Mit einer Reihe Veranstaltungen feiert die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit im Main-Taunus Kreis (CJZ) in diesem Jahr den 75. Jahrestag der Gründung des Staates Israel. Neben politisch-inhaltlichen Abenden bleiben die deutsch-jüdischen Klassikkonzerte in Flörsheim ein Kern der Aktivitäten des Vereins. Trotz der gleich bleibenden Basis dieser Konzerte durch die koordinierende Arbeit von Pianistin Monica Gutman und Violoncellist Ramón Jaffé gelingt es doch immer wieder, neue Künstler und Themen zu bieten, so auch am Sonntag beim Konzert mit dem Titel „Israel Deutschland – musikalische Pfade zueinander“.
Der Untertitel „Eine Zeitreise von der Klassik bis zum Tango“ verriet den zeitlich wie stilistisch breit angelegten Korridor der ausgewählten Stücke. Gutman und Jaffé hatten diesmal erneut Gernot Süßmuth (Violine), Konzertmeister der Staatskapelle Weimar, zudem Peter Zelienka (Bratsche) vom hr-Sinfonieorchester sowie Ella Wünsch (Sopran) und Bernhard Wünsch (Klavier) eingeladen. Ungewöhnlich war zudem die ausführliche, fachkundige Moderation mit Erläuterungen zu den jeweiligen Komponisten durch Burkhard Egdorf, langjähriger SWR-Radiomoderator.
Ein Schwerpunkt lag vor rund 90 Zuhörern in der Stadthalle diesmal auf den Werken von Felix Mendelssohn (1809 - 1847), von dessen nicht einfacher Rolle in einer Kulturwelt, in der die jüdische Herkunft seiner Familie immer noch eine Rolle spielte, obwohl er selbst wie auch seine Schwester Fanny (1805 - 1847) christlich getauft und konfirmiert war.
Von Mendelssohn seien rund 115 Lieder überliefert, einige davon stammten allerdings wohl aus der Feder seiner Schwester, wie Egdorf erläuterte. „Sie hat im Vergleich zu Felix mehr als das Doppelte komponiert.“ Von Fanny Mendelssohn wurde in Flörsheim das Werk „Gondellied“ aufgeführt. Es war eben nicht die Zeit, die Frauen eine Konzertkarriere als Komponistin erlaubte, wie sie ihrem Bruder vergönnt war. Der widmete sich immer wieder vor allem der Bearbeitung der Werke von Johann Sebastian Bach (1685 - 1750). Berühmt bis heute ist die Wiederaufführung der Bach'schen Matthäuspassion (1727) nach Mendelssohns Bearbeitung im Jahr 1829, die die Werke des Komponisten wieder in Erinnerung rief. „Die Bach-Pflege geht auf Mendelssohn zurück“, betonte Egdorf.
Eine Vertonung des Textes „Es weiß und rät es doch keiner“ von Joseph von Eichendorf (1788 - 1857) war nach einem Einstiegsstück von Gustav Maler (Klavierquartett) das erste Stück von Felix Mendelssohn, das in der Stadthalle erklang. Volle Bühne dann beim „Hexenlied“ (auch: Anderes Mailied), das alle Mitwirkende außer Monica Gutman, die das Klavier Bernhard Wünsch überließ, auf der Bühne zusammenbrachte.
Das heute bekannteste Werk des Komponisten ist aus dem „Sommernachtstraum“ der vierhändige, von Gutmann und Bernhard Wünsch vorgetragene „Hochzeitsmarsch“. Es sei „ein unverwüstliches Stück“, sagte Egdorf, und das trifft es schon deshalb, weil die Musiker beim Vortrag ziemlich brachial in die Tasten hauen müssen, womit es dem dramatischen Anlass aber offenbar gerade gerecht wird. Gutmann, Jaffé und Süßmann leiteten dann mit Helene Liebmanns „Grand Trio A-Dur“ in die Pause über. Liebmann (1795 - 1869) ist ein weiteres Beispiel für eine Künstlerin mit jüdischen Hintergrund, die es 1813 aber vorzog, zum Christentum zu konvertieren und sich sechs Jahre später gar in den weniger jüdisch klingenden Namen „Liebert“ umbenannte. In Hamburg, wo sie mit ihrem Ehemann ab 1819 lebte, erlebte sie laut Egdorf antijüdische Aktionen. Von ihr sind rund 20 Werke überliefert, zumeist für Piano und Streicher, aber auch mit Gesang komponiert.
Der zweite Teil begann mit einem weiteren, letzten Stück aus der Feder Mendelssohns, die Vertonung des Heine-Textes „Auf den Flügeln des Gesangs“ aus dem „Buch der Lieder“ des Dichters.
Danach leitete Egdorf zu einem Fan Mendelssohns über, den deutsch-böhmischen, allerdings als selbst gewählter Sowjetbürger gestorbenen Komponisten Erwin Schulhoff (1894 - 1942), der im Zweiten Weltkrieg ein Opfer der Nationalsozialisten wurde, da er interniert auf einer Burg in Bayern an Tuberkulose starb.
Seine „Sonate für Violine solo“ von 1927 ist ein fulminantes Violinenstück, das Gernot Süßmuth darbot. Der Prager Schulhoff war in den 1920er-Jahren ein äußerst erfolgreicher Musiker, wandelte sich mit den Jahren zum Jazz-Liebhaber, beschäftigte sich aber auch mit Dadaismus und Avantgarde und verdiente sich so die Aufnahmen in der Liste der „entarteten Kunst“ durch die Nazis, mit der sich seine Arbeitsgelegenheiten allerdings stark einschränkten.
Noch einmal einen großen Sprung machte das Konzert zur vorletzten Komponistin des Abends – und hier erlebte die altehrwürdige Stadthalle tatsächlich eine wahre Welt-Uraufführung. Die 1974 geborene, ukrainische Komponistin und Pianistin Anna Segal, in Israel lebend, hatte ihre Suite „Ladino“ für das Flörsheimer Konzert geschrieben. Ein Werk für Klavier, Violine und Violoncello.
Auch der schon früher entstandene „RamonTango für Violoncello und Klavier“ Segals, so benannt als Referenz an Jaffé, bot die für diesen Tanz typische Wildheit – beide Stücke der einzigen zeitgenössischen Künstlerin des Abends kamen beim Publikum ausgesprochen gut an. Der erhoffte große Höhepunkt des Konzertabends, Jaffé wird es Segal sicher gerne berichtet haben.
Den Abschluss bildeten die Lieder „Eli, Eli“, „Yerushalaim shel zahav“ sowie „Hava Nagila“, wichtige israelische Volksstücke, die man auch hierzulande kennt. Im Namen der CJZ dankte Vorstandsmitglied Franz Kroonstuiver schon vor der Pause Gutman und Jaffé „für ihre Ideen, diese Programme zusammenzustellen“. Die würden inhaltlich „immer anspruchsvoller“. Die Konzertreihe wird 2024 fortgesetzt, mit welchem Thema, ist noch ein Geheimnis. Für Flörsheim sind bisher für dieses Jahr keine weiteren Veranstaltungen des CJZ vorgesehen.
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