Lokalmatadoren zeigen sich oft politisch

Flörsheimer Fastnachtsumzug verlief am Sonntag ausgelassen und ohne schwere Zwischenfälle

Eine der tagespolitischen Statements bei den Motiven: Die Caritas Sozialstation sandte mit dem Plakat und einer entsprechenden Kostümierung einen Notruf aus.

Längst strahlt er im zweiten Jahr nach der Zwangspause wieder in alter Pracht, diesmal noch ein bisschen mehr als bei der Rückkehr 2023. Die 115 Zugnummern mit rund 2000 Aktiven schlängelten sich am Sonntag beim großen Flörsheimer Fastnachtsumzug des Flörsheimer Narrenclubs (FNC) durch die Altstadtgassen, auf der gewohnten Route vom Startpunkt in der Plattstraße bis zur Auflösung auf Höhe des Pestkreuzes in der Hochheimer Straße.

Auch, wenn eigentlich an allen Punkten reichlich Zuschauer den Zug verfolgten, ergaben sich doch die bekannten Ballungspunkte. In der Kurve Bahnhofstraße/Erzbergerstraße – die Baustelle war tatsächlich gerade noch so fertiggestellt worden, dass sie den Zug nicht beeinträchtigte - salutierten die Wagenbesatzungen und Fußgruppen vor der Ehrentribüne, man warf sich gegenseitig ein „Hall die Gail!“ an die Köpfe, Tanzgruppen schwangen die Beine, dann ging es weiter.

Zweiter Schwerpunkt der Menschenansammlung ist im mittleren Bereich der Grabenstraße und Hauptstraße, deren kurze Verbindungswege immer gut frequentiert sind. Anders als in der Bahnhofstraße, geht es in diesen Abschnitten sehr eng zu, in der Grabenstraße wegen der Enge, in der Hauptstraße vor der Kirche und dem Gallusplatz wegen der schieren Narrenmengen. Hier hatte die Security eine Menge Arbeit und wurde gar von Polizeikräften unterstützt.

Der Zweite Vorsitzende des FNC und Generalstabs-Sprecher Simeon Dimitriadis berichtet von einem Umzug ohne nennenswerte Probleme. Zwar schaffte es ein unschönes Vorkommnis bei der After-Umzug-Party auf dem Gallusplatz in den heutigen Polizeibericht, insgesamt sei es aber ein sehr friedliches närrisches Treiben gewesen. So haben es ihm auch die unterstützenden Gruppen von DRK, Feuerwehr und Polizei rückgemeldet.

Das erfreut doch die Straßenfastnachter, die mit bis zu 20.000 Zuschauern am Zug gerechnet hatten, ein paar Tausend weniger sollen es letztlich gewesen sein. Aber wer nicht da war, der hat eben verpasst, was die knapp 60 beteiligten Gruppen und Vereine, die 115 Zugnummern auf die Beine stellten, zum Umzugsmotto „Gestern, heute, alle Zeit – Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“ beizutragen hatten. Das durchaus zeitpolitisch gemeinte Motto in ihren Motiven oder Kostümen umzusetzen, war natürlich keine Verpflichtung für die Vereine und spielte daher eigentlich auch keine Rolle.

Politische Themen wurden allerdings schon aufgegriffen, durchweg von den einheimischen Aktiven, und auch sie bildeten die bewegenden Themen der Zeit ab. So bot die Standfläche des Wagens der „Raabekazze“ diesmal eine Versammlung älterer Herrschaften auf dem „Bürgermeisterplatz“. Die Bürgermeisterwahl in Flörsheim (9. Juni) sei ja „in ein paar Tagen“, behauptete der Verein etwas grob rechnend und versprach aus diesem Anlass „die besten Kandidaten auf dem Wagen“.

Nun, mal sehen, ob jemand der Herren seinen Hut noch in den Ring wirft. Jedenfalls versprechen die Forderungen der Raabekazze, zu einer lebenswerten Stadt beizutragen. „Mehr Nüsse für die Eichhörnchen“ etwa käme in Bad Weilbach bestimmt gut an, „Lieber bunt als nur blau!“ durfte man wohl eher parteipolitisch, denn als Werbespruch einer Entgiftungsklinik verstehen, eine weiter Forderung lautete nämlich „Bunt gegen Rechts“.

