In Flerschem bebt die Gass

Traditioneller Fastnachtsumzug: Tausende Narren feiern ausgelassen in Flörsheims Straßen

FLÖRSHEIM (ak) – Viele hatten vorgesorgt und sich gut mit Schirmen oder Capes gegen Wetterkapriolen gerüstet. Petrus scheint jedoch auch ein Fassenachter zu sein, beim großen Fastnachtsumzug fielen jedenfalls mehr Konfetti, mehr Schokoriegel und Bonbons vom Flörsheimer Himmel als Graupel, Schnee und Regentropfen. Offensichtlich hat sich der fromme Einsatz einer Närrin im Matrosenkostüm gelohnt – diese wies nämlich auf ihre Beine und behauptete, dass ihre Kniescheiben vom vielen Beten in der Kirche schon ganz flach geworden seien. Flörsheimer Narren geben eben alles, damit ihr Fastnachtszug ein Erfolg wird.

 

Das närrische Programm am Fastnachtssonntag begann traditionell mit der Übergabe des „Schlüssels der Stadtkasse“ an die Flörsheimer Fastnachter. Dazu nahmen Bürgermeister Michael Antenbrink, Generalfeldmarschall Willi Lauck und Gardekommandeur Thorsten Press unter Kanonendonner vor der Kulturscheune die Parade der Narrengarde ab. Seine Übergabe-Rede hielt das Stadtoberhaupt, in Anspielung auf die „Nachtwächter-Aktion“ gegen Fluglärm in der Region, als Laterne tragender „Nachtwächter“ mit hohem Hut fassenachterisch gekonnt im typischen „Nachtwächter-Singsang“: „Hört ihr Leut' und lasst euch sagen, für den FNC im Jubeljahr sind in der Kass' noch ein paar Euro da!“ Das hörten die Narren gerne, Willi Lauck nahm denn auch vor dem symbolischen Schlüssel erst mal den realen Scheck von der Stadt an sich. „Der ist uns auch heute doch noch wichtiger“, sagte er verschmitzt lachend dazu. 
Der Vertreter der Narren hatte auch gleich vier närrische Anträge parat, die jeweils von den Fastnachtern mit großem Beifall beschlossen wurden: So soll erstens das Axthelm-Kapellchen abgerissen und dann direkt neben dem neuen Rathaus wieder aufgebaut werden, damit die Stadtoberen sich in der kleinen Kirche in Zukunft „zeitnah“ göttliche Eingebungen holen und dadurch zügigere und bessere Entscheidungen für die Stadt treffen können. Außerdem soll für sie ein extra „Büßerbänkchen“ vor dem Altar im Kapellchen aufgestellt werden, damit sie dort immer gleich alle ihre Sünden beichten und diese für einen sofort in bar zu entrichtenden Obolus erlassen bekommen können – so wird die Stadtkasse mit Sicherheit schon sehr bald aus den roten Zahlen kommen. Dabei dachten die Flörsheimer Narren sogar gleich weiter und regten an, solch ein „Büßerbänkchen mit Kasse“ auch für EU-Politiker einzurichten, damit auch die europäischen Bürger zukünftig nicht mehr für große „Rettungsschirme“ zahlen müssen. Mit dem dritten Antrag jedoch bewiesen die Narren ihre Sympathie für das momentane Stadtoberhaupt, sie beschlossen „aus humanitären Gründen“, vorerst doch kein neues Rathaus zu bauen, damit der Bürgermeister weiterhin auf seinen Märschen durch die Stadt von einem Dezernat zum anderen nicht nur mit den Flörsheimer Bürgern auf der Straße reden, sondern sich auch weiter durch diesen häufigen Aufenthalt an der frischen Luft seine Gesundheit bewahren und so gut das Rentenalter erreichen kann. Der vierte Antrag befasste sich wieder mit dem Sparen – es wurde närrisch beschlossen, dass der Erste Stadtrat in Flörsheim demnächst die Zuständigkeit für das Ordnungsamt übernehmen soll, ist dieser doch zur Zeit nachts so oft unterwegs, dass er auch gleich die Überwachung des nächtlich ruhenden Verkehrs selbst übernehmen und man sich somit einen zusätzlichen kostenintensiven Posten sparen kann.
