Was ältere Leute erzählen

„Aufgelesen“ von Dieter Press

Geschichtliches

über die Gemeinde Bischem

Wechsel im Rathaus

„Flaggen heraus in Bischofsheim!

Alles hat für einen großen Festzug am Erntedankfest zu rüsten!“ Diese Parole der neuen Machthaber sorgte natürlich insbesondere bei den Bischemer Bauern – wie in der vorigen Ausgabe des Lokal-Anzeigers berichtet – für großen Gesprächsstoff.


Bauernfängerei?

Das Erntedankfest am 1. Oktober 1933 wurde als Ehrentag für die Bauern deklariert. „Ich bin jetzt 75 Jahre alt, aber so etwas habe ich als Landwirt noch nicht erlebt“, sagte damals ein Bischemer Bauer. „Wenn’s nur keine Bauernfängerei gibt“, meinte damals ein anderer. „Ich musste dieser Tage schon ganz schön opfern für den Gabenwagen, der am heutigen Morgen unter Vorantritt des Bischofsheimer Jungvolks nach Mainz geleitet wurde“, klagte bissig ein weiterer Bauer. Als der 1. Oktober, ein Sonntag, ins Land zog, da marschierten zwei Weckrufkapellen durch die Ortsstraßen und am Erntedankfest gab’s einen Festzug mit gewaltigem Ausmaß, mit vielen Festwagen, die alle auf das Bauerntum oder die Ernte abgestimmt waren. Abends war wieder kostenloser Tanz im Saalbau Schad und im Saalbau Bayer.


Eintopfessen wurde eingeführt

An diesem Tag hörte man beim Festumzug und beim Tanz erstmals etwas vom Eintopfessen. Eintopfessen gab es von nun an in jedem Haushalt, Eintopfessen in jeder Gastwirtschaft. Kein Wirt durfte etwas anderes als Eintopf zum Mittagstisch servieren und musste das danach ersparte Geld ans Winterhilfswerk abführen. Auch wurde in den Haushalten das durch die einfachere Mahlzeit ersparte Geld von Sammlern abgeholt. Jeden ersten Sonntag in den Wintermonaten war von nun an Eintopfsonntag.


Aufruf zur Handwerkerwoche

„Die neuen Machthaber feiern aber Feste!“, meinten wenige Tage später zahlreiche Ortbürger, als für 14 Tage später zu einer Handwerkerwoche aufgerufen wurde. Wieder bewegte sich ein stattlicher Festzug durch Bischem. Eine ganze Woche lang war irgendetwas los im Ort. „Kauft beim einheimischen Gewerbe!“ – das war die Losung. „Gebt Arbeit dem Schmied, kauft Euer Mehl beim Bäcker!“ lauteten die Parolen. Die Friseure brachten ihren Aufruf an die Selbstrasierer in Erinnerung, das Selbstrasieren aufzugeben und sich wieder beim Friseur rasieren zu lassen. Auf dem Schulplatz wurden von den Handwerkern 1000 Brezeln und 600 Würstchen an die Kinder kostenlos verteilt und die Handwerker selbst gingen in der Handwerkerwoche nach alter Handwerkersitte täglich gemeinschaftlich in diese oder jene Gaststätte zum Frühstücken.


Frankengräber gefunden

Da eilte am 11. November 1933 auch einmal eine unpolitische Neuigkeit durch Bischofsheim: Im Gemarkungsteil „Am Himmelspfad“ hat man einen Frankenfriedhof entdeckt, lautete die Meldung. Den größten sogar, der je in der ganzen Umgebung gefunden wurde. Viele Gräber wurden unter der Leitung vom hiesigen Heimatforscher, Lehrer Georg Mangold, freigelegt. In verschiedenen Gräbern wurden u.a. Lanzenspitzen, Ohrringe und Töpfe als Beigaben gefunden.


Wieder eine Wahl

Der 12. November 1933 brachte die Bischofsheimer wieder politisch auf die Beine, und zwar auf den Weg zur Wahlurne. Gewählt wurde diesmal allerdings nicht. Man hatte nur mit „Ja“ oder „Nein“ zu stimmen – für oder gegen die Regierung. Und von den 4148 Wahlberechtigten gingen 4002 zur Urne. Von ihnen stimmten 3932 mit „Ja“ und 70 mit „Nein“. Ob da nicht im Rathaus etwas gemogelt wurde, meinte augenzwinkernd so mancher Bischemer in den nächsten Tagen auf der Straße und in den Gaststätten.


Ortsgewerbeverein aufgelöst

Anfangs Dezember 1933 hörte man dann erstmals etwas vom Luftschutz. „Was soll denn das bedeuten?“, fragten sich viele. Es wurden nämlich Fragebogen ausgeteilt, die ausgefüllt auf dem 11. Polizeibezirk wieder abgegeben werden mussten. Dann gab es im gleichen Monat, kurz vor Weihnachten, noch eine Überraschung – und zwar im Vereinsleben. Der Ortsgewerbeverein musste sich als solcher auflösen, sonst wäre sein gesamtes Vereinsvermögen, einschließlich der stattlichen Gewerbeschule, wo heute die Polizeistation untergebracht ist, beschlagnahmt worden. Unter dem Namen „Zeichenschulverein“ durfte der Verein jedoch weiter bestehen. Er durfte auch Schüler im Zeichenunterricht ausbilden, hatte sich aber ansonsten jeder politischen oder handwerklichen Angelegenheit zu enthalten.


Zweites Kino eröffnet

Im gleichen Monat noch – am 1. Weihnachtsfeiertag des Jahres 1933 – öffnete ein zweites Kino in Bischofsheim seine Pforten im Saal Gütlich, dem heutigen Club Royal. Es trug den Namen „Capitol-Lichtspiele“. Die „Adler-Lichtspiele“ von Jakob Horst, die seither dort ihre Vorstellungen gaben, hatten am 20. November 1933 mit einem Neubau in der Darmstädter Straße (heutiger Schlecker-Markt) begonnen.  (Wird fortgesetzt!)

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