Eine ereignisreiche Kerb

Lange Gesichter beim Kerbetanz: Bürgermeister versetzt Kerbeborsch zum Fassanstich – Neuauflage des alten Kerbeliedes von 1949

Einen Herzenswunsch erfüllten die Kerbeborsch mit dem Singen des alten Kerbeliedes von 1949 Hans Reuter. Er wurde von Kerbevadder Andre Köhn ebenso wie Pfarrer Sascha Jung und Bürgermeister Michael Antenbrink zum Ehrenkerbeborsch ernannt.
(Fotos: R. Dörhöfer)

FLÖRSHEIM (drh) – Enttäuscht, wütend und ratlos blickten die Kerbeborsch drein, als sie am Samstagabend, 21. Oktober, vergeblich auf den Bürgermeister zum Fassanstich warteten. Zunächst war 21 Uhr als Fassanstichzeitpunkt angepeilt. „Er kommt etwas später, zwischen 21.30 Uhr und 22 Uhr“, hieß es, als der 21 Uhr-Termin längst verstrichen war. Der Kirchturm schlug 22 Uhr und immer noch war auf dem Kerbetanz kein Bürgermeister in Sicht.

Die Band „Don‘t stop“ hatte sich inzwischen gar schon zur ersten Pause zurückgezogen und so wartete alles auf die offizielle Kerbetanzeröffnung. „Die Jungs sind fertig mit den Nerven. Es ist unerhört, dass der Bürgermeister sie so warten lässt“, schimpften die Eltern der Kerbeborsch. Kurz nach 22 Uhr die Rettung: Pfarrer Sascha Jung und Küster Wilhelm Bachmann halfen den Burschen aus der Misere und standen ihnen bei der Festeröffnung bei. „Noch ist er Bürgermeister. Wir aber werden als Speerspitze der Pfarrei St. Gallus jetzt nicht nur die Kerb retten, sondern auch gleich als unabhängige Kandidaten ins Rennen gehen. Ich werde Bürgermeister, Wilhelm Bachmann Erster Stadtrat“, so der schlagfertige Pfarrer. Der Saal jubelte und das „Speerspitzenduo der Pfarrei“ durfte sich als Retter der Kerb feiern lassen. „Stechen darf ich aber nicht, da muss Wilhelm ran“, ulkte Jung verschmitzt, so dass Wilhelm Bachmann zum Hammer griff und den Zapfhahn ins Apfelweinfass einschlug. Der Kerbetanz war somit endlich eröffnet und Kerbevadder Andre Köhn durfte seine Mutter zum Tanz auffordern. Seine elf Mitstreiter reihten sich schnell mit ihren Kerbemädels ein und im Saal blieb das Fernbleiben des Bürgermeisters noch lange ein Thema. Es war schon weit nach 23 Uhr, als sich der Abtrünnige dann doch noch im dicht gefüllten Gemeindesaal blicken ließ. Seine Erklärung, dass die Musicalvorstellung in der Stadthalle viel länger als geplant gedauert habe, war für die meisten eine schwache Entschuldigung. Im Sonntagsgottesdienst griff Pfarrer Sascha Jung die Lage noch einmal auf und meinte mit einem charmanten Augenzwinkern: „Noch ist Herr Bürgermeister nicht da, vielleicht schafft er es ja aber noch zur Wandlung“.

Das Gotteshaus war aber auch ohne den Bürgermeister mit Vize- und Kerbeborsch, zahlreichen Exeborsch und Familienangehörigen gut gefüllt. Die Dagewesenen bereuten ihr frühes Aufstehen auch keineswegs, entwickelte sich der festliche Gottesdienst zum Weihetag der Kirche doch zu einem bewegenden Erlebnis. Die Kerbeborsch und Kerbemädels erfüllten dem 87-jährigen Hans Reuter den Herzenswunsch, das Kerbelied seines Jahrganges 1930 noch einmal zu singen. Kerbeborsch Ole Treber setzte sich am Ende des Gottesdienstes ans Piano und stimmte die Melodie der Kerb von 1949 an. „Wir sind die Flerschemer Kerweborsch und uns gehört die Welt. Wir spüren einen ries‘gen Dorscht und hawe die Tasch‘ voll Geld“, schmetterten die Burschen und Mädchen sodann und rührten Hans Reuter zu Tränen. „Wir wollen nicht, dass du weinen musst, du bist doch unser Freund“, tröstete Kerbevadder Andre Köhn den Senior und drückte Reuter fest.

Wochen zuvor hatte Reuter sich mit den Burschen im Gasthaus „Joffche“ getroffen, um das Lied einzustudieren. Reuter hatte einst einem Jahrgangskameraden auf dem Sterbebett versprochen, dass er noch einmal einen Jahrgang finden würde, der die alten Liedzeilen auferstehen lässt. „Zehn Jahre habe ich vergeblich um Unterstützung gerungen. Diese Burschen aber haben ein Herz“, so Reuter. Vor dem ersten Treffen mit den jungen Burschen habe er schon etwas weiche Knie gehabt, denn man wisse ja nie, wie die Jugend auf einen so betagten Herren reagierten. „Doch als ich mich am ersten Abend verabschiedete und alle Burschen sich von ihren Plätzen erhoben, um mir auf wiedersehen zu sagen, da wusste ich, ich bin angekommen“, erzählte Reuter stolz.

