Der Leerstand ist auch eine Chance

Stadt will durch Kooperation mit der Stiftung „Perspektive Wohnen“ ungenutzte Mietwohnungen reaktivieren

Die wilde Nordseite des Bahnhofs ist einer der wenigen innerstädtischen Flecken, auf dem neuner, auch sozialgebundener Wohnraum entstehen könnte. Ansonsten lautet die Devise, sich auf die Suche nach nicht genutzten Wohnungen zu begeben. Den Leerstand zu aktiveren, will die Stiftung "Perspektive Wohnen" der Stadt helfen.

Eines der große sozialen Themen mit Sprengkraft ist im Rhein-Main-Gebiet – im Gegensatz zu vielen anderen Regionen Deutschlands – die steigende Lücke zischen Angebot und Nachfrage bei einem bestimmten Segment des Wohnungsmarkts. Günstiger Wohnraum für finanziell schwache Menschen findet sich immer weniger, aus vielfältigen Gründen, vor allem dem ersatzlosen Auslaufen der Sozialbindung von ganzen Wohnblöcken. Das Problem ist statistisch belegt, erkannt und seit Jahren ungelöst. Eine Stadt wie Flörsheim hätte große Probleme damit, fehlenden Wohnraum über einen Befreiungsschlag, etwa durch ein größeres Sozialwohnungsprojekt, herbeizuzaubern – es fehlen für solche Lösungen schlicht die Flächen und Grundstücke, selbst am Randbereich der Bebauung.

Was in Flörsheim einige Chancen zu bieten scheint, ist dagegen die Aktivierung nicht genutzter Wohnungen oder gar Häuser. Es dürfte einiges an Potenzial darin liegen, die Eigentümer solcher Immobilien davon zu überzeugen, manchmal seit Jahren leer stehende Wohnungen endlich wieder zu vermieten und so aus dem Bestand heraus das Problem anzugehen. Ein Königsweg aus vielerlei Sicht: Die betroffenen Wohngebiete, in denen sich solche Leerstände beenden lassen, erfahren eine Wiederbelebung, Neubauten mit ihren (auch ökologischen) Nachteilen werden vermieden.

Die Stadt holt sich für dieses Ziel einen Verein als Partner ins Boot, der genau auf diesem Gebiet aktiv ist und sein Know-how nun ab dem kommenden Jahr in einer Kooperation mit der Verwaltung einbringen will. Dabei wird zwischen der Stadt und der Stiftung „Perspektive Wohnen“ kein Geld fließen. Die Aufgabe der Stiftung besteht nach der Selbstbeschreibung darin, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, „indem sie Menschen in Notlagen oder Wohnungsnot sowie Menschen mit Beeinträchtigungen bedarfsgerechten Wohnraum zur Verfügung stellt“.

Geschäftsführerin Silke Becker präsentierte die Arbeit der Stiftung kürzlich im Sozialausschuss. Schon seit September 2020 kooperiert die in Eschborn sitzende Vereinigung mit dem Main-Taunus-Kreis, mit etwas anderer Gewichtung bei der Aufgabenstellung, so als Vermittler im Konfliktfall zwischen Vermietern und Mieter, um drohende Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Die Stiftung übernahm damit die Aufgaben, die für den Kreis bis dahin die Ökumenische Wohnhilfe Taunus ausgefüllt hatte. Die stellte ihre Arbeit in diesem Bereich allerdings Ende 2019 ein.

Die Stiftung übernahm auch den Bestand von damals 18 Wohnungen der Wohnhilfe. Bei den von ihr betreuten Wohnungen wird sie der Mieter der Eigentümer und vermietet sie an die bedürftige Klientel weiter. Es ist eine Art Paypal des Wohnungsmarktes, bei der der Sicherheitsgewinn allerdings nicht beim „Kunden“, sondern bei den Vermietern liegt. Das dürfte ihre Bereitschaft, gerade sozial schwächere Mieter zu akzeptieren, erheblich steigern, da nicht die Mieter, sondern die Stiftung Vertragspartner ist und die Mietzahlungen garantiert. Gibt es Probleme, etwa mit der Zahlungsmoral der Mieter, muss nicht der Vermieter, sondern die Stiftung sich um eine Lösung kümmern.

Über dieses Modell hofft die Stadt, manch skeptische Vermieter zu überzeugen, Wohnungen wieder zu vermieten, die sie lieber leer stehen lassen, um Ärger mit Mietern zu vermeiden. Die Erste Stadträtin Renate Mohr (GALF) weiß aus der eigenen Arbeit, dass diese Befürchtungen für viele Hauseigentümer entscheidend sind für ihre Entscheidung, lieber auf mögliche Mieteinnahmen zu verzichten.

