Bürger sollen die Problemzonen benennen

Flörsheim nun beim Landesprogramm "KOMPASS" dabei - Simon Rahner als Ansprechpartner

Ein Schild für das Rathaus: Bürgermeister Bernd Blisch (l.) nimmt von Polizist Thomas Trapke ein Schild entgegen, das die Stadt als Teilnehmerkommune am Landesprogramm "KOMPASS" ausweist.

Flörsheim nun beim Landesprogramm "KOMPASS" dabei - Simon Rahner als Ansprechpartner

Nicht, dass der Bedarf an diesem neuen Programm falsch verstanden wird: Flörsheim gehört im Bereich der Polizeidirektion Westhessen nicht zu den auffälligen Kommunen, den Problemkindern, was das Aufkommen an Kriminalität angeht. Die Aktivitäten der „schweren Jungs“ im Zuständigkeitsgebiet der Direktion waren zuletzt rückläufig, besonders die Anzahl der vor einigen Jahren die Polizei wie die Bevölkerung besonders beschäftigenden Wohnungseinbrüche sinkt weiter.

Es gibt allerdings die Erfahrung bei Polizei wie den Kommunen, dass die tatsächliche Entwicklung der Gefährdungen der Bürgerinnen und Bürger und deren Sicherheitsgefühl nicht unbedingt deckungsgleich sind. „Die Zahlen erreichen die Bürger nicht, die wollen reden“, sagt die Leiterin der Flörsheimer Polizeistation, Sabine Bornberg. Kommunikation gilt als der Schlüsselbegriff, wenn Politik und Polizei Unsicherheitsgefühle und Kriminalitätsängste in der Bevölkerung abbauen wollen. Ob die dem tatsächlichen Kriminalitätsgeschehen entsprechen, darf dabei erst einmal keine Rolle spielen.

Das Hessische Innenministerium, für die Polizei und Sicherheit im Bundesland zuständig, hat Ende 2017 ein Programm aufgelegt, das den Kommunen dabei helfen soll, „die Sicherheitsarchitektur individuell weiterzuentwickeln und passgenaue Lösungen für Probleme vor Ort zu entwickeln“. So lautet das Ziel von „KOMPASS“, ein auf die Kriminalprävention abzielendes Landesprogramm. In das wurde die Stadt Flörsheim am Dienstag ganz offiziell aufgenommen, nachdem in der Verwaltung vor allem mit der Einstellung eines zusätzlichen hauptamtlichen Mitarbeiters des Ordnungsamtes in Person von Simon Rahner in den vergangenen Monaten die Voraussetzungen geschaffen wurden.

Ausgeschrieben heißt KOMPASS „KOMmunalProgrAmmSicherheitsSiegel“. Denn am Ende der in der Regel auf drei bis fünf Jahre ausgelegten Aufbauarbeit einer Sicherheitskommunikation mit den Bürgern und der dafür benötigten Struktur in der Verwaltung steht ein offizielles Siegel aus Wiesbaden. Das ist zwar ganz nett, aber nicht nur, weil es undotiert ist, wahrlich nicht das, worauf es ankommt. Viel wichtiger ist das, was die Kommunen auf dem Weg an Strukturen entwickeln, um sich das Siegel zu verdienen.

Geld aus Wiesbaden gibt es auch für die Teilnahme am dem Programm nicht. Aber die Kosten sind überschaubar, und für einen Großteil der Projekte oder Programme, an die sich Flörsheim in den kommenden Jahren einklinken könnte, stehen Fördermittel zur Verfügung. Den sieben Polizeipräsidien des Landes hat das Innenministerium je zwei Stellen für die KOMPASS-Betreuung zugewiesen, vom PP Westhessen wird Alexandra Weirich als Beraterin von Polizeiseite am Flörsheimer Programm teilnehmen.

In Flörsheim waren Bemühungen um ein Gespräch zwischen Sicherheitsfachleuten, Verwaltung und Bürgern bisher keineswegs unbekannt. So waren die ehrenamtlichen Sicherheitsberater für Seniorinnen und Senioren (Hans Werner Wagner, Eckard Kiel, Sibylle Sobeck-Tietz und Andreas Suda) erst vor drei Wochen zusammen mit den Präventionsräten des Kreises und der Stadt und der Polizeidirektion Main-Taunus bei einer Informationsveranstaltung zum Thema Wohnungseinbruch während des Wochenmarkts zugegen.

Der städtische Präventionsrat allerdings „war zuletzt etwas eingeschlafen“, sagte Bürgermeister Bernd Blisch, Mit KOMPASS wird sich das ändern, ist er überzeugt, denn es ist das optimale Gremium, um die Aktivitäten im Rahmen des Programms zu besprechen und abzustimmen. „Der Präventionsrat wird noch in diesem Jahr wieder zusammenkommen“, kündigte der Rathauschef daher an.

