„Es ist die Komplexität, die den Familien zu schaffen macht“, so Gröhl, der Mehrelternfamilien nicht grundsätzlich als etwas Negatives empfindet. Mehrelternfamilien könnten durchaus auch mehr Glück bedeuten. So verteufelt der Fachmann auch nicht die modernen Medien an sich, denn schließlich brächten sie der Gesellschaft auch ein hohes Maß an Information. Andererseits laufe das ganze Leben aufgrund der Medien einfach viel schneller ab. „Negative Beispiele verbreiten sich über die Handys in Windeseile und so erfährt Negatives auch viel Nachahmung“, so die Beobachtungen von Gerd Gröhl. Heute läge bei Kindern allerdings die individuelle Frustrationstoleranz viel niedriger, denn der Babysitter „Smartphone“ reiche auf Dauer eben nicht aus, um den Kindern ein Feedback für ihr Verhalten zu geben. Der sozio-kulturelle Anspruch sei heute auch extrem hoch. „Ein Perfektsein reicht schon lange nicht mehr“, so Gröhl, der glaubt, dass der Bildungsstoff halbiert werden sollte, um Zeit für das Grundlegendste zu haben.
Vor 40 Jahren lagen die Ziele und Ansprüche der Beratungsstelle noch viel mehr auf dem heilpädagogischen Ansatz. Psychologische und medizinische Probleme hätten Menschen zur Beratung gebracht. Heute sei der Bereich, woraus sich die Sorgen und Nöte der Eltern entwickelten, viel komplexer. „Aber Selbstmordgedanken und sexueller Missbrauch sind nicht die Regel, oftmals ist die Gesamtheit von vielen kleinen Problemen des Alltags das Problem“, beobachtet Gröhl.
Bis 1997 lag die Trägerschaft beim Caritasverband Frankfurt. Dann übernahm der Caritasverband Main-Taunus die Beratungsstelle, die im Jahr 2005 von Hofheim nach Flörsheim zog. Die Beratungsstelle gab aufgrund von Sparzwängen zwei Drittel ihrer Nutzfläche auf. Auf 105 Quadratmetern beraten die Mitarbeiter pro Jahr mehr als 400 Familien aus den Städten Hofheim, Kriftel, Hochheim und Flörsheim. Der Bedarf wächst, denn in den letzten 17 Jahren stieg die Zahl der Beratungen um 63 Prozent. Wer heute einen Termin möchte wartet je nach Dringlichkeit zwischen einem Tag und vierzehn Tagen. Doch mehr als 30 neue Anfragen können Gröhl und sein Team pro Monat nicht bearbeiten. „15 bis 20 Personen werden auf den nächsten Monat vertröstet und oft schaffen wir es auch dann nicht, den Rückstand aufzuarbeiten“, sagt Gröhl. Die Anfragen kämen aus Schichten von „A“ wie arbeitslos bis „Z“ wie Zahnarzt, wenngleich jedes zweite Kind, um dessentwillen die Erziehungsberatung aufgesucht wird, aus einer gescheiterten elterlichen Beziehung stammt und viele Kinder einen Migrationshintergrund haben.
Die Inanspruchnahme der Erziehungsberatung ist freiwillig und kostenfrei. Wer bei Gröhl und Co. Rat sucht, kann darauf vertrauen, dass die Eltern mit ihren Sorgen nicht alleingelassen werden, ist das Team der Beratungsstelle doch auch in einem großen Netzwerk an anderen Familienhilfestellen im Kreis eingebunden. Anja Frank-Ruschitzka nannte als Beispiele das Familienzentrum in Hofheim oder die Schwangerenberatung der Caritas. In den Räumlichkeiten der Erziehungsberatungsstelle in der Grabenstraße treffen sich auch zwei Therapiegruppen mit Erstklässlern, die beim Übergang vom Kindergarten zur Schule Probleme haben. „Diese Kinder stammen aus Familien, die bei uns Rat suchten und wir möchten sie seelisch stärken und an den Lernprozess heranführen“, erklärt Gerd Gröhl. In den größeren Räumlichkeiten wurden bis zu neun Gruppen betreut.
„Eltern haben einen Rechtsanspruch auf Erziehungsberatung“, erklärt Anja Frank-Ruschitzka. Bei der Caritas werde vor allem ein Schwerpunkt auf die Vermittlung eines christlichen Menschenbildes gelegt. „Wir setzen uns für diejenigen ein, die am Rande der Gesellschaft stehen. In 40 Jahren haben 50.000 Menschen in der Erziehungsberatungsstelle Rat und Hilfe gesucht“, so der Caritas-Geschäftsführer Ottmar Vorländer, der dem Main-Taunus-Kreis für die finanzielle Förderung dankbar ist, habe sich das Land Hessen 2005 doch gänzlich aus der Verantwortung gezogen. Der Main-Taunus-Kreis stellt jährlich 270.000 Euro zur Verfügung und die Caritas steuert jährlich 36.000 Euro bei. „Vielleicht sollten sich Eltern heute einfach etwas mehr zweckfreie Zeit mit ihren Kindern gönnen: Einfach gemeinsame Zeit, ohne den Kindern dabei etwas zuzumuten“, empfahl Vorländer als Tipp für einen sorgenfreieren Alltag.
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