Wo sich Flörsheim neue Bürger erbauen kann

Welche Flächen für eine Wohnbebauung überhaupt in Frage kommen und was das ISEK dazu festlegte

Angemeldet für den Regionalen Flächennutzungsplan ist in Wicker bereits die eineinhalb Hektar große Fläche "Auf dem Goldborn".

Die Nachfrage nach Wohnraum – vor allem für Normalverdiener bezahlbaren – ist im Rhein-Main-Gebiet ungebrochen. Der demographische Wandel, erwarten die Experten, wird irgendwann auch in unserer Region ankommen, für die nächsten Jahre bleibt sie aber eindeutig Zuzugsraum. Die Attraktivität erklärt sich dabei vornehmlich aus dem Arbeitsplatzangebot der Großstädte und ihres Speckgürtels, von dem auch Flörsheim profitiert – mittendrin im Dreieck Frankfurt, Wiesbaden und Mainz gelegen gar in Ost- wie Westrichtung. „Es ist davon auszugehen, dass Flörsheim aufgrund der attraktiven Lage im Rhein-Main-Gebiet auch in Zukunft weiter wachsen wird“, hält das Integrierte Städtebauliche Entwicklungskonzept Flörsheim 2040 (ISEK) daher fest.

Das kann man als Chance für die Stadt sehen, mehr Bürger heißt den allgemeinen Erwartungen nach schließlich mehr Steuereinnahmen. Bis 2040, Zielmarke des Konzepts, errechnet sich bei einer Fortsetzung der in den vergangenen 20 Jahren beobachteten linearen Entwicklung ein Zuwachs von 3.400 zusätzlichen Bürgerinnen und Bürgern. Aber so einfach ist das nicht. Der Druck auf den Wohnungsmarkt bereitet nicht unerhebliche Probleme, denn er kann in der Innenstadt eigentlich nicht gelöst werden. Auf den Punkt gebracht, trifft hier eine hohe Nachfrage, die eigentlich Bauaktivitäten auslösen sollte, auf den Status eines Siedlungsbeschränkungsgebiets. Die Politik der kommenden Jahre kann natürlich beeinflussen, welche Entwicklungen Flörsheim tatsächlich nehmen wird. Das ISEK sieht einen Lenkungsbedarf der Nachfrage nach Wohnraum, der wegführt von der Stadtmitte.

Denn der Einwohnerzuwachs der vergangenen Jahre geht fast ausschließlich auf das Konto der Stadtmitte (seit 1999 plus 24 Prozent) und zu einem kleineren Teil auf Weilbach (plus vier Prozent), während in Wicker (minus ein Prozent) und vor allem in Keramag/Falkenberg (minus 14 Prozent) der Trend negativ war. Was die Entwicklung des Wohnungsbestandes in der Stadt angeht, ist eine Analyse gar nicht so einfach: Es fehlten dazu einfach die Daten, hält das ISEK fest. Bekannt ist, dass weniger Menschen auf den vorhandenen Wohnflächen leben als früher, ein zusätzlicher Faktor für den steigenden Flächenbedarf für Neubauprojekte. Zahlen liegen für 2018 vor: Demnach gab es in Flörsheim damals 9.707 Wohnungen, eine durchschnittliche Wohnfläche pro Einwohner von 43,1 Quadratmetern sowie im Schnitt 2,27 Einwohner pro Wohneinheit.

Eine spezielle Problemlage in Flörsheim sehen die Stadtplaner durch den Überhang an größeren Wohnungen, den größten Anteil stellen rund 2.500 Vier-Zimmer-Wohnungen mit alleine gut 25 Prozent aller Einheiten. Der steigenden Nachfrage nach Ein- oder Zwei-Zimmer-Wohnungen kann in Flörsheim mangels Angeboten derzeit nicht entsprochen werden, sie stellen zusammen weniger als zehn Prozent des Bestandes. Hinzu kommt eine große Unterversorgung mit Sozialwohnungen, deren Bestand in Flörsheim seit vielen Jahren durch auslaufende Bindungen im Sinkflug ist, ohne dass die Stadt jemals dagegengesteuert hätte.