Die wahren – nein, ein wahrer und ein närrischer – Bürgermeisterkandidat nach jetzigem Stand waren nicht auf dem Wagen der Raabekazze zu sehen. Amtsinhaber Bernd Blisch verrichtet selbstverständlich wieder auf der „Flora“, dem „Wagen der Flörsheimer Stadtväter“, seinen Dienst und wirkte in seinem schwarzen Ornat neben der Ersten Stadträtin Renate Mohr. Das diese eine grünes Plüschjacke auftrug, wirkte das Duo wie ein Protestbild gegen die neuen Koalitionsbildung in Hessen, mit dem Ende der schwarz-grünen Zusammenarbeit – von der man sich in Flörsheim fragt, ob die CDU sie nun auch in der Stadt als Auslaufmodell betrachten wird.

Sozialpolitisch war erneut der Caritas-Ortsverband unterwegs, denn seine Zugteilnehmer trugen nicht nur den Spruch „Uns steht das Wasser bis zum Hals“ vorneweg, die Fußgruppe präsentierte sich auch in wasserblauen Ganzkörperkostümen mit blau-weißem Lametta und einem roten Rettungsring um den Hals – eine einfach, aber eindrucksvoll und verständlich umgesetzte Botschaft, die freilich auf ein vornehmlich bundespolitisches Krisenthema zielt.

Grundsätzliches griff auch wieder der „Volibu“ auf, der Volksliederbund, der diesmal in der entsprechenden Kostümierung seine Antwort auf die weltpolitische Lage gab, mit dem Spruch „Überall nur Zwist und Streit – Zurück zur Flower-Power-Zeit“. Man würde es den Aktiven glatt glauben wenn sie versicherten, dass sie die Hemden aus der original Blumenkinder-Zeit die ganzen Jahre noch im Schrank hängen hatten. „Give Peace a Chance“ ergänzten die Sängerinnen und Sänger ihr Motto – aber wo waren die Tüten?

Auch „Die Wandaale“ machten mit einer großen, bunten, aber mit klarer Botschaft versehenen Fußgruppe auf sich aufmerksam, denn sie hatten das Bedürfnis, dem Begriff der „Letzten Generation“ auf eine wahre aussterbende Spezies zu lenken: den Handwerker, oder heute eben auch die Handwerkerin, denn „uff em Bau und uff de Gass, hat Frau Bauarbeiter Spass“, versicherte ein Schild der Gruppe.

Ein rein lokales Thema bot die Privatgruppe „Die Schmotzer“ dar, die Flörsheim gerne wieder zu einem richtigen Kinostandort machen würden. Als Popcorn-Tüten verkleidet, transportierten die Teilnehmer ihre Empfehlung mit Beweiskraft, denn der Spruch lautete „Flerschem brauch en ,Cinema’, das Popcorn hätte mer schon da!“

Andere Gruppen zielten weniger auf Gesellschaftsthemen ab, sondern bemühten sich um Kreativität und waren doch dran an Themen unserer Region. Die „Kradfahrer Felzünd“ etwa legten sich mit ganz Wicker an, denn sie bekannten, wie ein riesiges Geäst mit symbolischen Fruchtplatten drangehängt zeigte, das Motto ihres Klubs: „Mir trinke gern en Woi, nur vum Appel muss er soi!“

Gut, dass der einzige Wickerer Beitrag schon rund 30 Zugnummern zuvor dran war, sonst hätte es womöglich noch einen größeren Disput gesetzt. Die „Privatgruppe Hück“ vom Wickerer Weingut präsentierte sich als „Weinbergschnecken und anderes Gedöns“, mit der reizvollen Idee, dass die Aktiven samt der zwangsweise etwas ausladenden Schnecken-Verkleidung regelmäßig ins Inneren der Konstruktion eintauchten, um Nachschub an Flüssigem oder anderer Verpflegung zu holen.

Auch eine ganze Reihe Vertreter der befreundeten lokalen Feierkultur aus Flörsheim und Weilbach waren wieder auf der Strecke. Während die Kerbeborsch 6091 in ihrem gewohnten lila Sweatshirts belegten, wie nahe Fastnacht und Kerb sich in der, häufig durch unterstützende Flüssigkeitszufuhr beförderten überbordenden Feierkultur sind. Die Kollegen der Innenstadt hatten sich aus gutem Anlass diesmal anders gekennzeichnet. Erstmals präsentierte sich so der neu gegründete „Förderverein Flörsheimer Kerbeborsch“. Übergestreift hatten die Aktiven Superhelden-Kostüme und dafür eine Erklärung, die die Grundhaltung einer ganzen Generation beschreibt: „Es wird nur zum Superheld, wer sich auch für super hält.“

Gespannt sein durfte man auf die Flörsheimer Neulinge. Dass sich neue Gruppen mit dem Ziel, einen großen Umzugswagen zu bauen zusammenfinden, kommt nur noch selten vor. Die „Konfettiherzjer“ hatten nicht mehr versprochen als ganz kunterbunt aufzutreten. Der Wagen, mit der Nummer 84 war zwar ziemlich weit hinten eingeordnet, bot aber dafür spät am Mittag noch einmal etwas Neues für das Auge mit seiner edel wirkenden, weinroten Stoffumhüllung, in die viele kleine, goldene Herzen eingewebt waren.

