Das macht Lust auf mehr Erste Ausgabe des Jüdischen Musikfestes Flörsheim war ein voller Erfolg

Monica Gutman, Lisa Jacobs und Ramón Jaffé (von links) eröffneten das musikalisch vielseitige Programm mit dem schwungvollen Werk "Freilakhs" des russisch-jüdischen Komponisten Joel Engel.

Erste Ausgabe des Jüdischen Musikfestes Flörsheim war ein voller Erfolg

Die Messlatte lag hoch: Das vor einem Jahr von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit im Main-Taunus-Kreis e. V. (CJZ) ausgerichtete Jüdische Konzert war zweifelsohne ein Höhepunkt der Veranstaltungsreihe, die seinerzeit zum Gedenken an den 300. Jahrestag der Einweihung der Flörsheimer Synagoge abgehalten wurde. Für diesen Erfolg waren maßgeblich die renommierten Solisten Monica Gutman (Klavier) und Ramón Jaffé (Violoncello) verantwortlich, die dem begeisterten Publikum mit ihren durchwegs brillanten Vorträgen viele neue, spannende Zugänge zur Welt der jüdischen Musik eröffneten (wir berichteten).

Unterstützt von der niederländischen Geigenvirtuosin Lisa Jacobs wurde am 22. September 2019 mit dem ersten Jüdische Musikfest Flörsheim das in 2018 erfolgreich Begonnene nicht nur fortgesetzt, sondern wegweisend ausgebaut. Das ist umso beachtlicher, da die Begleitumstände nicht günstig waren: Cara Gutman, die eigentlich gemeinsam mit ihrer Mutter Monica die vierhändig zu spielenden "Ironien" von Erwin Schulhoff vortragen sollte, fiel, ebenso wie die Notenumblätterin, krankheitsbedingt aus. Deshalb musste das Programm kurzerhand geändert werden, was zwar schade, aber der Qualität des Konzertes, wie sich herausstellen sollte, keineswegs abträglich war. Die Messlatte wird – das ist der berühmte Fluch der guten Tat – im nächsten Jahr noch ein gutes Stück höher liegen. Sehr zur Freude all jener, die an jüdischer Kultur und Musik interessiert sind, wird nämlich das Jüdische Musikfest Flörsheim fortan in jedem Jahr stattfinden.

Fröhlichkeit und bittere Süße

Die Kulturscheune war am Sonntagnachmittag restlos ausverkauft. Genau eine Woche vor dem jüdischen Neujahrsfest Rosch HaSchana, wie CJZ-Vorstandsmitglied Franz Kroonstuiver in seiner kurzen Begrüßung anmerkte, hatten sich 90 Konzertgäste in Erwartung jüdischer Impressionen aus Klassik, Shtetl und Jazz eingefunden. Monica Gutman, Lisa Jacobs und Ramón Jaffé, die übrigens allesamt eine Professur an Musikhochschulen innehaben, eröffneten das musikalisch vielseitige Programm mit dem schwungvollen Werk "Freilakhs" des russisch-jüdischen Komponisten Joel Engel (1868–1927). Engel, der auf Empfehlung Tschaikowskis am Moskauer Konservatorium Musik studierte, sammelte jüdische Volkslieder und wandelte sie in klassische Musik um. Freilakhs – zu deutsch: Fröhlichkeit – steht hierbei exemplarisch für die heitere, allen Widrigkeiten zum Trotz lebensbejahende Kraft, die vielen dieser Lieder innewohnt. "Jüdische Musik ist nicht nur traurig", hatte es Ramón Jaffé in seiner Einleitung auf den Punkt gebracht.

Auch die im Anschluss von Monica Gutman gespielten Klavierstücke des böhmischen Komponisten Erwin Schulhoff (1894–1942) drückten, freilich auf eine ganz andere Weise, Vitalität und Temperament jüdischer Musikkultur aus. Die besondere Fähigkeit Schulhoffs, verschiedene Musikrichtungen mit klassischer Musik zu verbinden, wurde an diesem Abend an den Beispielen Jazz und Blues virtuos zu Gehör gebracht. Ein Wiedersehen – oder besser: Wiederhören – gab es mit Schulhoffs "Kitten on the Keys", das Monica Gutman bereits beim Jüdischen Konzert in 2018 vorgetragen hatte. Ein schöner, passender Ersatz für die "Ironien", zeigt sich doch hier die Experimentierfreudigkeit, mit der Schulhoff zu Werke ging, auf besonders eindrückliche Weise: In harmonische Klänge mischen sich, keineswegs auf Samtpfoten, gewollte Dissonanzen – Kätzchen gleich, die sich auf der Klaviatur im Mäusefangen versuchen.

