Gemeinsam Wege aus der Krise finden

Erziehungsberatung der Caritas mit BISS: Beziehung, Interaktion, Sinnstiftung und Systematik

FLÖRSHEIM (ak) – Erziehungsberatung gibt es in Deutschland schon seit etwa 100 Jahren. Seit Inkrafttreten des VIII. Titels des Sozialgesetzbuches, „Kinder-und Jugendhilfe“ sind dafür dort in § 28 die Richtlinien gesetzlich verankert. 

Die Erziehungsberatung der Caritas für die Einwohner des Main-Taunus-Kreises ist seit 1974 aktiv, seit nunmehr sechs Jahren ist das Team in der Grabenstraße 40 (Rückseite) in Flörsheim für die Orte Hofheim, Kriftel, Flörsheim und Hochheim zuständig, eine weitere Beratungsstelle gibt es in Schwalbach. 

Auch wenn der Flyer und die Homepage der Caritas-Erziehungsberatung von „Psychologischer Beratung“ spricht, braucht niemand, der dort Rat sucht, zu befürchten, seine Sorgen und Nöte seien nicht wichtig oder nicht „schlimm“ genug, um damit dort vorzusprechen. Die Mitarbeiter der Erziehungsberatung in Flörsheim stehen mit beiden Beinen fest im Leben, die Bezeichnung im Faltblatt soll keine Einschränkung in Bezug auf die Art der Probleme, die sie lösen helfen, sein, sondern sie ist ein Qualitätshinweis: die Erziehungsberater der Caritas sind alle für ihre speziellen Beratungsaufgaben sehr gut ausgebildet, ob als Psychotherapeuten, Psychologen oder Sozialpädagogen. Dennoch sind es eben nicht immer die medienwirksam „großen“ Nöte, wie Missbrauch oder Gewalt, mit denen sie sich beschäftigen. Sie helfen überall dort, wo Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, Eltern oder auch andere, die mit „Erziehung“ zu tun haben (wie Lehrer oder Erzieher im Kindergarten) ein Problem haben, welches sie alleine nicht lösen können. 
„In unserer Fachsprache heißt das, wir sind dann da, wenn ein Problembewusstsein entstanden ist, aber die Problemlösefertigkeit fehlt“, erklärt Gerd Gröhl, der Leiter der Erziehungsberatung der Caritas Main-Taunus in Flörsheim, ausgebildeter Kinder-und Jugendlichen-Psychotherapeut und seit inzwischen 35 Jahren in der Erziehungsberatung tätig. „Jeder empfindet seine persönliche Lage eben individuell anders. Dinge, mit denen die einen ganz einfach fertig werden, werden für andere zu sehr belastenden Problemen“, ergänzt seine junge Kollegin Anna Blees, die Sozialpädagogin im Team. „Da machen wir keine Unterschiede, wir nehmen alles sehr ernst.“ 
Etwa die Hälfte der Ratsuchenden kommt aus eigenem Antrieb direkt in die Beratungsstelle, anderen wird die Beratung etwa von Ärzten, Physiotherapeuten oder anderen Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, empfohlen. Viele Kinder kommen mit ihren Eltern zusammen in die Grabenstraße. Problemschwerpunkte auf dem Weg zum Erwachsenwerden sind der Übergang vom Kindergarten zur Schule und die Zeit zwischen dem 8. und 14. Lebensjahr, wobei die Probleme in 48 Prozent aller Fälle mit Trennung, Scheidung und Mehrelternfamilien zu tun haben. Bei 17 Prozent der Ratsuchenden sind die Schwierigkeiten darin begründet, dass in der Familie eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wird. „Damit ist der Ausländeranteil unter unseren Ratsuchenden nicht überproportional repräsentiert“, bemerkt Gerd Gröhl. „Der Migrantenanteil der Bevölkerung in unserem Einzugsgebiet entspricht nämlich auch in etwa dieser Prozentzahl.“ 
Zwar wird eine „Offene Sprechstunde“ (Mittwochs von 16 bis 18 Uhr) angeboten, besser ist es jedoch, wenn Ratsuchende zunächst telefonisch einen Termin vereinbaren. „Wir dürfen auch Kinder ohne dass ihre Eltern dabei sind anhören und beraten“, erklärt Gerd Gröhl. „Nur wenn die Situation das erfordert und die ratsuchenden Kinder oder Jugendlichen das auch wollen, werden die Eltern hinzugezogen.