Bahnübergang ist ein gefährliches Pflaster

Bürger und Parteien protestieren gegen die Schließung der Eddersheimer Unterführung – Bahn will vorübergehende Öffnung prüfen

Das ist die „bessere“ Seite des Eddersheimer Bahnübergangs – aber selbst hier ist es nicht ungefährlich, wenn Fußgänger, Radfahrer und Autos sich nach dem Öffnen der Schranke gleichzeitig aufmachen, um auf die andere Seite zu gelangen.?(ak/Foto: A. Kreusch)

 

 

EDDERSHEIM (noe) – Großer Bahnhof am kleinen Bahnhof: Am Montagmorgen versammelten sich um 6.45 Uhr mehrere Dutzend Bürgerinnen und Bürger, um am Bahnübergang ein sichtbares Zeichen gegen die Schließung der Eddersheimer Bahnunterführung zu setzen. Anwesend waren auch Mitglieder der Bürgerinitiative für Umweltschutz (BfU), Vertreter sämtlicher Fraktionen des Hattersheimer Stadtparlaments sowie Bürgermeisterin Antje Köster, Erste Stadträtin Karin Schnick, Flörsheims Bürgermeister Michael Antenbrink und Kreisbeigeordneter Wolfgang Kollmeier.

 

Es herrscht Konsens: Die Bahn muss für den Erhalt der Unterführung sorgen!
Die Polizei war, wie in solchen Fällen und an solchen Orten üblich, mit einigen Einsatzkräften präsent, die aber zu keinem Zeitpunkt eingreifen mussten. Denn der Protest verlief ruhig. Selbst Trillerpfeife, Trommel und Megafon – zumindest bei Großdemonstrationen allgegenwärtig – blieben zu Hause. Auch Plakate und Spruchbänder hielten sich in überschaubaren Grenzen. Doch das tat der Bestimmtheit und der Glaubwürdigkeit des Protestes keinen Abbruch. Im Gegenteil, gerade durch den besonnen aber entschlossen vorgetragenen Widerstand wurde deutlich: Hier gibt es, vorgebracht von unmittelbar Betroffenen, ein Anliegen, das Beachtung verdient. Dass es berechtigt ist, liegt auf der Hand. „Die Eddersheimer sind eben gesittet“, brachte es Michael Minnert, Fraktionsvorsitzender der CDU Hattersheim, auf den Punkt. Und das muss Minnert als Eddersheimer – er wohnt in der Bahnhofstraße – schließlich beurteilen können. Als Radfahrer weiß er zudem, wie schnell es, gerade im Bereich des Bahnübergangs, zu brenzligen Situationen kommen kann.

