Im Main-Taunus-Kreis hat das Rhein-Main-Link-Projektunternehmen Amprion erste Vorarbeiten angekündigt, die dem Erstellen von Unterlagen für das Planfeststellungsverfahren zum Bau der Stromtrasse dienen sollen. Auf Grundlage des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) reichen die Befugnisse der beauftragten Firmen für die Untersuchungen dabei weit. So haben Eigentümerinnen und Eigentümer „sowie weitere Nutzungsberechtigte“ der betroffenen Grundstücke alle Arbeiten zu dulden, „die zur Vorbereitung der Planung, der späteren Baudurchführung oder für Unterhaltungsmaßnahmen diesen“, erläutert Amprion.
Und so könnten auf den vorgesehenen Erdkabel-Trassen für den Rhein-Main-Link, so im Main-Taunus-Kreis etwa auch für die Verbindungen zu den beiden geplanten Konvertern zur Umwandlung des Gleichstroms in den Wechselstrom unserer herkömmlichen Stromtrassen, bald umfangreiche Untersuchungen beginnen. Das sind vor allem Baugrunduntersuchungen, auch nach Kampfmitteln und archäologischen Schätzen „einschließlich erforderlicher Bergungsmaßnahmen“ wird gesucht. Diese Aktivitäten seien nicht als konkrete Bauvorbereitung oder -ausführung misszuverstehen, betont Amprion vorsorglich. Das Unternehmen und sein Auftraggeber, die Bundesnetzagentur, haben inzwischen mitbekommen, dass die Aktivitäten (vermutlich nicht nur) im Main-Taunus-Kreis auf skeptische Menschen treffen, die erhebliche persönliche Nachteile durch die bevorstehenden Projekte befürchten.
Der Kreistag hat in seiner jüngsten Sitzung einstimmig (bei Enthaltung der AfD) eine Resolution verabschiedet, die die Position der politischen Gremien zu dem Projekt festschreibt. Es ist ein wesentlich fundierteres Statement als der Schnellschuss des „Bürgermeister-Papieres“, das im Mai, während des Europawahlkampfes, erstellt wurde und die Unterschrift aller zwölf Rathaus-Chefs im Kreis enthielt. Damals war der Planentwurf für mögliche Trassenführungen, die vom Hauptlink nach Osten zu den benötigten Konvertern führen sollen, noch so unspezifisch, dass fast jede Kreiskommune von dem Projekt betroffen sein konnte. Inzwischen hat Amprion die Planungen so weit konkretisiert, dass etwa Flörsheim nach aktuellem Stand gar nicht mehr von Erdkabelverlegungen betroffen wäre. Als Konverterstandorte hat sich Amprion nicht überraschend wegen der dort bestehenden Umspannwerke für Hofheim-Marxheim und Kriftel entschieden. Dennoch ist es mit den beiden Konverterflächen, die jeweils ebenso überraschende zehn Hektar Land verschlingen werden, nicht getan. Die Zuleitungen vom Hauptlink müssen ebenso in die Landschaft hinein, beide Konverter würden über Schneisen im Hofheimer Stadtwald angebunden.
Bei den Landwirten ist das Projekt vor allem durch die Auswahl der Konverter-Standorte ein Thema, denn die ausgesuchten Standorte sind aktuell Äcker, die ihnen somit schlicht abgenommen werden sollen. Zuleitungen hingegen, die über landwirtschaftliche Flächen führen, wären lediglich ein vorübergehendes Problem, weil die Äcker für die Erdkabelverlegung aufgerissen, aber auch wieder zugeschüttet werden, inklusive finanziellen Ausgleichs – Amprion verspricht, dass die Landwirte die Flächen hinterher genauso wie zuvor wieder nutzen können.
Die größte Aufregung um das Projekt hat sich daher aus nachvollziehbarem Grund am westlichen Ende des Kreises herausgeschält, denn der Hauptzweig des Rhein-Main-Links durchschneidet in Hochheim die Weinberge. Der Unterschied zwischen Landwirten und Winzern: Ihre Produkte wachsen auf Pflanzen, die nicht mal eben ausgetauscht oder neu gepflanzt werden können. Die 1,80 Meter, die die Erdkabel in den Boden eingegraben werden, reichen nicht aus, um anschließend mit neuen Rebstöcken die Produktion wieder aufzunehmen. Denn Weinstöcke wurzeln bis zu sieben Meter tief, die 40 Meter breite Schneise würde jedenfalls mit Reben nicht mehr zu bepflanzen sein.
