Die Schweiz liegt nicht nur in den Alpen Flörsheim war Reiseziel einer eidgenössischen Besuchergruppe - Eine von 130 deutschen "Schweizen"

Flörsheim war Reiseziel einer eidgenössischen Besuchergruppe - Eine von 130 deutschen "Schweizen"

Von der Schweiz haben die Deutschen von Nord bis Süd offenbar ein recht einheitliches Bild: Hohe Berge, zu Fuße grüne Wiesen mit Kühen darauf, verträumte Bachläufe und ein paar abgelegene Almhütten, in denen Käse und Toblerone verspeist werden – ein einsames, landschaftliches Idyll jedenfalls. Es lebe das Klischee, brummelt da etwa der Züricher, der gerade im Getümmel der Schweizer Metropole unterwegs ist. Die Alpenrepublik hat nämlich auch immerhin sieben Großstädte zu bieten, reichlich moderne Infrastruktur - aber im großen Nachbarland ist das Bergmotiv eben das, was die Menschen mit den Eidgenossen am meisten verbinden.

Und so wundert es auch nicht, dass die Deutschen manch heimischem Flecken, der landschaftlich besonders nett anzusehen ist und mit mehr oder weniger Phantasie an das abgespeicherte Bild eines Schweizer Idylls erinnern mag, den Zusatz „Schweizer“ verpasste. Was dabei überrascht ist, dass dies über 130 Mal in Deutschland passiert ist, meist, wie der Friedrichshafener Verleger Johannes Rösler weiß, passenderweise zu Zeiten der Romantik. Das haben der in der deutschen Bodensee-Stadt lebende Deutsche und die Schweizerin Isabella Kappeler recherchiert. Dabei kamen sie auf eine blendende Idee. Sie riefen ein Projekt ins Leben, das sich zum Ziel setzt, sämtliche dieser „Schweizen“ in Deutschland zu besuchen.

Und so kam am vergangenen Sonntag eine kleine Reisegruppe mit Schweizer Bürgern, die an der Tour „Schöne deutsche ,Schweiz‘“ teilnahmen, auf eine Stippvisite in Flörsheim vorbei. Ja, viele Flörsheimerinnen und Flörsheimer wissen es, viele aber auch nicht: Auch ihre Stadt hat eine Grünzone zur „Flörsheimer Schweiz“ ernannt, die in manchen Karten, leider aber etwa nicht auf der Freizeitkarte des Regionalparks, eingezeichnet ist. Sie ist in ihren Abgrenzungen recht gut nachzuzeichnen. Rösler und Isabella Kappler, Mandala-Künstlerin und –Lehrerin von der Schweizer Seite des Bodensees, hatten das Glück, als Ergebnis ihrer Anfrage bei der Stadt den Kontakt zu einem ausgewiesenen Kenner der Flörsheimer Gemarkung aufnehmen zu können. Hans Dieter Darmstadt führte die Besucher am Sonntagvormittag durch eben jene „Flörsheimer Schweiz“.

So bezeichnet wird das bei Ausflüglern beliebte Gebiet nördlich des Stadtteils Keramag/Falkenberg, und auf der anderen Seite der Hochheimer Straße beginnend, grob umzeichnet mit den historischen Kalkbrennöfen als Ausgangspunkt. Die Wanderung führte entlang an Wickerbach und Mühlbach, an Ober-, Engels- und Wiesenmühle vorbei zu Eisenbaum und St. Anna-Kapelle, weiter zur Kriegergedächtniskapelle und schließlich hoch bis zum Endpunkt am Scheitelpunkt der Hügel, der Flörsheimer Warte.

Wirkt die „Flörsheimer Schweiz“, die Darmstadt den Gästen präsentierte und mit seinem Hintergrundwissen ausführlich erläuterte, denn landschaftlich nun echt schweizerisch? Nun ja, etwas weit hergeholt scheint das schon, findet der Stadtarchivar, wie es allerdings bei der Mehrzahl der „Schweizen“ in Deutschland der Fall sein dürfte. Darüber wollen sich die Besucher aus dem Süden bei ihren Touren ja gerade ein Bild machen. Man könnte auch sagen, es ist einfach ein schöner Flecken dort am Wickerbach, den man aber mindestens genauso gut mit Landschaftszügen im Odenwald vergleichen könnte - aber für das Marketing ist das Schweizer Label natürlich spektakulärer.

