Es hatten sich beinahe 400 Flörsheimer Bürger in kämpferischer Stimmung vor dem Podium versammelt, an dem bei Veranstaltungsbeginn jedoch der eingeladene Fraport-Vertreter fehlte. In einer „Entschuldigungs-E-Mail“ an den Vereinsvorsitzenden Hans-Jakob Gall hatte der Flughafen-„Nachbarschaftsbeauftragte“ Frank Kornelius seine Teilnahme an der Info-Veranstaltung abgesagt. Er habe „nicht im Blick“ gehabt, dass es sich um eine Einladung eines regionalen Vereines handelte, er könne nur zu Veranstaltungen der Stadt kommen, war der Tenor der E-Mail. Da half es auch nichts, dass Bürgermeister Antenbrink mit am Tisch saß und die Stadt bereit gewesen wäre, als Mitveranstalter aufzutreten. Obwohl Gall vorsorglich gebeten hatte, von Missfallensäußerungen zu diesen Worten abzusehen, konnten viele Anwesende diese Ignoranz ihrem Verein gegenüber nicht ohne Kommentar hinnehmen. Hans-Jakob Gall hob in seiner Begrüßung noch einmal hervor, dass man keine „Lärm-Hölle“ über Flörsheim wolle und dass er über jede Art von Unterstützung durch die Bürgerinitiativen sehr froh sei. „Mit der Ausweitung des Casa-Programmes hat Fraport doch jetzt selbst den Beweis angetreten, dass es unzumutbar ist, so in Flörsheim zu leben“, schlussfolgerte er. „Nicht alle werden verkaufen – und diejenigen, die als Mieter in die verkauften Häuser einziehen, werden dann ja genauso unter dem gesundheitsschädlichen Lärm leiden wie vorher die Eigentümer!“
Anstelle des Fraport-Vertreters stellte Vereins-Geschäftsführer Dr. Thomas Scheffler die Erweiterungen von Casa II für die betroffenen Anwohner von Flörsheim dar. Er machte darauf aufmerksam, dass die „aktiven Lärmschutzmaßnahmen“, die nun anlaufen sollen, für Flörsheim nur wenig Effekt zeigen werden, da zum Beispiel in der Rheinallee die Überflughöhe lediglich um 17 Meter ansteigen werde, was die Lärmbelästigung nur unwesentlich verringere. Das eröffne nur zwei Möglichkeiten: „Entweder die Bahn muss weg, oder Flörsheim muss weg. Offenbar hat man sich zum zweiten entschlossen und deshalb Casa II aufgelegt“, resümierte er. Mit Casa II werden die Kaufangebote der Fraport auf die vorherigen „Übergangszonen“ ausgeweitet, die Frist zum Verkauf werde um zwei Jahre verlängert. Verkaufen an Fraport kann jeder, der schon zum Stichtag 2002 Eigentümer der Immobilie im nun ausgewiesenen Gebiet war. Allerdings ist Scheffler der Ansicht, dass Fraport nicht den vollen Wert der Gebäude bezahlen möchte, die Angebote, Darlehen für Schallschutzmaßnahmen über den Regionalfonds aufzunehmen, hält er für Augenwischerei. „Darlehen müssen ja zurückgezahlt werden“, erinnerte er. Wer spezielle Auskünfte zu Casa II haben möchte, kann mittwochs zwischen 18.30 Uhr und 20 Uhr in die Geschäftsstelle des Vereines kommen und sich dort beraten lassen.
Rechtsanwalt Dr. Martin Schröder stellte seinen Worten voran, dass er lediglich über die „vorläufige Rechtsauffassung“ des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts berichten könne, da der eigentliche Urteilsspruch erst für den 4. April angekündigt sei, die Veröffentlichung der Urteilsgründe gar erst für den Mai erwartet werde. Er wies darauf hin, dass in Leipzig keine Flugverfahren verhandelt wurden, sondern dass es dort ausschließlich um den Planfeststellungsbeschluss und seine „Erweiterung“ um Nachtflüge ging. Dazu hatten die Leipziger Richter aus allen diesbezüglichen Klagen zwölf ausgesucht, um über diese in sogenannten „Musterverfahren“ zu entscheiden. Die übrigen Klagen – zu denen auch diejenigen von Flörsheim und von Flörsheimer Bürgern gehören – wurden ausgesetzt bis zur Rechtskraft der Entscheidungen über die Musterverfahren. Erst danach werde das Gericht „nachschauen“, welche von den „übrigen“ Klägern über das Maß der verhandelten Klagen hinaus belastet sind, um nur diese dann zu weiteren ordentlichen Verfahren zuzulassen. Davor werde es eine Anhörung geben, in welcher alle Kläger – also auch die aus Flörsheim – noch einmal gehört werden müssen.
Für Dr. Martin Schröder ist es eine rein rhetorische Frage, ob Flörsheim im Vergleich zu den Klägern der Musterverfahren besonders belastet ist: „Um diese Frage zu beantworten, genügt ein Blick auf die Karte.“ Kein Ort wird durch solch niedrige Überflughöhen belastet wie Flörsheim.