Die Hochheimer Winzer haben sich intensiv mit dem gesamten Projekt beschäftigt und stellten nun Forderungen auf. So weisen sie auf die Kostendiskussion um die Erdkabelverlegung hin, Amprion-Vertreter selbst haben demnach in der Vergangenheit mehrfach Zweifel geäußert, dass sich die Links vor allem wirtschaftlich betrachtet tatsächlich durchweg als Erdkabelprojekte durchziehen lassen. Die Forderung ist entsprechend, anstatt die Weinstöcke zu zerstören auf Überlandleitungen umzusteigen, wie es auch schon von den Bundesländern Baden-Württemberg und Sachsen offen vertreten wird.
Zudem vertritt der Hochheimer Weinbauverein als Initiator der Kampagne die Forderung, alternative Verlegungstechniken der Erdkabel in Betracht zu ziehen, so die deutlich tiefere Führungen erlaubenden Spülverfahren, die ohne Aufgrabungen die Kanäle für die Kabelverlegung schaffen, nur eben tief genug – und natürlich zu viel höheren Kosten. Die Winzer schwören, dass Amprion bei einem Gesprächstermin dieses Verfahren in die Planungen aufzunehmen zugesagt habe, in den jetzt vorliegenden Entwürfen ist davon nichts angekommen.
Und noch eine Entwicklung, die die Winzer aufschreckte: Amprion hatte schon im ersten Planentwurf für die Querung des Mains zwei mögliche Varianten aufgeführt, eine West- und eine Ostvariante. Bei ersterer verläuft der Link ziemlich linear am Westrand Hochheims nach Süden und quert den Fluss westlich der Südstadt entlang der Autobahnbrücke. Die Ostvariante dagegen knickt nach Südwesten ab und geht somit einmal längs durch die Weinberge, ehe es östlich der Südstadt über den Fluss geht.
Die Winzer listen auf: Von der Westvariante wären 47 Betriebe und Vermarkter betroffen, die 14 Hektar Weinstöcke vernichten würde, wenn man davon ausgeht, dass für den Bau eine 70 Meter breite Rodung nötig wird, von der anschließen 40 Meter nicht wiederbepflanzt werden könnten, jedenfalls nicht mit Reben. Bei der Ostvariante wären 53 Betriebe betroffen, es geht um 65 Hektar Fläche, davon 33 Hektar aktuell bestockt. Da sollte man meinen, dass die Vernunft zu Variante West greifen lässt. Doch die Winzer haben Darlegungen der Bundesnetzagentur entdeckt, die den Verlauf der Ostvariante als Ergebnis einer Verbindung zwischen den Verknüpfungspunkten Marxheim und Ried als quasi festgelegt beschreiben.
Die Empörung ist groß, der Weinbauverein setzt alles mögliche in Gang, um Einfluss auf den Planungsverlauf zu nehmen und die Öffentlichkeit aufzuschrecken. Mehrere große Transparente verkünden seit einigen Wochen rund um Hochheim derzeit so etwas wie den Weltuntergang, jedenfalls etwas nur knapp darunter. „Hochheim hat Angst“ lautet die Überschrift und wir erfahren, dass der Rhein-Main-Link nicht weniger als die Heimat, das Lebensgefühl und „die Schönheit der Stadt“ zu zerstören droht. Da hat wohl der Zeitgeist zugeschlagen, politische Diskussionen schreierisch führen zu wollen, das Entsetzen ist dann groß, wenn die andere Seite im gleichen Ton antwortet.
