Sprachunterricht in „Frankforderisch“

Vergnüglicher sowie lehrreicher Mundart-Abend in der Flörsheimer Kulturscheune mit Mario Gesiarz

 

Mario Gesiarz amüsierte im „bürgerlichen“ Gehrock und mit Zylinder das Publikum in der Kulturscheune mit seinem „Frankforder Gebabbel“. ?(Foto: A. Kreusch)

 

 

FLÖRSHEIM (ak) – Schon in seiner Begrüßung des Publikums in der voll besetzten Kulturscheune stellte Christian Kunesch vom Flörsheimer Amt für Jugend, Soziales und Kultur ganz klar: „Machen Sie bitte ihre Handys aus – es gibt die nächsten zwei Stunden hier nichts Wichtigeres als die Mundart!“ Die Gäste folgten ihm gerne, erwartete sie doch ein sehr vergnüglicher Abend mit Mario Gesiarz vom Frankfurter Mundart-Theater „Rezi-Babbel“ und darauffolgend weitere Einblicke in die heimatliche, fleerschemer Mundart mit Hans-Jakob Gall, Prof. Erich Metzner und Alexander Rühl, den Verfassern des „Fleerschemer Werrderbuchs“.
Dass Mario Gesiarz kein Fleerschemer ist, wurde ihm sofort verziehen, schließlich beherrscht er das dem „Fleerschemerischen“ ja doch recht nahe „Frankforderisch“ wie „aus dem FF“. Und dass er sich auch noch freute, „heute Abend hier bei Ihne zu Gast zu sein zu due zu dürfe“, brachte ihm natürlich sofort das Wohlwollen des fleerschemer Publikums ein. Im beeindruckenden grünen Gehrock und mit typischem „bürgerstolzen“ Zylinder aus der Anfangszeit des 19. Jahrhunderts rezitierte Mario Gesiarz Gedichte von Friedrich und Adolf Stoltze und von Karl Ettlinger, dazwischen gab er sehr amüsanten „Sprachunterricht“ in „Frankforderisch“.
Die Aufforderung des „Herrn Nathan“ an den „Gedallje“ in Friedrich Stoltzes Gedicht „Komm zum Esse wenn die kannst“, die dem „Gedallje“ am Schluss keine Mahlzeit, sondern nur die spöttische Frage „Unn, kannste?“ einbringt, oder die in einem anderen Gedicht beschriebenen Überlegungen des Schwiegersohns, einen an der Nase der „Kuchedaasch“ knetenden Schwiegermutter hängenden „Droppe“ beobachtend, ob er am nächsten Tag zum Kaffee kommen solle, – die er mit „je nachdem wie’s fällt“ zusammenfasste – strapazierten nicht nur mit ihren mundartlichen Texten, sondern auch durch den lebendigen Vortrag die Lachmuskeln der Zuhörer in der Kulturscheune sehr. Dass sie zwischendurch auch noch erfahren konnten, dass das sehr gebräuchliche Wort „babbele“ eigentlich aus dem Französischen ins Frankforderische übernommen wurde, und dass man aus dem französischen jungen Bürogehilfen, dem Commis, in Frankfurt einst die Bezeichnung „Gummi“ für einen jungen Mann machte, ebenso wie aus einem Börsenhändler einen „Mobbel“, erweiterte sicher auch ihren Horizont. Allerdings: Ganz viele Worte aus dem Frankforderischen brauchte Gesiarz in Flörsheim gar nicht zu erklären, die wurden dort schon immer gut verstanden: In Fleerschem weiß jeder, der Mundart spricht, was hinter dem „Frankfurter Lieblingswort Schawellche“ steckt oder was mit „em abbene Aam“ gemeint ist, auch „Babbedeckelaababbe“ versteht man hier sehr gut, und das, was die Frankforder „Bombom“ nenne, hat man hier früher von den Fassenachtswagen geworfen. Die Erkenntnis, dass man in der Frankfurter Mundart ein „R“ nur am Wortanfang wirklich „hören“ wird und dass die Betonung bei den meisten Wörtern auf der ersten Silbe liegt, war vielleicht aber doch für einige Zuhörer neu. Ebenso wie die Tatsache, dass man früher in Frankfurt „sechs Arte von Kersche: die katholisch, die evangelisch, die Synagoge, die Moschee, süß und sauer“ kannte. Die Bedeutung der Wörtchen „dät“ (wenn’s reeschne dät, dät ich net komme) und „als“ für die Frankfurter Mundart legte Gesiarz sehr anschaulich dar – aber bei dem sehr „als-betonten“ Gedicht, welches er vortrug, konnten sich auch die Flörsheimer Gäste mit den Frankfurtern identifizieren, die „als die Fehler da drin gar nit finne“ – im Gegensatz zum Frankfurter Publikum konnten sie aber trotzdem herzhaft darüber lachen. Auch den sympathischen, mit „scher“ gebildeten „Frankfurter Plural“ veranschaulichte Mario Gesiarz mit einem politisch-satirischen Gedicht von Stoltze: „Nach dem Doot, da isses all mit König und Ministerscher“. Selbstverständlich freute man sich in der Kulturscheune mit Mario Gesiarz auch an der Vielfältigkeit der Mundart, in der man so viel mehr ausdrücken kann als in der hochdeutschen Sprache: Worte wie „quittegeel“, „ritzerot“, „windelwaasch“ und „blitzeblank“ lassen sofort ganz genau Bilder im Kopfkino eines jeden Mundartfreundes entstehen. 