Kontrastierend folgte mit der Sonate für Klavier und Violine Op. 4 in f-Moll von Felix Mendelssohn (1809–1847) jüdische Musik in satter, romantischer Farbe. Es handelt sich hierbei um ein nahezu unbekanntes Frühwerk des berühmten Komponisten aus dem Jahre 1823. Die Sonate erinnert, wie Lisa Jacobs eingangs erklärte, an Mozart und Beethoven. "Man erkennt aber auch bei dieser frühen Komposition bereits den Mendelssohn-Stil", so Jacobs. Das bitter-süße Leitmotiv klang in der Tat vertraut; im zweiten Satz etwa blitzten Ähnlichkeiten mit Schuberts ungleich populärerem Kunstlied "Ave Maria" auf – das jener wohlgemerkt zwei Jahre später komponiert hatte.

Zwischen Harmonie und Dissonanz

Der zweite Teil des Jüdischen Musikfestes begann mit den "Three Meditations from 'Mass'" für Violoncello und Klavier von Leonard Bernstein (1918–1990). "Mass", von Bernstein als großes Musiktheaterstück für Orchester, Sänger und Tänzer angelegt, zeige, so Ramón Jaffé, "eine andere Seite" des US-amerikanischen Komponisten, der vor allem durch sein Musical "West Side Story" bekannt ist. Den Rahmen bildet – daher der Name – eine sozusagen von jüdischer Warte aus vertonte katholische Messe.

Schroffe, laute, aber auch zarte, leise Klänge, durchzogen den ersten Satz, die, zunächst gezupft, vom Violoncello und vom Klavier im zweiten Teil fortgesetzt wurden. In diesem Stil mäanderte die "zweite Meditation" bei Bezugnahme auf Beethovens 9. Sinfonie zwischen Harmonie und Dissonanz zum dritten Satz, der schließlich das "America"-Motiv aus der West Side Story aufnimmt – in Mass von Bernstein übrigens mit "fast and primitive" überschrieben, wie Jaffé augenzwinkernd erwähnte. Es kommt sodann, wohl ebenfalls in Anlehnung an den katholischen Gottesdienst, zur Wandlung in einen, so Jaffé, von Bernstein verfremdeten Haydn'schen Choral.

Die von Lisa Jacobs und Ramón Jaffé interpretierten Chassidischen Tänze des gebürtigen Chemnitzers Zikmund Schul (1916–1944) dagegen erinnerten, wenngleich weniger fröhlich gefärbt, an den Beginn des Konzertes; die beiden Solisten entfachten einen wahren Wirbelsturm, der die Zuhörer zum (offiziell) letzten Programmpunkt trug.

Mit den von Monica Gutman vorgetragenen Sätzen 3 und 4 aus dem Klaviertrio Nr. 2 op. 67 von Dmitri Schostakowitsch (1906–1975), die der russische Komponist in tiefer Trauer um einen 1944 verstorbenen Freund und in Erschütterung ob der im Zweiten Weltkrieg ermordeten Juden geschaffen hatte, näherte sich ein großartiger, knapp zweistündiger Konzertabend in aufwühlender, emotionaler Weise seinem Ende.

Sehr zur Freude der Konzertgäste gab es aber noch eine Zugabe, an der alle drei Solisten beteiligt waren: Der sehr melodische, wie für ein Wiener Kaffeehaus gemachte Song "Susi" (1937) von Erwin Schulhoff bildete den Schlusspunkt des verdientermaßen mit lang anhaltendem Applaus bedachten Jüdischen Musikfestes.

Beitrag zur Annäherung

Die erste Ausgabe des Jüdischen Musikfestes Flörsheim machte wahrhaft Lust auf mehr. Sehr bedauerlich ist indes, dass das Musikfest aufgrund der Veranstaltungskosten – ohne Sponsoring wäre es nicht zu finanzieren – wohl nur ein Mal im Jahr stattfinden kann. Hier ist nicht zuletzt die Kommunalpolitik gefordert, wenn sie es mit der Aufwertung des kulturellen Lebens und der Stärkung des gesellschaftlichen Miteinanders ernst meint. Auch ist dem Jüdischen Musikfest ein größerer Rahmen zu wünschen – wie wäre es etwa mit der Galluskirche? Das wäre doch für die katholische Kirche in Flörsheim eine gute Gelegenheit, um den beim Verlobten Tag 2018 in den Mittelpunkt gestellten, nunmehr aber zu leisen und zu seltenen Dialog zwischen Christen und Juden wieder aufzunehmen. Das Jüdische Musikfest Flörsheim könnte mehr zur Annäherung von Christen und Juden beitragen als so manche wohlfeile Sonntagsrede.

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