Das ist bei einem eher nüchternen Unternehmen mit ausgebildeten Marketing- und Öffentlichkeitsmitarbeitern allerdings nicht zu erwarten, es scheint völlig offen, inwieweit das Unternehmen, aber auch die Bundesnetzagentur sich im Verlauf der weiteren Planungen mit all seinen Verfahrensschritten inklusive Beteiligungen auf Argumente einlässt. Die Erfahrungen der Hochheimer Winzer mit dem Dortmunder Unternehmen haben Wissenslücken der Mitarbeiter über die Verhältnisse vor Ort und nicht umgesetzte Zusagen offenbart. Zeit für Korrekturen ist noch genügend, der Baubeginn ist für 2028 angepeilt, Zieljahr für die Stromlieferung nach Hessen ist das Jahr 2033.
Die Resolution des Kreistages
Am Ende wird es wohl so sein, dass die politischen Kräfte den stärkeren Einfluss haben. An der Resolution "Rhein-Main-Link verträglich umsetzen - für Mensch, Natur, Umwelt und Landwirtschaft" des Kreistages hat ein breites Spektrum mitgestimmt und beginnt mit der Klarstellung, dass die Fraktionen „die Bedeutung von Gleichstromleitungen, die den im Norden der Bundesrepublik regenerativ erzeugten Strom in die großen Verbrauchszentren in der Mitte und im Süden Deutschlands (…) transportieren, ausdrücklich“ anerkennen. Dies sei schon durch „die starke Präsenz von Industrie und Gewerbe“ und den zu erwartenden, deutlichen Anstieg des Elektrizitätsbedarfs gegeben. Entsprechend begrüßt der Kreistag auch das Projekt an sich.
Hingewiesen wird in der Resolution aber auch auf die dichte Besiedlung im kleinsten deutschen Landkreis. „Bereits heute ist die Flächeninanspruchnahme in unserem Landkreis außergewöhnlich hoch.“ Konflikte bestünden mit dem Umwelt- und Naturschutz, Tourismus und mit der Naherholung sowie der Landwirtschaft. Belastet seien die Menschen im Kreis auch durch die Infrastruktur (Autobahnen, Bahntrassen, Flughafen).
Aufgezeigte Alternativen für den Streckenverlauf der Rhein-Main-Link-Trassen „wurden zwar in Aussicht gestellt, von der Vorhabenträgerin Amprion GmbH und der Bundesnetzagentur im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens zur großen Enttäuschung der betroffenen Kommunen und der Bürgerinnen und Bürger bislang jedoch nicht umgesetzt“, kritisiert die Resolution.
Auch die Belange der Landwirtschaft spricht das Papier an. So sei von einem Verlust von mehr als 20 Hektar Ackerfläche durch die beiden Konverter auszugehen, dazu müssten die Umspannwerke in Kriftel und Marxheim ausgebaut werden. Der Kreistag mahnt deshalb an, „dass in Anspruch genommene Ackerflächen nach einem temporären Eingriff wieder für die landwirtschaftliche Nutzung zur Verfügung stehen“.
Auch auf die Belange der Weinbaustandorte Hochheim und Wicker geht der Beschluss ein. Die Trasse müsse in ihrem Bereich „so verlegt werden, dass es keine dauerhaften und nachhaltigen Beeinträchtigungen für die Winzer und den Weinbau gibt“. Die Erdkabel müssten in diesem Bereich so tief verlegt werden, „dass auch weiterhin Weinstöcke wachsen und gedeihen können“. Die Bundesregierung, die Bundesnetzagentur und Amprion müssten „die Inanspruchnahme der knappen Ressource Boden im Main-Taunus-Kreis auf das absolut notwendige Maß“ beschränken und daher alternative Planungen für die Konverterstationen in Erwägung ziehen.
Es müsse dringend erwogen werden, „die benötigten Erdkabel und Konverterstationen entlang von Routen zu planen, die ohnehin nicht für andere Zwecke zur Verfügung stehen, wie die Bundesautobahnen 3 und 67“, oder Industriebrachen zu nutzen. Schließlich gibt der Kreistag noch eine Botschaft mit, die das eingangs geäußerte Verständnis für die Notwendigkeit des Projekts konterkariert. „Der Kreistag erklärt seine Bereitschaft, die durch den Rhein-Main-Link betroffenen Kommunen bei möglicherweise anstehenden juristischen Verfahren zu unterstützen“, schließt die Resolution. Dass es Rechtsverfahren um den Trassenbau geben wird, ist abzusehen und scheint gar unvermeidbar.