Zeitdokumente von besonderem Reiz

„Die Menschen – Der Ort – Die Zeit“: Die ersten Fotografien von Flörsheim und seinen Bewohnern

FLÖRSHEIM (ak) – „Mich hat es schon immer besonders interessiert, wie denn eigentlich die Fotografie nach Flörsheim kam, die Idee für solch ein Buch trage ich schon 15 Jahre mit mir herum“, erklärte Kurt Wörsdörfer, warum es ihm so besonders viel Freude gemacht hat, das Buch „Die Menschen – Der Ort – Die Zeit“ zusammenzustellen.

 

Dafür hätte sich auch sicher keiner finden können, der geeigneter für solch eine Aufgabe gewesen wäre: Kurt Wörsdörfer ist nicht nur ein „Flerschemer Bub“, sondern auch Mediengestalter, Fotograf und international renommierter Künstler. Seine Werke wurden schon in Galerien und Fotosalons in Japan, Südkorea, der Türkei, Kanada, Italien und unzähligen Ländern mehr gezeigt, zudem war Wörsdörfer von 1996 bis 2005 Juror beim bedeutendsten „Photographen-Salon“ der Welt, dem „Hasselblad Super Circuit“.
Von diesem „handwerklichen“ und künstlerischen Hintergrund geprägt, zeigt Wörsdörfer nun in dem – in die Kapitel Gruppen-, Portrait-, Militär- und Topographische-, Ereignis-, Architektur-, Sonstige Photographie aufgeteilten – Band aus der Flörsheimer Buch-Reihe „Geschichte vor Ort“ nicht nur zahlreiche historische Fotografien von Menschen, Gebäuden oder Landschaften, er erklärt auch detailliert ihre Zuordnung zur jeweiligen angewandten Foto-Technik. Soweit es ihm möglich war sie zu erfahren, nennt er auch die Fotografen und Ateliers sowie die Namen der Abgebildeten. Beim Herausfinden der Familiendaten halfen ihm Dr. Bernhard Thomas (der Autor des in der gleichen Reihe erschienen Bandes „Flörsheim 1656 – Eine Rekonstruktion“) und Reinhard Lehrig vom Flörsheimer Heimatverein. 
Auch einen Überblick über die Geschichte der Fotografie und über historische Meilensteine in der Flörsheimer Chronik kann man in Wörsdörfers Buch finden – und so zum Beispiel feststellen, dass schon etwa zwei Jahrevor dem Bau des Flörsheimer Bahnhofs und ein Jahr vor der Errichtung des Bad Weilbacher Kurhauses Louis Jacques Mandé Daguerre 1837 seine erste fotografische Abbildung, eine Daguerreotypie, gelang. 
Durch akribisches Sichten und Zuordnen vieler historischer Fotografien, die ihm von privaten Flörsheimer Sammlern und Familien, aber auch vom Flörsheimer Heimatverein, dem Rüsselsheimer Stadtarchiv und dem Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin zur Verfügung gestellt wurden, konnte Kurt Wörsdörfer herausfinden, dass wohl erst im Jahr 1865 – also fast dreißig Jahre nach der Erfindung der Fotografie – erstmals ein Flörsheimer fotografisch abgelichtet wurde: die Porträtaufnahme des feschen Offiziers Peter Thomas wurde wahrscheinlich in einem Fotoatelier an seinem Truppen-Standort Mainz aufgenommen. Diese Aufnahme entstand schon im Kollodiumverfahren und auf Kollodiumpapier, Daguerreotypien mit Flörsheimer Motiven konnte der Autor zwischen den vielen ihm vorliegenden historischen Fotos keine finden. „Das Bild von Peter Thomas hat wohl seiner Familie damals sehr gut gefallen, und ich gehe mal davon aus, dass es zu der Zeit schon Zugverbindungen von Flörsheim nach Mainz gegeben hat – also ist dann später die ganze Familie dorthin gefahren und hat sich auch in einem Mainzer Fotoatelier ablichten lassen“, erklärt sich der Autor die Tatsache, dass auf dem ältesten Gruppenfoto mit Flörsheimern aus dem Jahr 1869 dann gleich die ganze zehnköpfige Familie Thomas zu sehen ist.
