschaftliches Engagement“ zeichneten Blisch und Kröhle die Gruppe ‚„AHRtacke“ aus. Christian Köhler, Stephan Tiebach und Lena Rohde wurden als namentliche Repräsentanten der deutlich größeren Gruppe benannt, die sich im September 2021 nach der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal zusammenfand, als 134 Menschen ums Leben kamen und Schäden in Milliardenhöhe entstanden. Seither ist die Gruppe dort im Einsatz und engagierte sich bei den Aufräum- und Handwerksarbeiten, aber auch bei der Spendenakquise. Das Engagement hält bis heute an, aktuell, indem sie bei einem monatlichen Einsatz die Gärten von nicht versicherten Familien und Senioren wieder herzurichten helfen. Das Engagement wurde mit 1.200 Euro für die weitere Arbeit honoriert. „Ich verstehe nicht, warum es 2023 im Ahrtal immer noch nicht wieder so aussieht, wie es aussehen sollte, in einem so reichen Land wie Deutschland“, kommentierte Bernd Blisch die Situation in dem Gebiet.

Stadtplaketten

In dieser Kategorie werden in der Regel große Jubiläen Flörsheimer Vereine honoriert. In diesem Jahr wurden in zwei Fällen Jubiläen aus den Vorjahren nachgeholt. So war die VdK-Ortsgruppe Weilbach, 1947 gegründet, im Jahr 2022 seit 75 Jahren am Start, um ihre Mitglieder zu Themen wie Rente, Gesundheit, Pflege und soziale Sicherung zu beraten. Die Ehrenordnung der Stadt sieht dafür die Stadtplakette in Silber vor, die Peer-Eric Neugebauer stellvertretend entgegennahm.

Das Jubiläum des Schachclubs Flörsheim 1921 liegt noch ein Jahr länger zurück. Der Verein konnte sein 100-jähriges Bestehen wegen der Corona-Regelungen im November 2021 nicht feiern. Dem Verein steht aber laut Ehrenordnung die Stadtplakette in Gold zu, die der Vorstand nun entgegennehmen durfte.

Stolze 175 Jahre besteht in diesem Jahr die Wickerer Bäckerei Volk. Neben Backwaren gab es in den von Franz Volk 1848 eröffneten Laden auch Lebensmittel und Tabakwaren zu erwerben – und nebenbei gründete er auch noch den TV Wicker mit, wie Historiker Bernd Blisch ergänzte. Aktuell leitet Carsten Volk den Betrieb in sechster Generation. Für das Firmenjubiläum sieht die Ehrenordnung der Stadt die Stadtplakette in Gold vor, die das Ehepaar Volk auf der Bühne überreicht bekam.

Bürgermedaillen

Diese Auszeichnung in Bronze stand nach der Ehrenordnung in diesem Jahr der Firma Andreas Ruppert Dackdeckermeister zu, die vor 50 Jahren vom Vater des heutigen Firmeninhabers, Anton Georg Ruppert, gegründet worden war.

Zudem erhielten Harald Schmengler für seine langjährige Tätigkeit als Ortsgerichtsvorsteher in Weilbach und Bernhard Lauck nach 30 Jahren als Ortsgerichtsschöffe in der Stadtmitte die Bürgermedaille in Silber verliehen, dies hatte allerdings schon das Amtsgericht Wiesbaden bei einer eigenen Feierstunde im Sommer übernommen.

Elisabeth Selberts Wirken

Der Fachvortrag zum Tag der Deutschen Einheit kam in diesem Jahr von Deike Wichmann. Die Politologin, beruflich im Hofheimer Kreishaus für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, schilderte wie es der seinerzeit allzu fortschrittliche Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland geschafft hat (Artikel 3 Absatz 2). Was sich heute, unabhängig von der Realität, nach einer als Selbstverständlichkeit anzusehenden Bestimmung anhört, war eigentlich nicht vorgesehen laut erstem Entwurf der künftigen Verfassung.

Es war einem einzigen Mitglied der 1948 bis 1949 die Verfassung ausarbeitenden Kommission, genannt Parlamentarischer Rat, zuzuschreiben, dass der Satz den Weg in den Gleichheits-Grundrechtsparagrafen fand. Die aus Kassel stammende, allerdings Niedersachsen vertretende SPD-Abgeordnete Elisabeth Selbert (1896 – 1986) forderte den Satz einzubauen und „war sich ihres revolutionären Charakters bewusst“, betonte Wichmann. Diese Formulierung habe selbst ihre Parteigenossin Frieda Nadig, mit Selbert zusammen eine von nur vier Frauen im 65-köpfigen Rat, überfordert. Sie habe Selbert gefragt, „ob sie das gesamte deutsche Familienrecht aushebeln wolle".

Tatsächlich scheiterte Selbert im ersten Anlauf mit ihrem Ansinnen, der Hauptausschuss des Rates lehnte ihn Ende 1948 mit elf gegen neun Stimmen ab. Aber Selbert blieb am Ball, warb in den kommenden Wochen in Vorträgen und Artikeln für ihr Ansinnen. Ihre Zielgruppe, die sie auch direkt ansprach: die Ehefrauen der CDU-Vertreter in dem Gremium. Das funktionierte, die zweite Abstimmung Anfang 1949 ging einstimmig für die Formulierung aus. „Ich hatte einen Zipfel Macht in der Hand, und das habe ich ausgenutzt“, erklärte die Sozialdemokratin laut Wichmann ihren Coup später.

Die Umsetzung des so formulierten Grundrechts in Gesetzesnormen brauchte viel Anlaufzeit. Erst 1958 wurde das Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet, erst danach konnten Ehefrauen eigenes Vermögen halten und ein eigenes Konto führen und mussten ihren Ehemann nicht mehr um die Erlaubnis bitten, arbeiten zu dürfen. Erst in den 1970er- bis 1990er-Jahren wurden auch das Namens- und das Scheidungsrecht modernisiert. „Selbert hat den ersten Schritt getan, ohne den die weiteren nicht denkbar waren“, resümierte Wichmann die Wirkung der verfassungsgebenden Frau. Sie sei ein Beispiel dafür, welchen Unterschied eine einzige Person machen kann.

Kröhle beschreibt die aktuelle Lage

Nach den Ehrungen und einem weiteren Musikbeitrag von „in Takt“, in dem der Wickerer Riesling zu seinem Recht kam, hielt Michael Kröhle das Schlusswort, in dem er die aktuelle Lage in Deutschland beleuchtete und sich zu den wichtigsten Themengebieten positionierte. Die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu verwirklichen sei eigentlich ganz einfach, nahm er Bezug auf das Referat Wichmanns. „Wenn man die Qualifikation als einziges Kriterium nehmen würde, könnte man sich viele, wenig zielführende Diskussionen ersparen“, meinte er.

Angesichts der vielen Krisenthemen wie Infrastruktur, Energie oder Fachkräftemangel scheine es so, dass „alles, was dieses Land mal groß gemacht hat, verlorengegangen ist“. Nur noch wenige seien bereit, sich ehrenamtlich einzubringen, und diese müssten sich dann auch noch kritisieren und angreifen lassen. Kröhle entdeckte hier Parallelen zur Fußball-Nationalmannschaft, die viele Einzelkünstler besitze, aber keine Gemeinschaft bildet. Dies sei ein besonderes Problem der „Generation Z“, weshalb er den Vorschlag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterstütze, ein verpflichtendes soziales Pflichtdienstjahr für junge Menschen einzuführen.

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