HATTERSHEIM (ak) – Es bleibt unklar, ob Achim Knorrs Bühnenkleidung nun gar die „Rebellion in der Rebellion“ ankündigen oder ob sie signalisieren sollte, dass er seine „Rebellion“ am Ende doch frustriert aufgegeben habe: der „Rockstar“ trug zwar Jeans, aber auch ganz seinem Alter und seinem derzeitigen gesellschaftlichen Status als Familienvater angepasst Hemd, Krawatte und Jackett. Nur seine ergraute John-Lennon-Gedächtnisfrisur erinnerte an die Zeiten, als es ihm nach eigenem Bekunden noch nicht möglich gewesen sei, selbst als Rebell lange Haare zu tragen.
Sein Anspruch an sich selbst scheint hoch zu sein, verblüffte er doch zunächst mit einem von ihm als „Prolog“ bezeichneten „Einstieg auf hohem Niveau“ in sein Programm: er versuchte sich „experimentell tänzerisch“ mit einer Darstellung der Deutschen Revolution und ihrem Scheitern.
Dann nahm Achim Knorr sein Publikum mit auf eine Zeitreise in die Heimatstadt seiner Kindheit, dem ostwestfälischen Herford. Dass dieser Ort, der zwar als ehemalige Hansestadt und durch die „zwei Highlights“ Brauerei und Katzenzungenfabrik wesentlich aufregender als Bielefeld daherkomme, nichts anderes als „Rebellion“ in einem Heranwachsenden hervorrufen konnte, müsse jedem halbwegs intellektuellen Menschen sofort einleuchten. Achim Knorr unterstützte diese Erkenntnis durch skurrile Schilderungen seiner Tagträume im Keller unter „Ommas“ Edeka-Laden. Dort habe er auch seine erste „Bravo“ in die Finger bekommen, und sich entschlossen, darin blätternd, „Rockstar“ zu werden. Den Zuschauern gefielen seine drolligen Schilderungen, wie dieser Wunsch zunächst von seiner Umwelt immer wieder boykottiert worden sei. Zum Beispiel hätte er einst keine Gitarre bekommen, weil sein Vater habe: „Du bekommst keine Gitarre, davon kriegt man lange Haare.“ Aus Rebellion dagegen habe er sich eine Gitarre aus Lego gebaut, die sogar noch den Vorteil besessen habe, dass man sie „kostenneutral zertrümmern“ und immer wieder brav zusammenbauen konnte. Allerdings sei sie halt nicht so cool wie eine echte Gitarre gewesen, ebensowenig wie die Schuhe mit den zwei Streifen, die der junge Knorr angeblich zu tragen hatte, da seine Eltern sparen mussten, oder der Parka mit der abstehenden Kapuze. Selbst die einfachste Form der „Schüler-Rebellion“ sei ihm irgendwie schwergefallen: er habe sich zwar vorgenommen zu schwänzen, aber selbst immer wieder Gründe gefunden, warum es wichtig sei, zur Schule zu gehen.
Was alles passierte, bis er doch in einer Punkband, schließlich in einer Rockband und dann in seiner „Ein-Mann-Rockband“ (bei der es natürlich immer „musikalische Differenzen“ gebe), landete, wird von seinen Zuschauern lachend verfolgt – jeder weiß eben, dass es „schrecklich teuer“ ist, ein Hotelzimmer zu zertrümmern und kann nachvollziehen, dass dies einen jungen „Rockstar“ schon davon abhalten kann, „standesgemäß“ zu handeln.