Viel lebt der Flörsheimer Umzug auch von seinen treuen Stammteilnehmern wie dem „Mooadel“, mit seinen auf einem hohen Wagen im feinen Zwirn gewandeten Aktiven. Auch der große Weilbacher Block prägt den Umzug, mit den Tanzgruppen der Gemütlichkeit, den goldischen „Dreamboys“ der Germania und der himmelblauen Fußgruppe des CV Weilbach, der „Die Sterne strahlen hell und klar, beim CVW in diesem Jahr“ versprach – endlich mal Optimismus einfach so ausgesprochen.

Erst spät durfte sich der DJK SC Schwarz-Weiß Flörsheim präsentieren, denn wo sonst sollte ein in diesem Jahr 100 Jahre alt werdender Verein auf die Reise gehen, wenn nicht mit Startnummer 100? Die meisten Mitglieder trugen hinter der großen weiß-schwarzen Fahne aus gegebenem Anlass auch keine Kostüme, sondern Trikots und Trainingsanzüge mit dem Vereinslogo. Der Jubilar versprach etwas mysteriös: „Sport und mehr seit 100 Jahren meistern. Gemeinschaft bewegen und begeistern.“

Mit kleiner Gruppe, aber auffälligen, rot-orangenen Kostümen präsentierten sich die „Altstadtborzeler“ als Jubilare mit einer „22“ auf der Geburtstagstorte als Hut. Als verdiente Umzugsgruppe bekam sie auch die Startnummer 22 zugeteilt. Der andere Jubilar gleicher Altersklasse, die Gruppe „Hipp de Bach und dripp de Bach“, hatte sich ebenfalls knallig verkleidet, aber mit regenbogenfarbigen Kostümen inklusive Rastafrisur.

Hilfsbereitschaft im Falle des Falles signalisiert in diesem Jahr die „Soko“. Sie verspricht, den Kampf gegen das Hochwasser aufzunehmen, falls es sich am Main mal wieder blicken lässt. Dafür haben sie sich Kanus rund um die Hüften gebaut. Sicher nicht sehr alltagstauglich, aber einer muss sich ja für die Gemeinschaft opfern.

Natürlich war über den Zug verteilt auch immer wieder das Gelb und Grün des FNC zu entdecken, für den die Zugleiter-Ritter Andreas Tenyi und Karsten Schwarz vorwegfuhren. Gegen Ende präsentierten sich nach der Kutsche mit FNC-Chef Heinz Schäfer darauf vor allem die einzelnen Gruppen wie die Tanzformationen, ehe der Zug mit der Festung und dem Generalstabswagen zu Ende ging – und für den Baubetriebshof, offizielle Zugnummer 115, der Arbeitstag für einige Stunden Fahrt aufnahm.

Dass der Zug laut Plan stets um 13.31 beginnt, sich aber auch diesmal erst nach 14 Uhr an der Spitze in der Plattstraße in Bewegung setzte, hat übrigens nichts mit einer Verspätung zu tun. „Alles ist normal gelaufen“, betont Simeon Dimitriadis. Die Uhrzeit beziehe sich auf den Abmarsch der Zugnummer eins, die sich im Flörsheimer Aufstellungssystem ganz hinten in der Eddersheimer Straße 1 anstellt. Alle Nummern fahren zunächst am gesamten am Straßenrand wartenden Zug vorbei, eher er in der Plattstraße den Generalstabswagen mit der Zugnummer 114 überholt.

Entsprechend dauert es, bis von der Bewegung im Zug bei den wartenden Massen in der Bahnhofstraße etwas zu sehen ist, was den meisten offenbar nicht bewusst ist, die ab 13.30 Uhr immer wieder gespannt auf die Ecke Klobersraße schauten, ob sich endlich etwas tut. „Durch diese Aufstellung können alle Zugteilnehmer die anderen Gruppen sehen, anders als etwa in Mainz, wo sich alle entsprechend ihrer Nummer einreihen“, verteidigt der Zweite Vorsitzende den Modus, den man für die Zuschauer dann aber vielleicht etwas transparenter vermitteln könnte.

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