Am Glockentürmchen vorbei kann man gut nach Süden blicken, auf Friedhofsbäume und auf das Haus Riedstraße 75 – ganz zufällig schaute sie dorthin und sah mit ungläubigem Erstaunen, wie am südlichen Ende des Friedhofs die noch kahlen Äste der Bäume durchgeschüttelt wurden, zugleich gab es ein Getöse. Da sie auch auf das parallel zur Riedstraße verlaufende Dach des Hauses sehen konnte, sah und hörte sie, wie dort eine Reihe von Ziegeln wie Spielkarten beim Mischen laut klappernd hochgehoben wurden, wie viele von ihnen in ihre Lage zurückfielen und andere das Dach hinunterrutschten und mit lautem, explosionsartigem Knall das Plexiglasdach über einem Auto-Abstellplatz, einem Carport, durchschlugen, bevor sie am Boden zerschellten. Die sich in den Innenräumen aufhaltende 14-jährige Tochter der Hauseigentümer erschrak durch den Knall und das ihm vorauseilende Durchschütteln des gesamten Anwesens, eilte in den Hof und sah, was geschehen war.
Helga Reisz hat sehr gut beobachtet. Denn ihre Beobachtungen werden exakt bestätigt durch die auf der Homepage des Vereins „Für Flörsheim“ einsehbaren Daten des Deutschen Fluglärmdienstes (DFLD). Der DFLD betreibt für den Verein Für Flörsheim eine Messstation an der Kreuzung Weilbacher Straße/Rheinallee, weiterhin ist auf demselben Mast eine Kamera der Stadtverwaltung Flörsheim befestigt. Nach Auswertung der Daten durch Horst Weise vom Deutschen Fluglärmdienst hat um etwa 13.59 Uhr eine Boeing 777 der Fluggesellschaft Lufthansa Cargo, Flugnummer LH 8401, auf dem Weg von Shanghai nach Frankfurt die Messstelle und wenige Sekunden später den Friedhof überquert, circa 90 Sekunden vor dem Aufsetzen auf der Landebahn Nordwest. Dabei flog die Maschine viel tiefer als es der Gleitpfad vorgibt, sie wirkte dadurch übergroß, machte viel Lärm und auch das von Helga Reisz gehörte „Gasgeben“ ist durch einen Anstieg der Fluggeschwindigkeit und dem Halten der Flughöhe dokumentiert. An der Messstelle wurden 88 dB(A) erfasst, bis zum Friedhof sind es etwa 400 Meter, so dass der Lärm dort noch stärker gewesen ist.
Um 9 Uhr am Freitagmorgen suchte ich mit Bürgermeister Michael Antenbrink und dem städtischen Pressereferenten Andreas Wörner das vom Wirbelschleppenvorfall betroffene Haus in der Riedstraße auf, um die Schäden in Augenschein zu nehmen. Die zerstörerische Kraft der Wirbelschleppe war unübersehbar: Ziegel waren vom Sog hochgehoben worden und die Dachneigung hinuntergerutscht, sie hatten die Abdeckung des Carports durchschlagen und waren am Boden zerschellt; nicht auszudenken, wenn sich dort ein Mensch gerade aufgehalten hätte, von Schäden an dem dort stets abgestellten Auto der Familie einmal abgesehen.
„Glück gehabt, Fraport“
Wieder war eine Wirbelschleppe nach Süden verdriftet worden – wie bei den Schäden in der Austraße, am Ende der Beethovenstraße und wie bei den meisten der 28 bisherigen Vorfälle in Flörsheim. Den Schaden bei Fraport angemeldet hat im Übrigen Bürgermeister Antenbrink, der sofort und noch am Ort des Geschehens den bei Fraport zuständigen Leitenden Mitarbeiter Max Philipp Conrady anrief und ihm die Sachlage schilderte; der guten Ordnung halber sei noch gesagt, dass Conrady nur wenig später einen Mitarbeiter in die Riedstraße schickte.
Glück gehabt, Fraport – wieder einmal! Aber wie lange wird es dauern, bis ein solches Ereignis größeren Schaden anrichtet als an einem Dach, dessen Schäden der Flughafenbetreiber kostenlos für die Hausbesitzer zu reparieren sich beeilt? (Nach Auskunft der Hauseigentümer wird ein Dachdecker ihres Vertrauens die Schäden reparieren, die Zusage von Fraport, die Kosten dafür zu übernehmen, liege vor.) Wie lange wird es also dauern, bis ein Mensch durch eine Wirbelschleppe verletzt oder sogar getötet wird?
Nach den Klagen der Stadt Flörsheim am Main und einiger Kläger des Vereins Für Flörsheim hatte der ehemalige Verkehrsminister Florian Rentsch nicht etwa die beklagten Überflüge durch die Großflugzeuge, die Heavys, untersagt, sondern ein freiwilliges (!) Dachklammerungsprogramm ins Leben gerufen. Und obwohl sein Nachfolger im Wiesbadener Verkehrsministerium, Tarek Al-Wazir, das Programm auf das gesamte Stadtgebiet Flörsheims ausdehnte, bleibt die Gefahr durch Wirbelschleppen bestehen, denn sie reichen bis zum Boden, haben eine starke Sogwirkung und können Kinderwagen und Radfahrer treffen und schwer verletzen. Das Gutachten zu den Gefahren von Wirbelschleppen, das solche Schäden in Flörsheim nur einmal in zehn Millionen Jahren prognostiziert hatte, lag dem Planfeststellungsbeschluss (PFB) zugrunde. Doch der ist noch nicht rechtskräftig und die Musterkläger des Vereins Für Flörsheim hoffen darauf, dass sie noch in diesem Jahr vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel gerade zu den Wirbelschleppen gehört werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dann das falsche Gutachten dem PFB ein Loch zufügt, das größer ist als ein gewaltsamer Durchbruch in einem Carportdach.
Hans Jakob Gall ist Vorsitzender des Vereins „Für Flörsheim e. V.“
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