Und so pflegen die Flörsheimer ihr Image einer kleinen Stadt, die von schöner Landschaft umgeben ist, eben auch mithilfe der „Flörsheimer Schweiz“. Stadtarchivar Darmstadt verteilte an die Besucher einen vor einigen Jahren vom Magistrat herausgegeben Flyer, der unter der Überschrift „Geschichte vor Ort“ das Gebiet inhaltlich sehr detailliert vorstellt. Laut Darmstadt ist die Bezeichnung vor rund 100 Jahren entstanden und das aufgrund eines recht banalen Vorfalls. Der Ausspruch eines Zechers in den 1920er-Jahren „ach, wie ist es hier so schön, fast wie in der Schweiz“, nahmen sich die Flörsheimer zu Herzen.

Die Besucher erfuhren von Darmstadt während der Wanderung , dass der Flecken eine weitaus länger zurückreichende Tradition hat als ihr heutiger Name eingeführt ist. Die Tour ging vorbei an den Resten der einstigen Engelsmühle, wo rund zwei Jahrhunderte lang Teller, Schüsseln oder Teekannen für die Fayence-Fabrik glasiert wurden, so perfekt, dass man die aus Ton hergestellten Stücke glatt mit Keramik verwechseln konnte. Der Restbestand des ansonsten verschwundenen Gebäudes gehört heute zur im frühen 17. Jahrhundert stammenden Obermühle, wo die heutige Betreiberfamilie Traiser das Mühlrad am Wickerbach immer noch im Einsatz hat, allerdings zur Stromerzeugung. „Derzeit steht es still, der Bach führt zu wenig Wasser“, berichtete Darmstadt.

Die weiter oben gelegene Wiesenmühle ist als Ausflugsgaststätte weithin bekannt, ganz zu schweigen von der Flörsheimer Warte, so dass die Gäste auf ihrer rund vierstündigen Stippvisite ein paar der eindrucksvollsten Flecken der Stadt zu sehen bekamen. Eigentlich war zum Abschluss eine Einkehr im Wickerer Weinprobierstand angesetzt, aber wenn es so viel Interessantes zu erzählen gibt, gerät die Uhr schon einmal aus dem Blick. Die 17 Besucherinnen und Besucher konnten auch nicht länger bleiben, um am Tor zum Rheingau die Qualität des hiesigen Weines zu testen, denn sie waren Teilgruppe einer größeren Fluss-Reisegesellschaft, die ablegen wollte um die Tour fortzusetzen.

Die Schweizer waren zunächst mit dem Bus nach Trier gefahren, lernten per Schiff auf ihrer sechstägigen Tour die Landschaften an Mosel, Rhein und Main kennen, mit Wanderungen durch die drei Mosel-Schweizen (Bernkasteler, Briedener und Trarbacher Schweiz) sowie die zwei Main-Schweizen (Flörsheimer und Haibacher). Am Mittag am Schiffsanleger in Rüsselsheim zurück, ging die Tour weiter mainaufwärts in den Spessart nach Miltenberg, zum Abschluss gab es einen Abstecher nach Würzburg. Wenn es dem Umfang nach eine durchschnittliche Fahrt des Reiseanbieters aus Weinfelden im Kanton Thurgau war, müssten Rösler und Kappeler rund 25 solcher Touren durch deutsche Landen begleiten, um die Dokumentation zu vervollständigen.

Ein Langzeitprojekt also, das zu völlig unterschiedlichen Flecken führen wird. So sind auch in der Schweiz die Holsteinische, die Fränkische und die Sächsische Schweiz die bekanntesten Gebiete, denen die Deutschen diesen Beinamen verpassten. Sie sind im Gegensatz zur Flörsheimer Schweiz allerdings auch ganze Teilregionen und nicht nur ein größerer Grünzug. Welche deutsche Schweiz dem Vorbild am nächsten kommt, das muss wohl jeder der Schweizer Reiseteilnehmer am Ende selbst entscheiden, das hängt letztlich auch vom eigenen Bild vom Gebiet der Eidgenossenschaft ab.

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