Neun Jahre von der Idee bis zur Umsetzung

Kolpingfamilie lud zu Führung in der Kriegergedächtniskapelle unterhalb der Flörsheimer Warte

Otmar Adelfang (rechts) berichtete im Rahmen des Tages des Denkmals über die nicht unkomplizierte Entstehungsgeschichte der Kriegergedächtniskapelle, die ein Herzenswunsch vieler Flörsheimer nach dem Ersten Weltkrieg war.

Das tägliche Glockenläuten um 15 Uhr – es soll die Sterbestunde Jesu gewesen sein – macht es den Flörsheimern bewusst: Oben in den Weinbergen, etwas unterhalb der Flörsheimer Warte und hinter den Bäumen und Gebüsch versteckt, ruht ein bauliches Kleinod, das es hin und wieder ins Bewusstsein zu rufen gilt. Dieser Aufgabe nahm sich nun auch die Kolpingfamilie Flörsheim an. Mitglied Otmar Adelfang hat sich mit der Geschichte der Kriegergedächtniskapelle beschäftigt und bot am Sonntag anlässlich des Tages des offenen Denkmals eine Führung an und in der Kapelle an.

Ein kleines Gebäude auf einem kleinen Grundstück, das ist in diesen Zeiten als Treffpunkt und Veranstaltungsort nicht ganz unproblematisch. Selbstverständlich wurde auf die Abstandsregeln streng geachtet, so dass trotz Maskenpflicht auf den Sitzbänken der Kapelle nur wenige Besucher Platz nehmen konnten. Aber auch die, die draußen zuhörten, bekamen gut mit, was Adelfang über die Entstehungsgeschichte des Bauwerks zu erzählen hatte.

In der steckt deutlich mehr drin als nur die Schilderung, wie sich vor der Einweihung der Kapelle am 16. September 1928 – am gestrigen Mittwoch demnach vor 92 Jahren – Stein auf Stein fügte. Adelfangs Bericht über die Entstehung der Kapelle nach dem Ersten Weltkrieg, als 1919 die ersten Ideen zu solch einer Gedenkstätte an die Gefallenen aufkamen, sich mit den Bemühungen um die Finanzierung fortsetzen, zum Richtfest am 11. Oktober 1925 führten, nach dem aber fast drei weitere Jahre bis zur Einweihung vergingen: Es sind Zeitabläufe und Ereignisse, die auch die Verhältnisse in Deutschland und der Region in jenen Jahren ziemlich eindrücklich widerspiegeln.

Seit seiner Gründung vor bald 30 Jahren bemüht sich der Verein „Raabekazze“ stark um die Pflege dieses Kulturdenkmals. Das war zwischenzeitlich etwas in Vergessenheit geraten. Den Aufruf des Pfarrers Rolf Kaifer in den neunziger Jahren nahmen sich die kurz zuvor gegründeten Raabekazze zu Herzen und leiteten die Sanierung des Daches. 2011 wurde die Innensanierung abgeschlossen und gefeiert. Adelfang referierte daher in einem Baudenkmal, das ein Flörsheimer Verein mit seinem ehrenamtlichen Engagement und die Flörsheimer Bürger mit ihren Spendengeldern erhalten haben.

Er scheint also über die Jahrzehnte hinweg erhalten geblieben zu sein, der Wunsch der Flörsheimer nach Erinnerungsstätten. Adelfangs Bericht zeigt auf, welche Hürden die Bemühungen der Bürger vor gut 100 Jahren immer wieder ausbremsten, sie aber letztlich nicht stoppen konnten. „Es bedurfte großer Anstrengungen und Opferbereitschaft der gesamten Bevölkerung, um dieses Denkmal auf freiem Felde entstehen zu lassen“, fasst Adelfang die neun Jahre zwischen Anstoß und Übergabe der Gedenkstätte zusammen.

Mit dem Ende des Weltkriegs wurde Flörsheim französisch besetzt. Die Gemeinde beklagte 104 Gefallene und sieben Vermisste, viele Bürger wollten einen Ort, der an sie erinnert. Ein Bauausschuss wurde 1919 zur Planung eingesetzt, Geld zu besorgen war die erste Anstrengung, denn von der öffentlichen Hand war da nichts zu erwarten in diesen Jahren. Als Ende 1922 das Grundstück gesichert war und das nötige Geld zusammengebracht schien, machte die Hyperinflation im folgenden Jahr alles zunichte.

50 Milliarden Mark: Einen Geldschein mit diesem Wert, Flörsheimer „Notgeld“ aus jenem 1923, hatte Adelfang zu seinem Vortrag mitgebracht. Es ist also durchaus nachvollziehbar, dass erst am 11. Oktober 1925 Richtfest und drei weitere Jahre später die Einweihung gefeiert werden konnte. Neben den finanziellen Problemen kamen Rechtsstreitigkeiten mit der Dachdeckerfirma hinzu, der Finanzierungspartner, die Flörsheimer Genossenschaftsbank, ging zwischenzeitlich pleite.

Aber es gab auch jede Menge Hilfe von außen. So kamen 44 Tonnen Bruchstein aus dem nahen Dyckerhoff-Steinbruch als Spende, den Zement schenkte der Baustoffhändler Graulich den Initiatoren, und auch eine Bergwerksgesellschaft, die in Flörsheim seinerzeit tätig war, half mit. Zwei je 75 Kilo schwere Messingplatten mit den Namen der Gefallenen kamen links und rechts des Eingangs zum Kapellenraum an die Wand. „Den Gefallenen der Gemeinde Flörsheim 1914 -1918“ ist über dem Portal zu lesen, in die tragenden Säulen wurde später die Jahreszahlen 1939 und 1945 eingemeißelt und somit die Funktion der Gedenkstätte auch auf die Flörsheimer Gefallenen des Zweiten Weltkrieges erweitert.

Adelfang ließ seine Erläuterungen mit einem Gedenken an die Opfer ausklingen, dafür verlas er einen Feldbrief, den der Flörsheimer Soldat Heinrich Möll zu Ostern 1942 an seine Eltern schickte – er fiel in Russland. Ein Gebet für die Opfer von Krieg, Terror und Gewalt schloss die Veranstaltung ab.

Nicht zu sehen ist für den normalen Besucher der Kapelle die Aufschrift der Glocke, die übrigens auch von der örtlichen, immer noch existierenden Fachfirma Höckel, heute Höckel-Schneider, gespendet wurde. „St. Jakobus heiß ich, die Helden beweine ich und zum Frieden mahne ich“, lautet die Inschrift.

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