Ganz nebenbei erfuhr das Publikum etwas über die Gründungssage von Frankfurt und von „Dribbdebach“, von Sachsenhausen, wo früher der „Äppelwoi“ für ganz Frankfurt herkam. Wie wichtig dieses „Nationalgetränk“ für die Frankforder schon immer war, wurde daran deutlich, dass es sogar eine – die „Glocke“ von Schiller persiflierende und in Versmaß und Länge nachempfundene – Hymne an den Apfelwein in Frankfurter Mundart gibt. Die Überlieferung, der Apfelwein sei in dem Moment entstanden, als Kaiser Karl sich mal auf seinen Reichsapfel setzte und den darauf quellenden Saft probierte und sich „patentieren“ ließ, dürfte aber ein „Frankforder“ Märchen sein. Glauben kann man allerdings getrost die Erzählung von der „Uffreeschung“, die herrschte, als in Frankfurt per Verordnung im Jahr 1854 an Sonntagen der Äppelwoi erst nach 16 Uhr verkauft werden durfte – dass die „Bürjer“ der „Schtadt“ da mit mächtigen „Mir habbe Dorscht!“-Rufen auf die Barrikaden gingen, kann man sich auch in Flörsheim natürlich sehr gut vorstellen.
Dennoch – dem Frankforder wie dem Fleerschemer ist im Grunde ein entspanntes Leben lieb, das zeigte wohl die große Nachfrage in der Kulturscheune nach den von Mario Gesiarz angebotenen Aufklebern mit dem Text „Bevor isch misch uffreesch, is merr‘s liewer egal!“, die wohl demnächst auch so manches Auto in Flörsheim zieren werden.
Hans-Jakob Gall nahm Mario Gesiarz sowie die von ihm vorgetragenen Gedichte und Geschichten zum Anlass, noch einmal zu erklären, warum er sich mit seinen Mitstreitern die Mühe macht, ein „Fleerschemer Werrderbuch“ zusammenzustellen: „Wir wollen unsere fleerschemer Werrder festhalte, damit irgendwann mal einer von ihnen auch ein 'Rezibabbel' wird!“ Ihm ist es wichtig, die alten Flörsheimer Ausdrücke festzuhalten, vor allem auch die Alltagssprache, er will verhindern, dass Fleerschemerisch eine „verlorene Sprache“ wird. Gall selbst geht da mit gutem Beispiel voran, von ihm erscheinen schon seit Anfang der 2000er-Jahre Geschichten vom „Honnes“ in der Flörsheimer Zeitung. „Die Flörsheimer Zeitung würde sich auch über einen Artikel in Fleerschemerisch freuen“, meinte Gall. Damit ein Verfasser dann darin alles „richtig fleerschemerisch“ schreiben kann, kann er das „Fleerschemer Werrderbuch“ benutzen. Hans-Jakob Gall hat siebzig seiner „Honnes“-Geschichten ebenfalls anhand des „Werrderbuchs“ überarbeitet und in einem kleinen Buchband zusammengefasst, welcher in der nächsten Woche erscheinen wird. Als Beispiel daraus las er „Hunde überall und haufenweis“ vor – sicher werden die amüsanten und oft tiefsinnigen Betrachtungen des Flörsheimer Hannes einige Leser mehr zum „Fleerschemer Werrderbuch“ führen. Das blaue Buch mit den „Übersetzungen“ aus dem Flörsheimerischen kann man nicht nur im Buchhandel kaufen, man kann es auch online unter der Adresse www.fleerschemer-werrderbuch.de benutzen. Axel Rühl wird in Zukunft dafür sorgen, dass es sogar eine Rechtschreib-Prüffunktion für „Fleerschmerisch“ im Textverarbeitungsprogramm Word geben wird.
Die zweite Auflage des Fleerschemer Werrderbuchs wird wahrscheinlich Ostern nächsten Jahres erscheinen – beigefügt sein wird dann eine CD mit Rechtschreibprüfung und sogar mit Sprachbeispielen.
Hans-Jakob Gall konnte sogar ganz aktuelle Gründe benennen, warum man sogar in politischen Kreisen „fleerschemerisch“ lernen sollte: „Des wär gut, wann die Merkel fleerschemerisch babbeln dät – des könne die Amis bestimmt net. Merr sollt der mol e fleerschmer Werrderbuch schicken!“ Dem konnte das Publikum natürlich nur lachend zustimmen.
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