Reuter selbst lebt seit vielen Jahrzehnten in Raunheim, er habe die Liebe zu seinem Heimatort Flörsheim aber niemals verloren. So spendete Reuter auch eine neue Garnitur an Festgewändern für die St. Galluskirche. „Wenn ich einmal in Raunheim beerdigt werden sollte, wäre es ein Wunsch, dass mir jemand ein Eimer voll Flerschemer Erd mit ins Grab gibt“, so der Senior nach dem Sonntagsgottesdienst, wo er von dem aktuellen Jahrgang zum Ehrenkerbeborsch ernannt wurde. Auch Pfarrer Sascha Jung bekam Kappe und Schärpe und durfte wie Bürgermeister Michael Antenbrink in der Ehrenkutsche beim Kerbeumzug mitfahren.

Die Sonntagspredigt hatte Jung auf die Frage „Ist da jemand?“ aufgebaut. Die beliebte Frage jedes Krimis lasse sich auch in vielen Gotteshäusern mit der kleinen Abwandlung „Ist da noch jemand?“ stellen. Längst hätten viele Kirchen im Land musealen Charakter, aber dennoch seien sie durch die Weihe ein Haus geblieben, in dem Gottes Name wohne. Die altehrwürdige Galluskirche halte bis heute bei den Menschen die Erinnerung wach, dass über ihnen nicht nur der Himmel ist, sondern sie sich in Gottes Gegenwart und Gnade bewegten. Die offene Kirche lade ein, der Frage nachzuspüren, wer derjenige sei, der in diesem Haus wohne. Auch der junge deutsche Musiker Adel Tawil stelle in den Charts aktuell die Frage „Ist das jemand?“. Wer dem Song aufmerksam zuhöre, der könne feststellen, dass das Lied der Vertonung des Tempelweihgebetes des Salomos gleiche. „Auch wenn dieser junge Künstler Muslim ist, so singt er von der grundlegenden Überzeugung aller abrahamitischer Religionen (des Juden- und Christentums wie auch des Islams), dass da ein Gott ist, der sich liebevoll um das Heil des Menschen sorgt, dass Gott für uns da ist“, so Jung, der den modernen Song im Gotteshaus abspielen ließ. Als Gemeinde, die den Weihetag der Kirche feiere, könnten Antworten wie „Gott glaubt an uns, selbst wenn andere uns schon längst aufgegeben haben“ auf die im Lied gestellten Fragen gegeben werden. Jung forderte die jungen Kerbeborsch dazu auf, die Gottesfrage „Ist da jemand?“ stets mutig mit „Ja, da ist jemand“ zu beantworten. Den Vizeborsch empfahl er, das alte, wiederentdeckte Kerbelied ebenfalls einzustudieren, um es im kommenden Jahr erneut erklingen zu lassen.

Antenbrink empfing die Burschen unter Begleitung des Musikvereins erstmals auf dem neuen Rathausplatz und spendierte „Bluns und Äbbelwoi“. Der Kerbeumzug stand mit Nieselregen zwar nicht unter dem besten Stern, dennoch begleiteten zahlreiche Flörsheimer das Treiben auf Flörsheims Straßen und steuerten den Kerbeplatz mit seinen vielen neuen Karussellattraktionen an. Sessellift, Kinderkarussell und Co. drehten Runde um Runde und am Fuße des Kerbebaums ließ der Kerbevadder erneut seine Rede erklingen. „Lass die Kerb festlich, feucht und fröhlich sein“, formulierte Köhn. Das Aufstellen des Kerbebaums hatte die Burschen Samstagfrüh arg gefordert, war es doch gar nicht so einfach, die lange Leiter, die zum Anbringen der Halteschelle benötigt wurde, wieder vom Baum zu lösen. Erst unter Zuhilfenahme einer langen Fahnenstange der Kirche gelang es, die verkeilte Leiter wieder frei zu bekommen. 
Am Montagmorgen schloss sich nach einem lauten Weckruf der Frühschoppen im Gemeindezentrum an. Beim anschließenden Gickelschlag war das Losglück nur wenigen Kandidaten hold. So wurden die Losnummern von Tobias Haschke und Sebastian Wölfinger gleich drei Mal gezogen und auch Linda Weilbacher hatte drei Mal das Glück, als Gickelschlagskandidatin auserkoren zu sein. Ihr drittes Glückslos reichte sie jedoch an Fabian Eufinger weiter. Letztendlich trafen die drei Glücksloskäufer Wölfinger, Haschke und Weilbacher jeweils einmal.

 

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