Da im bisherigen Verfahren lediglich über Nachtflüge verhandelt wurde und die zentrale Frage, ob die Landebahn überhaupt dort errichtet werden durfte und betrieben werden darf, noch nicht zur Sprache kam, können die Flörsheimer Kläger immer noch hoffen, dass auch über diese Dinge in einem „eigenen“ Gerichtsverfahren vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (HessVGH) noch entschieden werden wird. Die „vorläufige Rechtsauffassung“ des Leipziger Gerichtes zum Nachtflug-Verbot allein aber sei schon ein „Paukenschlag“ gewesen: Entgegen der seit 1991 gängigen Rechtsprechung sind die Leipziger Richter nicht der Auffassung, Nachtflüge gehörten schon gemäß Widmung zu einem Internationalen Verkehrsflughafen, sie ziehen auch aus der bloßen Erwähnung von Nachtflügen im Luftverkehrsgesetz nicht den Schluss, dass Nachtflüge zu jeder Zeit der Nacht stattfinden dürfen. Vielmehr ist das Leipziger Gericht der Ansicht, dass Nachtflüge in der sogenannten „Kernzeit“ zwischen 23 und 5 Uhr nur dann erlaubt sind, wenn „standortspezifischer“ Bedarf besteht, der nur dann bejaht werden kann, wenn „Expressfracht“ an einem „Frachtdrehkreuz“ befördert werden müsse. Diese Frachtflüge müssten per Saldo überwiegen und dürften keineswegs etwa mit Passagierflügen „aufgefüllt“ werden. „In Leipzig sind die Richter wohl der Ansicht, der Nachweis des Überwiegens der Expressfracht sei nicht erbracht worden – das macht Hoffnung auf ein Nachtflugverbot in der Kernzeit“, erklärte Schröder. Die „Nachtrandstunden“ von 22 bis 23 Uhr und von 5 bis 6 Uhr seien zwar nicht so gut geschützt wie die „Kernstunden“, aber auch da gehe das Leipziger Gericht nun davon aus, dass das Gesetz grundsätzlich die ganze Nacht schütze. „Das bedeutet, auch in den Randstunden darf die Nacht nicht zum Tag gemacht werden – auch nicht in einzelnen Zeitabschnitten“, erläuterte Schröder weiter. „Es wird also wohl auch keinen ,Startknoten' kurz vor 23 Uhr beziehungsweise 5 Uhr und ebenso wenig eine ,Landeballung' zu diese Zeiten geben dürfen, es müssen wohl Kontingente erarbeitet werden.“
Dr. Martin Schröder erwartet, dass das Leipziger Gericht das Nachtflugverbot in der Kernzeit bestätigt, aber auch, dass der Planfeststellungsbeschluss bestehen bleibt. Ebenso rechnet er mit einer Verweisung der ausgesetzten Flörsheimer Klagen an den HessVGH, der in einem normalen Tatsachenverfahren darüber entscheiden wird. „Ihre Rechte, die hier verletzt werden, werden aber in Kassel noch nicht sterben“, macht er den Flörsheimern Mut. „Der Weg zum Bundesverwaltungsgericht ist dann noch offen.“ Allerdings müssten alle „beweisträchtigen“ Untersuchungen von den Betroffenen selbst „angeleiert“ werden, dazu werde jetzt schon viel getan. „Denken Sie an die Anfänge der Diskussionen über das Passivrauchen – auch dort konnte die gesundheitsschädigende Wirkung irgendwann nachgewiesen werden und heute haben wir ein Rauchverbot.“
Auch Bürgermeister Michael Antenbrink ist der Ansicht, dass es jetzt keinen Sinn macht, aufzugeben. „Keiner weiß, wo die Flughafen-Entwicklung noch hingeht und wer in Zukunft am meisten belastet sein wird“, gab er zu den weiteren Wachstumsplänen von Fraport zu bedenken. „Casa II ist eine wichtige Sache, keiner soll hier eingesperrt werden, aber wir brauchen Schutz für diejenigen, die hier bleiben wollen.“
Am Ende der Veranstaltung stellte Rolf Fritsch von der Hochheimer Bürgerinitiative „Gegenwind“ noch das neu ins Leben gerufene Internet-Portal „Frapedia“ vor. Auf dieser Mischung aus „Wikipedia“ und „Wikileaks“ will „Gegenwind“ in der Zukunft Zahlen und Fakten sammeln und veröffentlichen, etwa um die Werbeaussagen von Fraport in Bezug auf Beschäftigtenzahlen oder Gewinne zu berichtigen oder gar zu konterkarieren. Rolf Fritsch setzt auf „Gegenwerbung“ („Ja zu Fra – pedia!“) und ist sehr zufrieden damit, dass etwa das große „Gegenwind“-Transparent auf dem Dach der Hochheimer Kirche auch in der Berliner Tageszeitung abgebildet worden ist. „Das ist schön – die liest die Kanzlerin ja auch“, stellte er trocken fest. „Und wenn wir solche Bilder in New York am Times Square auf die Werbewände stellen, dann wird die ganze Welt sie sehen und man wird überall über Fraport und uns hier sprechen“, stellte er in Aussicht.
Zutrauen kann man ihm das – und dem Verein Für Flörsheim ist jeder Mitstreiter gegen die Lärmbelastung in der Stadt willkommen. Darauf wies Hans-Jakob Gall die Versammlung noch einmal eindringlich hin: „Bleiben Sie dem Verein treu – wir brauchen Ihre Unterstützung!“
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