“ Denn das ist ein Prinzip der sogenannten „stillen Beratung“: sie ist kostenfrei, freiwillig und, wenn es der Ratsuchende so möchte, eben auch „geheim“. In der persönlichen Beratungsstunde kann der Ratsuchende dann sein Problem vorstellen, wenn in der Erziehungsberatung geholfen werden kann, wird mit ihm zusammen ein Lösungsweg entwickelt. Können die Berater einmal nicht selbst helfen, wissen sie immer, an wen sich der Ratsuchende wenden kann, um seine Schwierigkeiten „wieder auf die Reihe“ zu bekommen. Sie können auch erkennen, ob eventuell eine Therapie hilfreich oder notwendig sein kann und entsprechende Empfehlungen geben. „Unsere Beratung hat halt BISS“, freut sich der Leiter der Beratungsstelle. Dabei stehen die Buchstaben für „Beziehung“, „Interaktion“, „Sinnstiftung“ und „Systematik“. Sie bedeuten für Gerd Gröhl, dass sich der Berater auf den Ratsuchenden einlässt und eine kontinuierliche Beziehung zu ihm aufbaut, dass der Ratsuchende aktiv darin eingebunden wird, einen Weg zu Lösung seiner Probleme zu finden, dass ihm aufgezeigt wird, welche weiteren Schritte sinnvoll auf dem Weg zur Problemlösung sind und dass sich der Berater systematisch auf den Ratsuchenden einlässt, ohne zu verurteilen. „Man kann auch einen Freund fragen, was man denn nun machen soll in einer schwierigen Situation, aber ein Freund könnte enttäuscht sein, wenn man seinen Rat dann doch nicht einhält – wir als Erziehungsberater müssen die Beziehung zum Ratsuchenden so professionell halten, dass wir nicht enttäuscht sind, sondern dann halt einen anderen Ansatz mit ihm erarbeiten.“ 
Trotzdem halten solche Beziehungen zwischen Gerd Gröhl und seinen Klienten oft jahrelang, und er freut sich natürlich immer über Erfolgsmeldungen seiner Schützlinge, sogar wenn sie gar nicht mehr in seine Sprechstunde kommen. Ihm macht seine Arbeit auch nach 35 Jahren noch Spaß: „Das ist eine sehr bunte Arbeit, und ich freue mich heute noch so wie früher, wenn mit meiner Hilfe dabei was Gutes rauskommt“, versichert er glaubhaft. Allerdings hat sich nach seiner Ansicht in den letzten Jahren der Blickwinkel darauf, was ein Fehlverhalten sein könnte, durchaus verschoben: „Nicht jedes Kind, was mal klaut, ist gleich böse“, ist er sich sicher. „Zum Beispiel eine Schneeballschlacht auf dem Schulhof muss doch nicht gleich kriminalisiert werden.“ Seine Erfahrungen aus der Erziehungsberatungsarbeit sind da aber leider inzwischen anders, er wundert sich schon manchmal, wie schnell heute aus früher als „normal“ angesehenen Kabbeleien oder Schulhofstreitigkeiten ernste Schulprobleme oder gar Schulverweise werden können. Dabei würden Mutproben und Kräftemessen zur Entwicklung vom Kind zum Jugendlichen dazugehören, eigentlich sollten solche Dinge keine Situationen heraufbeschwören, die das Aufsuchen einer Erziehungsberatungsstelle notwendig machen.
 „Wer gut miteinander auskommen will, muss sich streiten“, ist die Überzeugung von Gerd Gröhl, so wie es auch auf dem Poster über der Sitzecke in seinem Büro steht. 
Ein bisschen macht es ihm zu schaffen, dass zum Beispiel sein Berater-Team seine Beratungskapazität mittlerweile eigentlich um 100 Prozent überschritten hat. Mit „3,2 Berater-Stellen“ würden im Flörsheimer Einzugsbereich 4700 Fachleistungsstunden erbracht, man betreue damit etwa 400 Familien im Jahresdurchschnitt. Sicher sei auch in der Erziehungsberatungsstelle in Flörsheim das Problem der leeren Kassen bekannt, und „Kürzungen der Mittel“ forderten eben ihren Tribut. Allerdings seien Kinder, Jugendliche und Familien keine „kleine Problemgruppe“ im Gemeinwesen, die man als solche isoliert betrachten und lediglich „kontrolliert“ (oder „gekürzt“) unterstützend beraten könne – sie sind für Gröhl der Kern der zukünftigen Gesellschaft und sollten ausreichend Hilfe bei Problemen finden können. Auch die Organisationsentwicklung macht Gerd Gröhl Sorge. „Unsere Fachkräfte müssen sich immer mehr mit sich selbst beschäftigen, wir müssen heute etwa die Hälfte unserer Zeit dafür aufbringen, Statistiken oder Dokumentationen zu schreiben, an Fachgruppentagungen oder Arbeitsgruppen-Meetings teilzunehmen oder ähnliche Arbeiten zu erledigen. Das ist zwar alles auch notwendig – aber wenn für Menschen eingetreten werden soll, sollte doch auch der Arbeitsschwerpunkt deutlich beim Kontakt mit den Ratsuchenden liegen“, findet er und setzt sich dafür ein, das Verhältnis wieder zugunsten der Beratung zu verbessern. Damit er sich auch weiter mit möglichst vielen Klienten über die Lösung ihrer Probleme freuen kann.
Weitere Informationen über die Erziehungsberatung der Caritas Main-Taunus kann man auf der Homepage www.eb-caritas-main-taunus.de finden, Termine zur Beratung kann man unter der Telefonnummer 06145–503740 ausmachen.
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