Die aktuell noch 230 Sozialwohnungen in der Stadt entsprechen gerade 2,4 Prozent des gesamten Wohnungsbestands. Und nur 70 davon befänden sich im Eigentum der Stadt, bei allen anderen ende die Bindung in den kommenden Jahren, betont das ISEK. Alleine Ende 2022 werden weitere 28 Wohnungen herausfallen. „Es ist davon auszugehen, dass auch in Flörsheim ein hoher Bedarf an Sozialwohnungen besteht“, erwarten die Planer. „Der aktuell sehr niedrige Stand ist ein akutes Problem, das die Stadt in naher Zukunft bewältigen muss.“ Am besten auf Dauer ausgerichtet, indem sie selbst wieder verstärkt als Eigentümer der gebundenen Wohnungen auftritt, lautet die Empfehlung.

Auf Basis der Datenlage errechnet das ISEK für Flörsheim einen Bedarf von 1.700 neuen Wohnungen bis 2040, das entspräche 85 Wohnungen pro Jahr. Das klingt nach riesigen Aktivitäten, die laut dem Konzept von der Stadt zu entwickeln wären. Diese Schätzung sei allerdings eher als konservativ anzusehen, betonen die Autoren. Geschieht wie derzeit weiterhin zu wenig in der Richtung, wird sich dies in weiter steigenden Mieten und Immobilienpreisen niederschlagen.

Aber wo soll der zusätzliche Wohnraum herkommen? Auch diesem Thema widmet sich das ISEK in der Bestandsanalyse wie in der Konzeption selbst ausführlich. Hier kann der Aspekt des Status als Siedlungsbeschränkungsgebiet nicht ohne Auswirkung bleiben. „Großflächig können nur in Wicker und Weilbach neue Baugebiete ausgewiesen werden“, stellt das ISEK klar. Der Trend der vergangenen 20 Jahre, in dem das Wachstum vornehmlich die Stadtmitte betraf, wird sich so nicht fortsetzen lassen. Dennoch ist der erste Schritt einer Planung zu entscheiden, wo zusätzlicher Wohnraum entstehen soll. Die Stadt müsse daher grundsätzlich klären, „welchen Charakter das zukünftige Wachstum der Ortsteile haben soll“.

Denn auch im Siedlungsbeschränkungsgebiet Stadtmitte ist, eben nicht durch Flächenerweiterungen an den Rändern der Bebauung, sondern in der Innenverdichtung, das eine oder andere Projekt denkbar. Ob man das mit allen Folgen der Verkehrsflüsse und des Mikroklimas in der Innenstadt will, ist freilich die große Frage. Denn natürlich kommen in der Stadtmitte als Neubauflächen vor allem die Brach- und Grünflächen in den Fokus. Die Innenstadt verfügt zwar auch, wie das ISEK nicht verschweigt, über den Bebauungsplan Nord IV, der eine rund 5,9 Hektar große Ackerfläche östlich der Werner-von-Siemens-Straße bis zur B519 nach Weilbach und nördlich der Rheinallee beschreibt. Das ist aber, solange der Status als Siedlungsbeschränkungsgebiet gilt, kein Vorhaben mit Umsetzungschance.

Potenziale in der Stadtmitte

Das ISEK führt auf, welche Entwicklungsflächen mit welchem Status in den Flächennutzungsplänen (FNP) in Flörsheim und den Stadtteilen zu finden sind oder denkbar wären. Grundsätzlich gibt es die Kategorien

  • Neubaugebiete in Planung
  • Potenzialflächen laut FNP
  • Angemeldete Flächen zur FNP-Fortschreibung
  • Potenzialflächen Siedlungsrand
  • Potenzialflächen Innenbereich.

In der Innenstadt ist eine einzige „Potenzialfläche Innenbereich“ ausgewiesen, das kleine Ackergrundstück westlich der Rheinallee und südlich der Riedstraße. Ansonsten gibt es lediglich noch drei Flächen, die der dritten Kategorie (zur FNP-Fortschreibung angemeldet) zuzuordnen sind. Sie „sollten aufgrund ihrer Lage prioritär behandelt werden, sind aber potenziell problematisch wegen vorhandener Nutzungen, Besitzverhältnisse, usw.“, umschreibt das ISEK diese Kategorie.