Noch größer wird das Vergnügen der Zuschauer, als Achim Knorr anfängt zu schildern, wie er heute immer wieder kleine „Rebellionen“ in seinem Alltag unterbringt. Der Gedanke daran, wie er „eben mal so in einen Laden geht“, sich einfach einen fremden, schon gefüllten Einkaufswagen greift und zur Kasse schiebt, alles auf’s Band legt und am Ende behauptet, kein Geld dabei zu haben oder wie er statt in der Cafeteria von Ikea seine Köttbullar in der Möbelausstellung verspeist und dabei dann auch die Toilette damit „dekoriert“, treibt so manchem Zuschauer vor Vergnügen Tränen in die Augen. Auch seinen Traum, einmal mit einem „Riesen-Trekking-Rucksack“ durch ein allgemein bekanntes Geschenkartikel-Geschäft zu spazieren und sich dabei immer mal wieder umzudrehen, scheint der eine oder andere im Publikum schon mal selbst geträumt zu haben. Viele seiner Zuschauer können offenbar diesen Drang zu solch kleinen, gemeinen Rebellionen in unserem Alltag sehr gut nachvollziehen.
Zwischendurch outete sich der Künstler als absoluter „Nutella-Fan“, dessen Schokoladen-Leidenschaft dazu geführt habe, dass er laut Gewichtstabellen weit über 1,90 Meter groß sein müsste, der aber essen könne, was er wolle und einfach nicht mehr größer werde, obwohl er seine Essgewohnheiten um 360 Grad umgestellt habe. Auch hier lag Achim Knorr voll auf einer Linie mit seinem Publikum. Das Stichwort „Nutella-Deckel“ führte ihn schließlich zu einer schnurrig kunstfertigen „Frühstücks-Performance“, musikalisch ohne Instrumente trommelte er auf einem imaginären Nutella-Deckel und schüttelte eine nicht vorhandene Müsli-Tüte.
Auch die Tücken des Internets waren ein Thema bei Achim Knorr, zum Beispiel schilderte er, wie er sich zum Trocknen seiner Schuhe einen Artikel aus dem Archiv der Süddeutschen Zeitung ausdruckt. Oder aber er fragte sich, worin Fischverkäufer in der Zukunft ihren Fisch einpacken – gibt es letzten Endes irgendwann nur noch „Fisch online“? Für die Schwierigkeiten, die Musiker etwa durch Raubkopien aus dem Internet haben, hatte er allerdings schon eine Lösung parat. Knorr meinte, in Zukunft sollten Konsumenten nicht mehr dafür zahlen müssen, dass sie Musik hören können, man sollte vielmehr den umgekehrten Weg gehen. Dabei sollte überall immer die gleiche Musik so lange gespielt werden, bis die Leute freiwillig dafür zahlen, dass sie aufhört. Ob es daran lag, dass seine Zuschauer an dem Abend dieses Prinzip noch nicht wirklich verinnerlicht hatten oder ob ihnen seine Gitarrenmusik wirklich so gut gefiel, dass sie nicht wollten, dass er aufhört zu spielen, ließ sich nicht ganz klären. Jedenfalls flog statt der von ihm angeregten Zehneuroscheine nur ein einzelnes „Fischli“ auf die Bühne, der einzelne Euro, der noch folgte als er mit dem „Preis“ nach unten ging, verschwand irgendwo im Dunkel der Bühne.
Eine Spezialität von Achim Knorr sind sicher seine pantomimischen Comedy-Einlagen, ob beim „Küchenkonzert“ oder bei seiner kleinen Reihe „Unfälle im Haushalt“, bei der er den Zuschauern mit wenigen prägnanten Gesten etwa einen „Tod durch Ersticken“ mit der imaginären Sticknadel im Herzen vorspielte. Bei diesen visuellen Einlagen kam zur Freude seines Publikums auch immer wieder Achim Knorrs Markenzeichen, die weit offenen runden Augen mit den schwarzen Pupillen, zum Einsatz.
Alles in allem hätte man bei Achim Knorr im Posthofkeller einen amüsanten Abend verbringen können. Leider fanden sich aber nur wenige Zuschauer zu der Veranstaltung des KulturForums Hattersheim e. V. am letzten Freitag dort ein. „Das liegt sicher daran, dass heute auch der Hochheimer Markt eröffnet hat“, meinte Natascha Ketterer vom KulturForum. „Da zieht es die Leute aus der Region eher dorthin als in Kabarett.“
Kommentare