Disteln für den Kämmerer

Als Sven Heß am 11. April nach ernsten, eindringlichen Worten das Rednerpult verließ, herrschte im Stadtparlament dröhnende Stille. Der Kämmerer hatte in seiner Stellungnahme die Umsetzung der vom Haupt- und Finanzausschuss empfohlenen, schlussendlich von den Stadtverordneten beschlossenen, Änderungen im Haushalt verkündet und zugleich vor den Kürzungen bei den Sach- und Dienstleistungen gewarnt, die aus seiner Sicht zu Engpässen im laufenden Haushaltsjahr führen werden. Heß war seinem Credo treu geblieben, unbequeme Wahrheiten auszusprechen und die Stadtverordneten auf ihre Verantwortung, sprich ihr folgenreiches Handeln, hinzuweisen. Das kam auch in dieser denkwürdigen Sitzung des Stadtparlaments nicht gut an.

Heß wurde in den Haushaltsreden der Fraktionen reihum abgestraft; allein die Freien Bürger hielten sich an diesem Tag zurück, was der Abwesenheit ihres Fraktionsvorsitzenden geschuldet sein mochte. Man wollte, das war zu spüren, noch einmal mit dem scheidenden Kämmerer abrechnen. Dahinter steckt ein gewisses Maß an Frustration. Niemand war, gelinde gesagt, wirklich glücklich über das, was an jenem 11. April zur Beschlussfassung vorlag: Kürzungen, Verschiebungen, Streichungen, Steuererhöhungen – ein Haushalt aus dem Jammertal. Das ernüchternde Ergebnis eines sich über mehrere Monate erstreckenden, holprigen Weges. Heß hatte bei der Einbringung des Haushalts Ende Januar eine saftige Steuererhöhung (680 Prozent Grundsteuer, 380 Prozent Gewerbesteuer) als "Arbeitsgrundlage" serviert; es blieb den Stadtverordneten überlassen, daran etwas zu ändern.

SPD und FDP wollten die Hebesätze am liebsten unberührt lassen, hatten bei den Haushaltsberatungen aber in der Summe nichts zu bieten, mit dem eine Steuererhöhung zu vermeiden gewesen wäre. Das Dreierbündnis indes drückte die Heß'sche Vorgabe bei den Grundsteuern um 130 Punkte auf 550 Prozent, setzte aber bei der Gewerbesteuer (nun 395 Prozent) nochmals 15 Punkte drauf.

Das habe man dank des ausgezeichneten Dialogs mit der Stadtverwaltung, zu der Sven Heß im Übrigen gehört, hinbekommen, betonten CDU, GALF und dfb unisono. Und alles hätte noch viel besser funktioniert, wenn Heß seinen Job besser gemacht hätte – Rosen für die Stadtverwaltung, Disteln für den Kämmerer. Die Parlamentarier machten keinen Hehl daraus, dass sie den letzten Arbeitstag des amtierenden Kämmerers herbeisehnen – ob sie nun Renate Mohr als dessen Nachfolgerin unterstützten oder nicht.

Eine bemerkenswerte Situation, die das Resultat eines Prozesses ist, der schon bald nach der Kommunalwahl 2016 begann. Damals waren die Kräfteverhältnisse im Stadtparlament gründlich verschoben worden, die Koalition von SPD und GALF war zerbrochen. Wenn fortan der (damalige) Bürgermeister Michael Antenbrink in der Kritik stand, wiesen die Sozialdemokraten stets darauf hin, dass das Viererbündnis mit Sven Heß schließlich den Ersten Stadtrat und Kämmerer sowie die parlamentarische Mehrheit stelle. Heß dagegen hatte immer betont, sein Amt ungeachtet seiner "politischen Heimat", also der GALF, auszuüben.

Der Ton seitens der SPD verschärfte sich im Laufe der letzten drei Jahre – und auch die Fraktionen des Vierer- respektive Dreierbündnisses gingen zu Heß auf Distanz. Unter Bürgermeister Antenbrink wäre ihnen wohl ein von der SPD gestellter Erster Stadtrat am liebsten gewesen. Dann wäre, in taktischer Hinsicht, vieles unkomplizierter gewesen. Selbst die GALF, in den ersten drei Jahren seiner Amtszeit voll des Lobes für Heß, wurde zunehmend schweigsamer – zuletzt setzte es heftige, offene Kritik aus der politischen Heimat des Kämmerers. Dabei arbeitete Heß vom Tag seines Amtsantritts an auf unverändertem Niveau; die politische Konstellation um ihn herum wandelte sich jedoch beträchtlich. Seine Haushaltsführung, von SPD, GALF, dem dfb und sogar von der CDU noch vor fünf Jahren ausdrücklich als "sauber und professionell" gelobt, wird nun von denselben Wortführern in den Fraktionen verrissen.

Nicht erst bei der jüngsten Sitzung des Stadtparlaments wurde "gemeinsam" – das Schlagwort der siegreich aus dem Bürgermeisterwahlkampf hervorgegangenen Unterstützer Bernd Blischs – zur Attacke gegen den Kämmerer geritten. "Gemeinsam" etwas zu tun, ist aber auch in einer Demokratie kein Qualitätsmerkmal: Wenn alle an einem Strang ziehen, wird nicht selten jemand aufgeknüpft.

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