Bei einer dieser drei Flächen ist dies nicht zu befürchten. Sie ist bestens bekannt aus der Leitprojekt-Liste des ISEK, nämlich der Bereich Bahnhof-Nordseite. Hier empfiehlt das ISEK zwar auch Wohnbebauung, auch mit Sozialbindung, angesichts des zentralen Ortes mit seiner das Stadtbild prägenden Funktion ist hier aber keine Verdichtung zu empfehlen und zudem auch öffentlich nutzbarer Raum, etwa durch Geschäfte. Bei den anderen beiden innerstädtischen Flächen dieser Kategorie liegen die Probleme auf der Hand: Es ist zum einen der vor der Entwidmung stehende Alte Friedhof zwischen Jahnstraße und Anne-Frank-Weg, sowie die Grünfläche an der Riedstraße, einschließlich des dortigen Spielplatzes an der Ecke Maler-Schütz-Straße.

In beiden Fällen kann es nahezu ausgeschlossen werden, dass sich politische Mehrheiten finden, hier rechtlich machbare Wohnbauprojekte auf den Weg zu bringen. Im Falle des Friedhofs ist die Diskussion erst angelaufen, was dort nach der Entwidmung 2029 geschehen soll – die Tendenz geht hier aber ganz klar in Richtung Erholungsstätte, sprich Grün- und Parkfläche. Mit der Entwicklung entsprechender Konzepte beschäftigen sich im Auftrag der Stadt bereits Landschaftsarchitektur-Studentinnen der Hochschule Geisenheim mit einer Nutzungsplanung. Damit schält sich heraus: Mit den Potenzialflächen kommt man in der Innenstadt auch nicht weiter.

Herrnberg im Fokus

Das ISEK widmet sich deshalb ausführlich dem Entwicklungspotenzial des Herrnberg-Areals, nachdem klar ist, dass hier in den Parteien und Fraktionen ein deutlich geäußerter Wille vorhanden ist, zügig zu einer Neuordnung zu kommen. Ob das für das Wohnungsangebot etwas bringt, ist zum jetzige Zeitpunkt völlig unklar. Die Stadt und die Politik sehen das Projekt weniger unter dem Aspekt möglichen zusätzlichen Wohnraums, sondern ordnungspolitisch und um ein ansehnlicheres Entree am westlichen Stadtrand zu schaffen.

„Städtebaulich sind die Voraussetzungen für eine gute solide zukünftige Nutzungsstruktur gegeben“, betont das ISEK. „Sowohl für die bestehenden Gebäude als auch für die existierenden Freiflächen des Herrnberg-Areals kann man aktuell feststellen, dass eine Sanierung, eine Instandsetzung, eine Modernisierung, eine gestalterische Aufwertung oder eventuell eine Neuordnung (partiell oder in Gänze) sicherlich in eine ökonomisch tragfähige neue Nutzung des Ensembles münden kann.“ Der nicht mehr als solcher genutzte Hotelbau wäre, entsprechend umgebaut, ein Bilderbuchobjekt für die Schaffung von Sozialwohnungen – allerdings mehr nach der alten Schule.

Die Konzentration geförderten Wohnraums in solch einem einzigen Großkomplex wird heute eigentlich nicht mehr angestrebt. Noch ist auch überhaupt nicht klar, ob für das Gebäude in einer jetzigen Gestalt bei einer städtebaulichen Überplanung des Areals Platz wäre. Die Diskussion konnte noch gar nicht beginnen, weil bisher eine wichtige Voraussetzung für eine Umstrukturierung fehlt – der Zugriff auf den Komplex. Hier begann sich nun etwas zu bewegen. Die Stadt steht, wir Bürgermeister Bernd Blisch bestätigte, mit dem Eigentümer in Verhandlungen zur Übernahme des Ensembles (ohne des nördlich des Kreisels gelegenen Eckgrundstücks Kapellenstraße/Bürgermeister-Lauck-Straße), allerdings liegen die Preisvorstellungen wohl noch weit auseinander.

Das ISEK empfiehlt im Einzelnen für das Herrnberg-Areal:

  • Sanierung und Modernisierung des Hotelgebäudes, um es als Wohn- und/oder Dienstleistungsgebäude zu nutzen
  • Aufwertung der Freiflächen zur hochwertig gestalteten Frei- und Grünfläche
  • Neuordnung der Bebauung auf der gegenüberliegenden Nordseite der Kapellenstraße, Neubau einer „angemessenen Mischimmobilie" (Geschäfte und Wohnen).