Eingesperrt
Wenn die Schranken offen sind, beeilen sich Fußgänger, Radfahrer, LKW- und PKW-Fahrer, auf die andere Seite zu kommen. „Das ist schon ein richtiges Abenteuer“, so Minnert. Dafür sorgt die Enge: Zu beiden Seiten der Straße gibt es etwa 50 Zentimeter breite Fußgängerstreifen, die allerdings kurz vor dem Bahnübergang enden – eine Verbindung zum Gehweg gibt es nicht. Das heißt: Passanten müssen für ein paar Schritte die Fahrbahn mitbenutzen. Gerade in der Hektik zu Stoßzeiten ein gefährliches Unterfangen. Schließlich wollen, wie erwähnt, auch Rad- und Autofahrer hinüber. Die größte Sorge, das geben die Demonstranten unisono zu verstehen, gilt den Kindern.
„Konrad, sagt die Bundesbaah, der Zug fährt ab und du bleibst da!“ ist auf einem Spruchband zu lesen; angefertigt wurde es von Karin Fredebold, Stadtverordnete der Hattersheimer FDP. Dazu hatte sie einige Kinder gemalt, deren Reaktion angesichts der verpassten Bahn zwischen Traurigkeit und Entsetzen angesiedelt ist. Viele Eddersheimer, aber auch nicht wenige Weilbacher Kinder fahren mit der S-Bahn zum Beispiel nach Flörsheim oder Frankfurt-Höchst, da sie dort zur Schule gehen. Die Bahn gibt ihnen und den anderen Fahrgästen per Aushang einen Rat: Da die Unterführung nun mal zu ist, sollte man entsprechend frühzeitig vor Ort sein. Mit anderen Worten: Die Bahn mutet allen Kunden – ob jung oder alt – zu, am frühen Morgen bei Wind und Wetter an der Bahnschranke auszuharren, um dann, nach einer riskanten Querung des Bahnübergangs, wiederum am Gleis auf den gewünschten Zug zu warten. Diesen tatsächlich zu erwischen, ist praktisch Glückssache. Wann die Schranken unten sind, ist allein schon angesichts der zahlreichen Durchfahrten schwer vorauszusehen. Fest steht nur: Wenn sie erst einmal geschlossen sind, dann dauert es. An diesem Montagmorgen allerdings wurden, was viele Protestler bissig kommentierten, die Schranken auffällig oft bedient. Die Folge: Die Wartezeiten hielten sich, im Vergleich zum Normalzustand, in Grenzen. Und auch die Autoschlangen vor und hinter den Bahnschranken waren kürzer als sonst. Trotzdem war die enorme Verkehrsbelastung, die Eddersheim Tag für Tag zur Stoßzeit erlebt, nicht zu übersehen.
FDP-Stadtverordnete Karin Fredebold wohnt in Eddersheim, sie muss aus beruflichen Gründen die Bahnschranke mit ihrem PKW passieren. Bereits seit vielen Jahren habe sie sich angesichts extrem langer Wartezeiten vor der Schranke geradezu eingesperrt gefühlt. Eine Empfindung, die nicht nur so mancher der gleichsam betroffenen Autofahrer teilen dürfte. Denn die Verkehrssituation zerrt auch an den Nerven der Anwohner. Zu Stoßzeiten bilden sich Rückstaus bis tief in den Ort hinein, neben den PKW stehen LKW und zuweilen auch Landmaschinen beliebiger Größenordnung dicht an dicht.
Zudem sehen sich die Anwohner immer wieder mit brenzligen Situationen konfrontiert, die meist von gestressten und/oder leichtsinnigen Fahrzeuglenkern verursacht werden. Davon können die benachbarten Weilbacher ein Liedchen singen, schließlich ist ihr Ort – genauer gesprochen, die dortige große Ampelkreuzung – die nächste respektive vorherige Station eben dieser Autofahrer. In den meisten Fällen gibt es dasselbe, gleichwohl nur mit Geduld zu erreichende, Ziel: Morgens auf die Autobahn, nachmittags gehts zurück an den heimischen Herd. Ob hinter dem Steuer oder hinter den Gardinen, weder in Eddersheim noch in Weilbach sind die Leute mit der Situation zufrieden.
Die plötzliche Schließung der Eddersheimer Fußgängerunterführung durch die Bahn war für viele Bewohner beider Orte deshalb ein Tiefschlag. Denn nun werden außerdem noch die Bahnreisenden am Fortkommen gehindert. Kurioserweise, wie man feststellen muss, ausgerechnet von der Bahn selbst. Angesichts der Maßnahme in Eddersheim erweist sich das von Seiten des Konzerns gern und oft gestreute Versprechen „die Bahn macht mobil“ als, gelinde gesagt, kühne Behauptung.

Bringschuld
Für Bewegung dagegen wollen fraktionsübergreifend die politischen Kräfte des Hattersheimer Stadtparlamentes sorgen. Wie Karin Fredebold berichtete, hat die FDP bereits einen Entwurf für einen gemeinsamen Antrag vorgelegt. Sämtliche Fraktionsspitzen hätten Übereinstimmung in der Sache signalisiert. Winfried Pohl, Fraktionssprecher der Hattersheimer Grünen, etwa begrüßte im Gespräch mit dieser Zeitung den Schritt. Es gelte nun, mit einem gemeinsamen Antrag Geschlossenheit zu demonstrieren. Zugleich warnte er davor, nun aus dem Protest ein Politikum zu machen, um so die Arbeit des Magistrats zu diskreditieren. Damit schwäche man, in der Auseinandersetzung mit der Bahn, nur die eigene Position. Abgesehen davon müsse sich der Magistrat nichts vorwerfen, so Pohl: „Die Bringschuld liegt eindeutig bei der Bahn.“ Doch offensichtlich gebe es seitens der Bahn ein Kommunikationsproblem.
Die „Wählervereinigung Pro Hattersheim“ (WPH), die ebenfalls mit einigen Vertretern am Montagmorgen vor Ort war, behauptet dagegen, dass neben der Bahn auch die Stadt für die Situation verantwortlich sei. Die Ende Januar gegründete und nicht im Stadtparlament vertretene WPH wirft der Rathausführung im Kern vor, die Sanierung verschleppt zu haben. Bei der im Jahre 2011 getroffenen Rahmenvereinbarung zwischen der Bahn, den Verkehrsverbünden und dem Land sei schließlich festgelegt worden, dass die Kommunen bei der Realisierung einer Sanierungsmaßnahme einen Eigenanteil zu entrichten hätten. Die Stadt habe jedoch tatenlos abgewartet, bis die Bahn schließlich beschlossen habe, die Unterführung aufzugeben.
Dieser Darstellung widersprach Hattersheims Erste Stadträtin Karin Schnick am Montagmorgen entschieden. Im April 2013 habe der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) der Stadt mitgeteilt, dass die Bahn eine Sanierung der Unterführung im Jahre 2015 beabsichtigt. Die Stadt werde sich nicht an den Kosten in Höhe von 1,1 Millionen Euro beteiligen müssen, habe es geheißen. Zwar gebe es hierüber, da die Mitteilung telefonisch erfolgt sei, kein Schriftstück, wohl aber eine entsprechende Aktennotiz. Aufgrund dessen habe die Stadt keine Veranlassung gesehen, weitere Erkundigungen in dieser Angelegenheit einzuholen. Sie selbst habe fest mit einer Sanierung der Unterführung noch in diesem Jahr gerechnet, sagte Schnick. Nun, da die Unterführung wider Erwarten dichtgemacht worden sei, müsse man sich hartnäckig für ihre Öffnung einsetzen.
Die Vertreter von FDP und FWG zeigten am Montagmorgen, was darunter zu verstehen ist. Während der FDP-Fraktionsvorsitzende Dietrich Muth gemeinsam mit Karin Fredebold an das Eisenbahn-Bundesamt adressierte Beschwerdekarten unter die Leute brachte, baten die Freien Wähler Passanten um ihre Unterschrift gegen die Schließung der Unterführung. Außerdem richtete die FWG eine dreitägige Mahnwache in der Nähe des Bahnübergangs ein. Willi Torka, Vorsitzender der FWG, wertete bereits am Montagmorgen Mahnwache und Unterschriftenaktion als Erfolg. Seine Einschätzung bestätigte er nochmals am nächsten Tage, Torka teilte am Dienstag per Mail mit: „Was die Anzahl der Unterschriften betrifft, so ist diese nochmals angestiegen auf jetzt 407. In der Summe gehen wir von rund 500 Unterschriften aus, da noch mehrere Unterschriftenlisten ausgelegt sind.“ Torka kündigte während der Protestaktion an, diese Unterschriften in die Zentrale des DB-Konzerns nach Berlin zu tragen, sollte die Bahn nicht einlenken.

