"Großer Gott, wir loben Dich" 73. Vermächtniskonzert in St. Gallus / Bürgermeister Dr. Bernd Blisch betont zeitlose Relevanz

Andächtig hörte das Konzertpublikum den musikalischen Darbietungen in der St. Gallus-Kirche zu.

Im Laufe der Nachkriegszeit hat sich das Vermächtniskonzert am Vorabend zum Verlobten Tag in Flörsheim am Main längst als Tradition etabliert. Die Feierlichkeiten rund um den letzten Montag im August erfuhren durch die 1947 eingeführte Veranstaltung eine beachtliche Vertiefung. Am 24. August 1947 gelobte der Gesangverein Sängerbund 1847 e. V. feierlich auf einer Urkunde:

Dieses Gelöbnis erwies sich als beständig, und so fand am Vorabend des 353. Verlobten Tages auch in diesem Jahr wieder das Vermächtniskonzert statt, diesmal in seiner 73. Auflage.

Pünktlich um 18 Uhr betraten die Mitglieder des Gemischten Chores des Gesangvereins "Sängerbund 1847 e. V." unter der Leitung von Solveig Wagner die St. Gallus-Kirche und präsentierten zur Einstimmung das Lied "Gott, mein Herz ist bereit" nach der Melodie von Klaus Heizmann.

Ute Vogel, die Erste Vorsitzende des GV Sängerbund, begrüßte zum ersten Mal an dieser Stelle Bürgermeister Dr. Bernd Blisch, die neue Erste Stadträtin Renate Mohr, die anwesenden Mitglieder des Magistrats, den neuen Stadtverordnetenvorsteher Michael Kröhle und alle anwesenden Stadtverordneten der Stadt Flörsheim am Main. Zudem begrüßte sie Pfarrer Franz Lomberg, Kaplan Robert-Jan Ginter, Kaplan Nikolaus von Magnis, Gemeindereferent Michael Frost sowie von der Evangelischen Kirchengemeinde Flörsheim Pfarrer Martin Hanauer und Pfarrer Karl Endemann. Ein besonderer Gruß ging an Kurt-Jochem Graulich, für dessen Stiftung im Anschluss an das Konzert am Ausgang eine Spende erbeten wurde.

Die musikalischen Akteure an diesem frühen Sonntagabend unterstrichen gekonnt die getragene und demütige Atmosphäre, die diesem besonderen Anlass innewohnt. Dennoch war das musikalische Programm durchaus abwechslungsreich und andächtig lauschte das zahlreich erschienene Konzertpublikum in der St. Gallus-Kirche den gekonnt vorgetragenen Darbietungen. Mal schlug der Gemischte Chor des GV Sängerbund mit "Herr, Deine Liebe..." eher ruhige Töne an, und dann wiederum brachte der Musikverein 1954 Flörsheim am Main e. V. unter der Leitung von Bernhard Frank brachial eine andere historische Katastrophe zu Gehör: Den Untergang des Luftschiffes "Hindenburg". Der im Zillertal geborene Michael Geisler, Jahrgang 1979, verarbeitete die tragischen Ereignisse von Lakehurst im Jahre 1937 in einer imposanten Orchesterkomposition. Ein beeindruckender Klangteppich breitete sich in St. Gallus aus.

Emotionaler Höhepunkt des Vermächtniskonzerts war sicher das letzte vorgetragene Lied, "Großer Gott, wir loben Dich" von Ignaz Franz. Hier war das Flörsheimer Publikum herzlich eingeladen, die ersten beiden Strophen zusammen mit den Musikerinnen und Musikern vor dem Altar mitzusingen.

Bürgermeister Dr. Bernd Blisch griff in seiner Ansprache den Gedanken von Kaplan Nikolaus von Magnis auf, der im Rahmen der Rubrik "Auf ein Wort" in der Flörsheimer Zeitung vom 22. August den Verlobten Tag als "Zeugnis des Zeitlosen" bezeichnete. Manch einer mag einen über 350 Jahre alten Brauch leichtfertig als unzeitgemäß erachten. Jedoch habe Zeitlosigkeit nichts mit unzeitgemäß zu tun: "Zeitlos ist etwas, das unabhängig von der Zeit seine Relevanz behält", stellte Blisch fest.

Ob der Verlobte Tag noch zeitgemäß sei: Diese Frage stellte man sich schon viel früher. Pfarrer Gerhard Lamberti übernahm im Jahre 1727 sein Amt in St. Gallus, gerade einmal 61 Jahre nachdem die Pest in Flörsheim gewütet hatte. Lamberti untermauerte die Bedeutungsschwere des Verlobten Tages, indem er sich auf die Suche nach Zeitzeugen begab, deren Aussagen sorgfältig und eindringlich dokumentierte und so den ausführlichsten Bericht über die schlimmen Pestereignisse von 1666 in Flörsheim lieferte.

In seinem Pestbericht beschrieb Pfarrer Lamberti den Ausbruch der Epidemie:

In dieser Deutlichkeit setzt sich der Bericht schonungslos fort und diese drastische Darstellung ist zweifellos angemessen für eine Seuche, die binnen kürzester Zeit über 200 Todesopfer forderte – wohlgemerkt in einem Flörsheim, das damals nur etwa 700 Einwohner zählte.

Blisch spricht diesem Bericht des Pfarrers Lamberti "größte Wirkmächtigkeit" zu. Bis heute berufen sich sämtliche Aufbereitungen der damaligen Ereignisse auf seine Schilderungen, von Georg Habichts „Spiel vom Verlobten Tag“ über Wolfgang Stocks „Neues Spiel vom Verlobten Tag“ bis hin zum Musical „Solange hier stehet Stein auf Stein“.

Und auch das Vermächtniskonzert verfügt dem Bürgermeister zufolge über eine eigene, ganz besondere Wirkmächtigkeit. Das Konzert ist zum festen Bestandteil der Feierlichzeiten zum Verlobten Tag geworden. Generationen von Flörsheimern kennen den Verlobten Tag nicht mehr ohne Vermächtniskonzert.

Die Initiatoren des Vermächtniskonzerts, die damaligen Mitglieder des GV Sängerbund, hatten laut Blisch im Jahre 1947 "das feine Gespür dafür, dass es der Gemeinschaft in Flörsheim guttun würde, eine weitere Stunde geschenkt zu bekommen, in der man sich über die Identität der Gemeinde, über das Miteinander der Gesellschaft, über den Umgang mit Kranken und Toten, kurz: über alle existenzielle Fragen Gedanken machen könne. Und das noch in Verbindung mit Musik und Kultur". Und Gedanken und Fragen zu diesen Themen sind wahrhaft zeitlos. Sie behalten ihre Relevanz, unabhängig von der Zeit.

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