Zentral für die Ziele von KOMPASS ist das Arbeitsfeld von Simon Rahner. Er soll den Bemühungen der Stadt um ein besseres Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger ein Gesicht geben, zeigen, dass da jemand in der Stadt unterwegs ist, der mit ihnen redet und ihnen zuhört. Dazu muss man der geeignete Typ sein. Und das ist Rahner, der sowohl eine Verwaltungsausbildung vorweisen kann, als auch einen „Praxisteil“ in der Vita stehen hat. Seinen Umgang mit einer schwierigen Klientel schärfte er als Mitarbeiter in der Justizvollzugsanstalt Diez.

So kann er mit besorgten Bürgerinnen und Bürgern, wie auch mit denen, die diesen Sorgen machen, ins Gespräch kommen. Rahner ist zudem der Verbindungsmann zwischen dem Ordnungsamt als zuständige Verwaltungsbehörde und den Polizeikräften, die in der Präventionsarbeit tätig sind. Auch Markus Singer, hauptamtlicher Leiter der aufsuchenden „Mobilen Beratung“ (Mobflo), wird ein wichtiger Ansprechpartner im KOMPASS-Prozess.

Was soll in den kommenden Jahren konkret passieren? Das ist eben nicht vorgegeben bei KOMPASS, sondern muss Ergebnis aus den Erkenntnissen sein, die Rahner bei seinen Stadtwanderungen gewinnt, aber auch davon, was bei weiteren Angeboten an Bürger, sich zu Sicherheitsthemen zu äußern, einläuft – und natürlich auch, was an Erkenntnissen zu Problemfeldern bei der Polizei vorliegt. Polizeihauptkommissar Thomas Trapke von der Polizeidirektion Main-Taunus ist in Flörsheim aufgewachsen und freut sich daher, dass nun auch die Stadt sich dem Programm anschließt.

Er kann sich vorstellen, dass das Modell „Schutzmann/-frau“ als Ergebnis im Bewusstsein der Bevölkerung eine Wiederauferstehung erlebt. „Früher kannte jeder den Polizisten im Ort, aber die Strukturen haben sich verändert“, sagte er. Es wird eine schwierige Aufgabe sein, die Trennung zwischen den einfachen Problemen in einem bestimmten Umfeld, die die Stadt mit ihren Kräften lösen muss - etwa Hotspots der Lärmbelästigung und Vermüllung in Wohngebieten - und einer tatsächlichen Kriminalität zu ziehen. Denn letztlich sind Polizisten keine Sozialarbeiter und können keine erzieherischen Aufgaben gegenüber abhängenden Jugendlichen leisten.

Doch die Trennung zwischen polizeilich unbedeutenden Klagen aus bürgerlichen Ordnungsvorstellungen heraus und einer tatsächlichen Bedrohung durch die Entwicklung krimineller Zonen ist nicht so einfach wie es scheint, begründet Trapke das Engagement der Polizei in diesem scheinbar „weichen“ Problemfeldern. „Eine vermüllte Fläche geht die Polizei erst einmal nichts an“, sagte er. „Aber, wenn man nichts dagegen unternimmt, wird sie bald von bestimmten Leuten genutzt.“

Die angesprochenen Themen zeigen schon, es geht beim Sicherheitsgefühl der Bürger keineswegs immer um die tatsächliche Kriminalität, auch abweichendes Verhalten gerade von Jugendgruppen wird von der Nachbarschaft schnell als Aggression und Gefährdung eingestuft. Aber wie da die Befindlichkeiten in Flörsheim sind, muss erst einmal herausgefunden werden.

KOMPASS bietet dazu die Möglichkeit, eine vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität in Gießen wissenschaftlich begleitete Online-Befragung der Flörsheimerinnen und Flörsheimer durchzuführen (auch die Papierform wird dabei in der Regel von den Rathäusern angeboten). Anonym und freiwillig können Bürgerinnen und Bürger in ein Formular die aus ihrer Sicht dringendsten Probleme in ihrer Stadt eintragen. Zudem können sie die Orte in der Stadt benennen, wo sie sich unsicher fühlen und dies begründen.

Diese Bürgerbefragung wird aber auch mehrfach durch eine persönliche Ansprache unterstützt, erstmals geplant für den 6. November in den Kolonnaden. Anfang 2021 soll es dann möglichst eine erste Flörsheimer „Sicherheitskonferenz“ geben – wenn denn die Pandemie-Entwicklung diese unbedingt öffentlich abzuhaltende Veranstaltung zulässt.

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