Problem erkannt
Die Freien Wähler gehen zu Schmidt und nicht zu Schmidtchen – siehe der offene Brief des FWG-Vorsitzenden an den Vorstandsvorsitzenden der Bahn in der letzten Ausgabe dieser Zeitung. Außerdem wurden die Landtagsabgeordnete Nancy Faeser, der Bundestagsabgeordnete Prof. Heinz Riesenhuber und Staatsminister Axel Wintermeyer informiert und um ihren Beistand gebeten. Bislang, so Torka, habe sich nur Riesenhuber mit ihm in Verbindung gesetzt, der ihm aber von mehreren Gesprächen mit der Bahn und von einer Antwort aus dem Büro des Konzernbevollmächtigen für das Land Hessen, Dr. Klaus Vornhusen, berichtete. „Danach – und nach telefonischen Auskünften – glaubt die Bundesbahn, dass sie das Problem im Griff hat“, so Riesenhuber. Zunächst aber musste die Bahn, was schwierig genug war, dazu gebracht werden, überhaupt die Existenz eines Problems anzuerkennen. Obschon bereits ein Blick auf die Anlage genügt: Der Bahnübergang ist, um es geschönt auszudrücken, minimalistisch beziehungsweise nicht mehr zeitgemäß. Ungeeignet und gefährlich trifft es eher. Werner Schaffhauser, Leiter des Hattersheimer Ordnungsamtes, bestätigt dies. Auch er hält den Bahnübergang in dieser Verfassung für nicht sicher.

 

 

Dabei wird doch gerade die Sicherheit bei der Bahn großgeschrieben. Sagt jedenfalls die Bahn selbst. Deshalb weist sie ja ungeduldige Fußgänger auch darauf hin, dass man bei geschlossener Bahnschranke unter gar keinen Umständen auf die Schienen darf. Wer hätte das gedacht. Und es gibt trotzdem Lebensmüde oder Narren, die das anders sehen. Doch denen ist auch mit den einfühlsamsten Appellen nicht zu helfen, das weiß auch die Bahn. Was sie offensichtlich nicht weiß: Auch wer als Fußgänger alles daran setzt, um sicher auf die andere Seite des Bahnübergangs zu kommen, kann – siehe obige Situationsbeschreibung – krankenhausreif verletzt werden. Es kann aber auch Schlimmeres passieren.