Mit Schlüssel, Scheck und der „Macht über die Stadtkasse“ ausgerüstet, starteten die Flörsheimer Narren ihren Fastnachtsumzug, der traditionell von den riesigen bunten „Schwellköpp“ mit dem Schild: „Ewe kimmt er!“ angeführt wurde. Dahinter zogen 138 Gruppen mit wunderbar fantasievollen Kostümen und zum Teil auch mit liebevoll dekorierten Motto-Wagen auf einer Gesamtstrecke von fast vier Kilometern durch die Straßen der Stadt. 
Hauptthema war selbstverständlich in diesem Jahr der Flugbetrieb über Flörsheim, der durch die Inbetriebnahme der neuen Landebahn der Fraport alle Bürger so sehr beschäftigt. Auch an diesem Fastnachtssonntag waren zwar regelmäßig Flugzeuge am zumeist strahlend blauen Himmel zu sehen, ihr Lärm wurde aber endlich einmal durch den fröhlichen Feierlärm der Zugteilnehmer und Zuschauer übertönt. Trotzdem demonstrierten die Mitglieder des Gesangsvereins Volksliederbund Flörsheim mit dicken Ohrenschützern in gelber Warnfarbe und mit schwarzen Flugzeugen darauf ganz plastisch: „Von drauß de Siedlung bis zum Hersch, de Fluglärm stert aach Gaddezwerch!“. 
Auch die Gruppe „Mooadel“ hatte sich den Flugbetrieb über Flörsheim zum Thema genommen. Als zahlreiche „giftige“, leuchtend rote Fliegenpilze begleiteten sie ihren Motto-Wagen, über dessen „Bäumen“ jede Menge „aufgeblasene“ Flugzeuge kreisten: „Im Wald da stehn die Fliegenpilze, über uns dröhnen die Fliegerpilze“ war darauf zu lesen, ebenso wie „Fliegerpilze sind giftig“. Selbst die hölzernen „Gailcher“ die schon seit etwa 30 Jahren die Zugmaschine des „Mooadels“ zieren, hatten Fliegenpilz-Hütchen auf. 
Die private „Flerschemer Fassenachts-Gesellschaft“ FFG gab sich zwar äußerlich närrisch und bunt – aber ihr Motto am Wagen sagte überdeutlich, was sie vom Fluglärm hält: „Es über Flerschems Himmel dunkelt – Flerschem kotzt, die Fraport schunkelt!“ Die Privatgruppe „Die Zugvögel“ waren in diesem Jahr als Indianer aus dem „Main Taubes Ohr Kreis“ (beschwerdefreie Zone) kostümiert, auf ihrem Wagen war zu lesen: „Ein Indianer kennt keinen Lärm!“ 
Mit ihrem als wohlbestückte Festtags-Tafel dekorierten Wagen luden die „Kerbeborsch 6091 Weilbach e.V.“ als Pagen verkleidet zur 900-Jahr-Feier in den Stadtteil Weilbach ein. 
Das erste Mal beim Zug dabei war der Motivwagen der Rhein-Main-Deponie Flörsheim Wicker. Unter dem Motto „Wickerer Bergbauern – Berge, Almen, Après-Ski, in Wicker ist’s so schön wie nie!“ hatten sie eine schneebedeckte Berglandschaft mit Skihütte gestaltet und närrisch bevölkert. Die Gruppe „SOKO Flörsheim“ kam als „Närrische Gärtnermeister“ zum Umzug und nahm mit ihrem Motivwagen regionale Geschehnisse ironisch auf die Schippe: Zu sehen war ein „Leo Ferch“ mit einem kleinen „schwarzen Wolf“ auf dem Arm, wie sie sich gemeinsam wohlwollend und mit vielen großen Geldscheinen in der Hand neben einer Mülltonne stehend „ihren Aussichtsturm“ betrachten, um den ein Flugzeug kreist. Es wird wohl gemunkelt, Fraport habe Gelder für den Bau dieses Turmes fließen lassen, obwohl der eigentlich gar nicht „gebraucht“ würde, sondern nur aus Prestigegründen entstehe. 