Der letzte Punkt ließe sich nur bei einem Erwerb des gesamten Areals im Besitz des Bischofsheimer Eigentümers umsetzen, der offenbar nicht zur Debatte steht. Das ISEK empfiehlt, eine Machbarkeitsstudie über die städtebauliche Entwicklung der Fläche in Auftrag zu geben.

Wicker

Der kleinste Stadtteil bietet im Verhältnis zu seiner Größe eine ganze Menge, auch größere Potenzialflächen, allerdings kein mit einem fertigen B-Plan versehenes Areal. Nur eine Ackerfläche nördlich der Goldbornhalle („Waldstraße“) ist im FNP bereits als Entwicklungsfläche markiert. Das ISEK und die Fraktionen, wie sich zuletzt zeigte, haben im Osten und Norden der Wohnbebauung aber noch viel mehr vor als nur dieses gerade 1,6 Hektar große Areal zu entwickeln. Immerhin bereits angemeldet für die Fortschreibung des Regionalen Flächennutzungsplans ist die nördlich angrenzende, sich am Bogenverlauf der Feldbergstraße fortsetzende Ackerfläche, die mit fast sieben Hektar die größte der ins Auge gefassten Entwicklungszonen in Flörsheim ist. Auch das an der Nordwestspitze dieser Fläche angrenzende Areal „Auf dem Goldborn“, das im Westen von der Friedensstraße/L 3017 abgegrenzt wird, ist mit seinen 1,5 Hektar bereits angemeldet.

Dazu definiert das ISEK sechs Abschnitte einer potenziellen Siedlungsrandbebauung, die sich vornehmlich östlich komplett um das bebaute Gebiet herumlegt, mit 1,0 bis 3,9 Hektar Größe. Insgesamt sieht das ISEK in Wicker satte elf Hektar Entwicklungspotenzial, für das es bekanntlich (Neubau Feuerwehrhaus, Nahversorger) auch andere Begehrlichkeiten als nur die Wohnbebauung gibt. Das Konzept will auch keineswegs suggerieren, dass es angebracht wäre, alle die aufgeführten Potenziale auszunutzen und zu entwickeln. Eine Auswahl muss die Politik schon treffen.

Weilbach

Das gilt genauso für Weilbach, wo sich einmal rund um den Stadtteil gleich 34 Hektar geplanter, genehmigter, angemeldeter oder potenzieller Wohnflächen legen. Hier finden sich mit den Projekten Raunheimer Straße und In der Krimling die neben dem Innenstadt-Baugebiet Nord IV einzigen bereits mit einer Bebauungsplanung versehenen Flächen, die sich im Stadtteil ohne Siedlungsbeschränkungsstatus im Gegensatz zum Nord IV aber konkret abzeichnen. Daneben ist nur eine, mit 4,2 Hektar allerdings größere Fläche bereits im FNP enthalten, das Gebiet „Langenhainer Straße“ im Norden und westlich der B519. Sieben weitere „Potenzialflächen Siedlungsrand“, die größte mit knapp 5,5 Hektar auf den Ackerflächen im Südwesten Weilbachs gelegen, westlich der Rüsselsheimer und östlich des Faulbrunnenwegs, der dem Areal auch den Namen gibt.

Gesamtbilanz für Weilbach: 1.358 zusätzliche Wohneinheiten, wenn man alle aufgeführten Flächen entwickelt, in Wicker sind es 444, in der Innenstadt 371. Hier sieht man, das Konzept erfasst erst einmal nur, was möglich wäre, wenn in Flörsheim der Größenwahn ausbräche und alle Acker- und sonstigen Randflächen unter Teer und Beton verschwinden sollten, sicherlich hier und da auch mit etwas nettem Gartengrün garniert. Das wäre weder genehmigungsfähig, noch wird es das Ziel der Politik sein. Es zeigt nur: Potenzial für Wohnungsbaufläche ist zumindest in den Stadtteilen reichlich vorhanden. Noch müsste jedoch in der Stadt geklärt werden, wie groß Flörsheim eigentlich werden darf und soll, was die Projekte mit dem dörflichen Charakter der Stadtteile anfangen, ob Wachstum tatsächlich der Heilsbringer ist oder nicht doch etwa eine attraktive Ausgestaltung dessen, was da ist, zum Teil schon sehr lange da ist. Eine Diskussion, die noch nicht vertieft geführt wurde und mit den Entscheidungen zum Umgang mit den Entwicklungsflächen ansteht.

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