In der Pflicht
„Das ist grob fahrlässig“, gab Flörsheims Bürgermeister Michael Antenbrink, der vor seinem Umzug in die Nachbarstadt einst selbst in Eddersheim wohnte, zu verstehen. Die Bahn habe in Aussicht gestellt, mit einem gewaltigen, milliardenschweren Programm bundesweit für die Beseitigung schienengleicher Bahnübergänge zu sorgen und diese durch Unterführungen zu ersetzen, so Antenbrink. Unsummen seien allerorten im Spiel, doch für eine relativ bescheidene Investition in die Sicherheit eines rege frequentierten Bahnhofsbereichs stünden keine Mittel zur Verfügung. „Da fehlen einem die Worte“, erklärte Flörsheims Bürgermeister. Der Hattersheimer SPD empfahl der Sozialdemokrat, bei ihrem eingeschlagenen Kurs zu bleiben. Die Partei hatte angekündigt, am Dienstag Unterschriften für die sofortige Öffnung der Unterführung zu sammeln, wie es die Weilbacher SPD bereits am Samstag mit großem Erfolg getan hatte. Antenbrink sieht das Eisenbahn-Bundesamt, zu dessen Aufgaben die Gewährleistung der Sicherheit des Bahnnetzes gehört, in der Pflicht: „Es muss etwas unternommen werden.“
Tätig werden wollen auch die Städte Hattersheim und Flörsheim. Allerdings nicht, wie von einzelnen Bürgern gefordert, indem sie einen zusätzlichen Busverkehr zwischen Eddersheim und Flörsheim einrichten. Es sei nicht einzusehen, so der Tenor, weshalb die städtischen Haushalte wegen einer falschen Maßnahme der Bahn finanziell belastet werden sollten. Ein weiterer Grund liegt auf der Hand: Die Kassen beider Kommunen sind alles andere als prall gefüllt. Stattdessen kündigten die Rathausspitzen Hattersheims und Flörsheims an, ihren gemeinsamen Rechtsanwalt Dr. Martin Schröder, der beide Kommunen bereits mit ihren Klagen in Sachen Flughafenausbau vertritt, mit der Prüfung rechtlicher Schritte gegen die Schließung der Unterführung zu beauftragen.

Und sie bewegt sich doch
Ob es an dieser Ankündigung, an dem geschlossenen Protest von Parteien und Bürgern, am Medieninteresse – neben mehreren Zeitungen berichtete bereits der Hessische Rundfunk – oder an allem zusammen lag, ist ungewiss: Die Bahn, von einem einstündigen Ortstermin (wir berichteten) abgesehen, in dieser Sache nicht sonderlich kommunikativ, hat sich mittlerweile tatsächlich bewegt. Und zwar, erfreulicherweise, auf die Bürger zu.
Noch am Montag teilte Hartmut Schwarz, Leiter des Bahnhofsmanagements Frankfurt am Main, Hattersheims Erster Stadträtin Karin Schnick, die in mehreren Gesprächen mit der Bahn auf eine zeitnahe Lösung gedrängt hatte, Folgendes mit: „Wir nehmen die Hinweise und Befürchtungen der Bürger bezüglich der Sicherheit des Schulwegs über den angrenzenden Bahnübergang sehr ernst. Wir haben zwischenzeitlich ein vom Eisenbahn-Bundesamt zugelassenes Sachverständigenbüro mit der Zielsetzung beauftragt, eine vorübergehende Weiternutzung der Unterführung in Eddersheim zu ermöglichen. Zu untersuchen ist, ob dieses Ziel durch geeignete Abstützungen erreicht werden kann. Während dieser (hoffentlich möglichen) Weiternutzung kann gemeinsam mit allen Beteiligten eine zukunftsweisende Lösung für die Gesamtsituation an dieser Eisenbahnkreuzung gesucht und umgesetzt werden. Da die Arbeit des Sachverständigenbüros und mögliche anschließende Arbeiten einige Zeit in Anspruch nehmen wird, setzen wir, wie bereits zuvor mitgeteilt, seit Beginn des Schulbetriebes am 13. April 2015 DB Sicherheitspersonal zumindest in den Hauptverkehrszeiten zur Reisendenlenkung ein.“
Was darunter zu verstehen ist, konnte am Montagmorgen besichtigt werden. Die Bahn hatte zwei Mitarbeiter entsandt, die sich ab 7 Uhr darum bemühten, vor Ort für Verkehrssicherheit zu sorgen. Ob die Präsenz des Sicherheitspersonals tatsächlich Unfälle verhindern kann, ist indes zu bezweifeln. Die einzig taugliche Lösung des Sicherheitsproblems ist, dazu kann es eigentlich keine zwei Meinungen geben, die Öffnung der Unterführung. Die vorbereitenden Maßnahmen hierzu sollten so schnell wie möglich angegangen und umgesetzt werden. Denn der Bahnübergang, das müsste sich doch mittlerweile herumgesprochen haben, ist ein gefährliches Pflaster. Er gehört auf einen sicheren Stand gebracht, dasselbe muss aber auch für die Unterführung gelten. Es darf nicht bei einer Übergangslösung bleiben.

 

 

 

 

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