Eine imposante Truppe hatten die „Altstadtborzeler“, die allesamt direkt in Flörsheims Innenstadt rund um die Galluskirche wohnen, für ihre zehnte Teilnahme am Zug zusammengestellt: Unter dem Motto „Ihr Leit mer kennt grad maane, in Flerschem gäb’s Schamane!“ zogen mehr als 30 Mitglieder der Gruppe mit bodenlangen stahlblauen Mänteln und hohen weißen, schwarz behörnten Pelzmützen mit. Seit September letzten Jahres hatten sie sich einmal die Woche getroffen, die Kostüme selbst entworfen, geschneidert und gebastelt. Ebenfalls wunderbare Verkleidungen gab es bei der Gruppe „Hipp de Bach’s und Dripp de Bach’s“ zu bestaunen, hier hatten die Damen sich in Rosen verwandelt, „stielecht“ vom dunkelroten, kunstvoll geformten Rosen-Blütenhut bis hin zur Handtasche in Gießkannenform. Die Herren konnten gar nicht anders, als ihnen ihre übergroßen roten Plüschherzen nachzutragen. Diese Gruppe nimmt schon seit mehr als 20 Jahren am Flörsheimer Fastnachtsumzug teil, sie war von ehemaligen Handballer-Damen ins Leben gerufen worden. 
Die Flörsheimer „Wandaale“ erfreuten die Zuschauer mit einer ganzen Auswahl von ungemein sexy und elegant gekleideten und geschminkten Herren, unter denen es „Fleerschems next Topmoodel“ auszuwählen galt. Da wird so manches Paar hochhackige Lackschuhe in Größe 44 den Abend des Fastnachtssonntag in Flerschem nicht mehr erlebt haben! 
Die „große Politik“ war Thema das Gruppe „EggsentOrbis“ – zahlreiche mit Rettungsringen ausgestattete Narren und Närrinnen mit vielen „Euro-Scheinen“ an den Perücken zogen ein riesiges blaues „EU-Sparschwein“ durch die Straßen, mit dem Motto „Kommt der Rettungsschirm zu spät, mit’m Rettungsring es weiter geht!“ 
Viel (Fassenachts-)Glanz brachte der Musikzug der Mainzer Ranzengarde, die in diesem Jahr zum ersten Mal am Flörsheimer Fastnachtszug teilnahm. Mit (Fassenachts-)ordenbedeckten Uniformbrüsten marschierten sie gekonnt und fesch zu ihrer schmissigen Musik. 
Die Flörsheimer „Raabekatze“ feierten ihr 20-jähriges Jubiläum im edlen roten Outfit auf ihrem eindrucksvollen Motivwagen, auf dem eine Riesen-Raabekatz mit dem schwarzen Schweif wackelte. Die „Schmotzer“ kamen als viele hübsche, leuchtende Sonnen daher, selbst auf ihrem Traktor der Marke Schmotzer thronte eine schön anzusehende „Sonnenkönigin“. Ihr Motto: „Als Sonnen liefern wir den Strom, ziehn aufgeladen um den Gallus-Dom, strahlen sauber und mit Macht, so feiern die Schmotzer Fassenacht“. 
Carneval in Venedig hatten sowohl die vielen Akteure des Flörsheimer Carneval Vereins mit ihren venezianischen Kostümen und sehr kunstvoll geschminkten Gesichtern zum Thema, als auch die Privatgruppe „Panzerotti“, die schimmernd blaue Umhänge und eindrucksvolle goldene Sonnenmasken trugen. Die wohl ungewöhnlichsten Kostüme hatte sich die Privatgruppe „Fantasie“ ausgedacht und machte damit ihrem Namen alle Ehre: Ihre Mädchen kamen als komplette, perfekt eingedeckte Festtagstische für ein romantisches Dinner daher – sogar an den Kerzenleuchter auf dem Kopf hatte man gedacht!
Die Zuschauer am Rand des Zugweges kamen am Fastnachtsonntag in Flörsheim in jeder Beziehung auf ihre Kosten: Sie durften sich an schönen Kostümen erfreuen, sie wurden mit schmissiger Musik und guter Stimmung unterhalten und von den vielen Senats-, Elferrats- und Komitee-Wagen der Fastnachtsgesellschaften wurden sie mit allerlei Leckereien nur so bombardiert. 
Viele schöne und stimmungsvolle Bilder vom Zug finden interessierte Leser auf der Homepage des Verlages Dreisbach im Bereich „Gallerie“ unter www.verlag-dreisbach.de.

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