Bei der Vorstellung seines Buches am 29. November in der Flörsheimer Kulturscheune sprach Kurt Wörsdörfer, der selbst schon lange digital fotografiert und bei der künstlerischen Bearbeitung seiner Fotos selbstverständlich mit PhotoShop arbeitet, sehr respektvoll und durchaus anerkennend über die Bilder und Fotografen vergangener Zeiten. Auch damals war es schon üblich, auf den Fotografien etwa Augen oder Uhrenketten „nachzuziehen“, ebenso wurden Hintergründe gerne retuschiert. Für große Collagen-Bilder in „Montage-Technik“ wurden ganze vorher einzeln fotografierte Gruppen ausgeschnitten und auf einem größeren Hintergrund nebeneinandergestellt. „Das ist so akkurat ausgeschnitten, so gut könnte man das heute mit PhotoShop fast nicht hinkriegen, eingescannt und in großer Vergrößerung konnte ich das ja gut erkennen“, erzählte er begeistert von der Faszination, die solche „Handwerksarbeit“ der Fotografen von damals auf ihn ausübt. Schmunzelnd machte er aber auch auf Kuriositäten der damaligen Zeit aufmerksam: „Für die Militärbilder hatte man schon den jeweiligen Oberkörper in der kolorierten Uniform verschiedener Garnisonen vorbereitet, da musste dann nur noch der Kopf „aufmontiert“ werden, und es kam schon mal vor, dass der dann zu groß oder zu klein war.“ 
Auch wenn mit der Zeit die Fotografen mobil wurden und samt ihren Kameras aus ihren Ateliers in Orte wie Flörsheim kamen, in denen es noch keine Fotoateliers gab, waren auch nach der Jahrhundertwende Fotoaufnahmen noch etwas Besonderes und nicht für jeden so leicht erschwinglich. Ein Bild in Wörsdörfers Buch zeigt ein Flörsheimer Ehepaar mit vier Kindern, dem kleinsten auf dem Schoß der Mutter war ganz offensichtlich ein Malheur passiert. „Man fragt sich natürlich, warum diese Familie das Bild so abgenommen hat und die Aufnahme nicht wiederholt hat – ich denke, die Frau hatte einfach keinen zweiten guten Rock, so dass sie den schmutzigen schnell hätte wechseln können“, mutmaßte der Autor dazu. 
Viele schöne Aufnahmen von ernst bis finster blickenden Erwachsenen und Kindern in ihren Sonntagskleidern oder gar in Uniformen kann man in dem Buch abgebildet finden – das Lächeln kam offenbar erst nach 1920 in die Fotografie, vorher galt es anscheinend, eher respekteinflößend und imposant auszusehen. Dennoch haben diese Zeitdokumente ihren ganz besonderen Reiz und durch die jeweilige Fototechnik auch ihre ganz eigene, ansprechende Ausstrahlung. 
Ganz besondere Highlights aber sind die Landschafts- und Architekturbilder, die der Autor bei seiner Suche nach fotografischen Dokumenten aus Flörsheim gefunden hat und von denen einige ersten Mal veröffentlicht wurden. „Das war besonders spannend, etwa die Bilder aus der Riedschule, aufgenommen von Edmund Lill, der unter anderem für seine Aufnahmen von Walter Gropius-Bauten bekannt ist, in Händen zu halten – die sind wirklich einzigartig in ihrer Sehweise und in der angewandten Technik“, schwärmte der Autor über diese wirklich sehenswerten Fotografien aus der Zeit der Neuen Sachlichkeit, die er in der Sammlung des Heimatvereines gefunden hat. 
Das Buch „Die Menschen – Der Ort – Die Zeit, Die frühesten photographischen Dokumente in Flörsheim am Main 1865 – 1920“ ist im BuchKontor und Verlag Sievers erschienen, zu beziehen ist es direkt beim Verlag unter www.buchkontor-sievers.de oder unter der ISBN 978–3–9815118–1–9 im Buchhandel.

Kommentare

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.
Sicherheitsprüfung
Diese Frage hat den Zweck zu testen, ob Sie ein menschlicher Benutzer sind und um automatisierten Spam vorzubeugen.
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.


X