Die Stiftung arbeitet, jedenfalls bisher, kleinteilig. Sie mietet grundsätzlich keine großen Komplexe an, sondern einzelne Wohnungen, derzeit sind es kreisweit 31 Objekte mit lediglich 44 Untermieterinnen und -mietern. Die erst zum Juli 2019 gegründete „Perspektive Wohnen“, personell mit zwei hauptamtlichen Kräften und einer studentischen Hilfskraft ausgestattet, ist eben noch am Ausbau ihrer Aktivitäten auf diesem Feld, gerade wurde die Übernahme von 35 Wohnungen eines anderen Trägers ähnlicher Ausrichtung in Mainz und Wiesbaden fix gemacht.

Becker schilderte, wie mühsam sich die Suche nach reaktivierbaren Wohnungen, wie es in Flörsheim vorgesehen ist, gestalten kann. Basis der Anfragen, die sie stellt, können Daten der Verwaltung sein, aber auch auf anderem Wege zugetragene Informationen über Leerstände. „Bei hundert Anfragen erhalten wir sechs Antworten, in zwei Fällen kommt es zu Besichtigungen – und wenn wir Glück haben, fällt eine Wohnung dann für uns ab“, berichtete die Mitgründerin der Stiftung. Sollte es sich ergeben, dass ein Eigentümer nach den Gesprächen doch bereit ist, mit dem künftigen Mieter direkt den Vertrag zu schließen, ist das für die Stiftung natürlich auch in Ordnung, dürfte aber eher selten vorkommen.

Die „Klientel“ ihrer Organisation ist natürlich genau beschrieben, sprich, Perspektive Wohnen fühlt sich nicht für jeden Wohnungssuchenden zuständig. Zielgruppe ihrer Arbeit seien Menschen

  • die von Wohnungslosigkeit bedroht sind;
  • mit Migrationshintergrund, die bisher in Gemeinschaftsunterkünften leben, diese aber (etwa nach Anerkennung als Asylberechtigte) verlassen müssen;
  • mit Behinderung, die ein selbstständiges Leben führen sollen;
  • ab 21 Jahren, die mit Erreichen dieses Alters aus der Jugendförderung herausfallen und keine Chance bei der eigenständigen Wohnungssuche haben;
  • mit geringem Einkommen, insbesondere Alleinerziehende und wenn sie aus Gewaltbeziehungen kommen.

Zusammengefasst will die Stiftung also einkommensschwache Wohnungssuchende unterstützen, die auf dem knappen Markt für günstigen Wohnraum kaum eine oder gar keine Chance haben, unterzukommen. Es ist also ein, wenn auch für die soziale Gerechtigkeit wichtiger Ausschnitt der Problemlage des Wohnungsmangels, dem sich Perspektive Wohnen widmet. Für die Stadt ist es wichtig zu wissen, dass sich die Stiftung um Wohnraum für Flörsheimer/innen in Flörsheim bemüht und die Situation nicht noch dadurch verschärft oder zumindest nicht verbessert, indem sie den hinzugewonnenen Wohnraum in der Stadt an Zuziehende vergibt.

„Weder wir noch die Stadt können die Welt retten, dafür müssen wir zusammenrücken“, betont Becker, warum sie die enge Kooperation mit der Verwaltung anstrebt. So erhält die Stiftung die Warteliste aus den Beratungen der städtischen Ämter. Wie viele Wohnungen für den Ansatz der Stiftung in Frage kommen, kann Becker dagegen noch nicht sagen. „Wenn Wohnungen da sind, besprechen wir mit der Stadt die Priorisierung“, erläuterte sie.

Mohr berichtete, dass die Verwaltung einen „Aufruf an die Bevölkerung“ vorbereite, vermietbaren Wohnraum bereitzustellen und die Arbeit der Stiftung somit zu unterstützen. Mohr weiß, dass es in Flörsheim einigen Leerstand gibt, „gerade die Älteren wollen häufig nicht mehr vermieten“. Die Vernetzung, die Grundlage der Arbeit der Stiftung sei, könnte die Verwaltung ebenso wenig leisten wie die als Vermieter im größeren Stil. Die Stiftung erläutert dazu, dass sie „eng vernetzt mit professionellen Institutionen aus den Lebensbereichen Bildung und Arbeit, Teilhabe und Inklusion“ sei. Die Verbindungen nutze sie zur Vermittlung „von Beratung und Begleitung für eine nachhaltige Lösung wichtiger Zukunftsfragen von Menschen mit Unterstützungsbedarf“.

So ist die Erste Stadträtin froh, dass sich die Kooperation ergeben hat. Aber wie sieht es mit den Mietausfällen aus, die für die Stiftung zu einem Problem werden könnten, lautete eine Nachfrage aus dem Ausschuss. Davon gebe es gar nicht so viele, berichtet Becker, „und wenn, dann gehen wir mit den Leuten direkt ins Gespräch“. Es ist ihrer Erfahrung nach oft auch nicht die pure Geldnot, sondern schlicht Unerfahrenheit mit der Rolle als Mieter, die zu Pannen führt. „Manche wissen etwa nicht, dass es so etwas wie Daueraufträge für die Bankkonten gibt.“

Noch keine Bewertungen vorhanden


X