Machen Kleider wirklich Leute? Vernissage zur Ausstellung "repicturing homeless" im Haus St. Martin am Autoberg

Utel Gillmann vom KulturForum Hattersheim, Magdalena Zeller von der KulturRegion FrankfurtRhein Main und Hattersheims Erster Stadtrat Karl Heinz Spengler (v.l.) im Gespräch beim Besuch der Ausstellung "repicturing homeless" im Haus St. Martin.

Vernissage zur Ausstellung "repicturing homeless" im Haus St. Martin am Autoberg

Am letzten Freitag freute sich Klaus Störch, Leiter der Caritas-Einrichtung für Wohnsitzlose Haus St. Martin in Hattersheim, viele Gäste bei der Vernissage zur Ausstellung „repicturing homeless“ begrüßen zu können. Die Ausstellung zeigt als Gemeinschaftsprojekt der KulturRegion FrankfurtRheinMain mit dem KulturForum und der Stadt Hattersheim sowie dem Haus St. Martin Fotografien, die auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich scheinen – eine Kellnerin, einen Manager, einen Designer –, die alle sofort an ihrem „Outfit“ zu erkennen sind. „Dabei sind diese Bilder einmalig, sie zeigen alle Leute, die nur einmal so ausgesehen haben, nur für dieses eine spezielle Shooting“, erklärte Störch, was diese Fotos so besonders macht.

Welche Geschichte hinter der Ausstellung steht, zeigte er den Besuchern in einem youtube-Trailer zur Ausstellung. Die Agentur Havas hatte zusammen mit der weltweit größten Foto-Agentur Getty Images „eine völlig neue Sichtweise auf Menschen von der Straße“ geschaffen. Mit den Bildern soll eine „Hinterfragung visueller Stereotypen“ erreicht werden, denn die Geschichte erzählt etwa von den Reaktionen eines wohnungslosen Verkäufers einer Obdachlosen-Zeitschrift, der sich im Anzug und mit Designer-Brille kaum selbst erkennt oder von der obdachlosen Jennifer, die im für sie ungewöhnlichen Kellnerinnen-Dress eines Nobelhotels dort tatsächlich wie eine solche behandelt wird. „Die Ausstellung ist schon drei Jahre alt“, erklärte Störch den Gästen, „deshalb können wir hier nicht mehr die Bilder zeigen, die schon auf vielen Ausstellungen in Deutschland gezeigt wurden. Aber wir waren hartnäckig und man hat uns schließlich die Dateien zur Verfügung gestellt.“ In den nächsten Monaten werden diese Bilder der „zweiten Auflage“ noch einmal nach Frankfurt und Offenbach „weiterziehen“.

Auch Bürgermeister Klaus Schindling staunte darüber, wie man als Betrachter mit Vorurteilen behaftet ist und Menschen „in anderer Gewandung für einen Augenblick mit anderen Augen sieht“. „Das zeigt, wie wichtig es ist, Menschen auf Augenhöhe und ohne Vorurteile behaftet zu begegnen“, resümierte Schindling nachdenklich, er lobte das „manchmal auch provokante“ Engagement von Klaus Störch, solche Ungereimtheiten mit künstlerischen Mitteln aufzudecken ausdrücklich als Bereicherung für Hattersheim.

Kulturdezernent Karl Heinz Spengler schloss sich diesem Lob gerne an. „Dieses wiederbelebte Thema öffnet Augen“, kommentierte er die Ausstellung, „beides möchte zum Nachdenken einladen und das tut es auch. In der Gesellschaft werden obdachlose Menschen allzu oft als Mitleid erregend oder gar minderwertig wahrgenommen. Die Initiatoren dieser Aktion haben sich vorgenommen, diese Sichtweise nachhaltig zu verändern, und ich finde, dass dies auch gelingen kann.“ Spengler wies in diesem Zusammenhang auf das diesjährige Thema der KulturRegion FrankfurtRheinMain im Rahmen des Projekts „Geist der Freiheit – Freiheit des Geistes“ hin, welches „Kleidung, Freiheit, Identität gestern und heute“ umfasst. Er dankte ausdrücklich der Projektleiterin Magdalena Zeller, aber auch Klaus Störch und dessen Mannschaft dafür, dass die Ausstellung in Hattersheim möglich gemacht werden konnte und im Rahmen des Projektes gezeigt werden kann.

In einem spannenden Einführungsvortrag sprach Magdalena Zeller an, dass unser Gehirn nur eine Zehntelsekunde braucht, um ein Urteil über eine Person zu fällen: „Der erste Eindruck zählt!“, stellte sie fest. „vor allem in unserer schnelllebigen Zeit. Unsere Mimik ist dabei gar nicht so wichtig, sondern was wir tragen spielt eine große Rolle.“ Diese schnelle Einschätzung kann aber nur dann richtig sein, wenn die Zielperson authentisch ist. Bei der Einschätzung bedient sich unser Gehirn sogenannter Stereotypen, um eine Person zu kategorisieren, also um festzustellen, welchen sozialen Status sie hat und wie vertrauenswürdig sie ist. „Weil Mode dabei aber eine große Rolle spielt, ist es wichtig, diese immer zu hinterfragen“, stellt Magdalena Zeller fest, „in unserer Gesellschaft liegt ein wichtiger Schwerpunkt auf der individuellen Freiheit, über sein Aussehen selbst bestimmen zu wollen – umso wichtiger ist ein Hinterfragen.“ Durch die „Demokratisierung der Mode“ – Mode war früher ein Privileg für Reiche – wurde es mit der Möglichkeit der Massenanfertigung von Kleidung für immer mehr Menschen erschwinglich, sich so zu kleiden, wie sie es möchten. Nach Zellers Ansicht bestimme heute nicht mehr der Laufsteg in Paris was „in“ ist, sondern der „Streetstyle“. „Jeder möchte heute möglichst authentisch und individuell sein, aber auch das führt wieder zur Konformität und sogar zu Geschmacklosigkeiten“, meinte sie. Als Beispiel führt sie etwa die von einen Designer entworfene Aldi-Obdachlosentasche zum Preis von 500 Euro an, der die Obdachlosenzeitschrift FiftyFifty die für Obdachlose kostenlose Designer-Tasche "Lars“ aus nachhaltigen Rohstoffen entgegengesetzt habe, die jeder auch für 5 Euro kaufen kann.

„Diese Bilder sorgen für Überraschungen: Mit dem Bewusstsein, dass es keine Originale sind, packen sie uns bei unseren eigenen Klischees, wie wir uns Erfolg und was dazu gehört vorstellen. Die Ausstellung wirbelt unsere Klischees durcheinander“, stellte Magdalena Zeller abschließend fest, „und sie bewirkt auch, dass der Betrachter Wohnungslose nicht mehr als homogene Masse, sondern als eigene Individuen sieht.“

Die Ausstellung ist im Haus St. Martin am Autoberg noch bis zum 21. April immer montags, mittwochs, donnerstags und freitags von 8.30 bis 15 Uhr und dienstags von 8.30 bis 12.30 Uhr zu sehen.

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