Verschiedene Ansätze passen gut zusammen In der Ausstellung im Kunstforum Mainturm werden "Horizonte" auf mehrere Weise überschritten

Auf großes Interesse stieß am Sonntag die Ausstellungseröffnung im Kunstforum Mainturm. Die Vernissage fand aufgrund des Andrangs im Freien statt.

In der Ausstellung im Kunstforum Mainturm werden "Horizonte" auf mehrere Weise überschritten

Die erste größere Veranstaltung im Kunstforum Mainturm seit Monaten ließ sich am Sonntagmittag gut an. Wie ein Lichtschein am Horizont mögen viele Besucher des Kulturgebäudes die Vernissage der Ausstellung gesehen habe, die somit recht passend den Titel „Horizonte“ trägt. Bis zum 27. November präsentieren die Malerin Gabriele Beinlich und der Fotograf Jürgen Lecher Werke, die mit dem zu tun haben, was jenseits des Horizonts liegt: die Ferne mit ihren fremdartigen Orten und neuartigen Erfahrungen.

Die beiden Frankfurter Künstler haben sich in Flörsheim, wo Beinlich einige Jahre lebte, zum ersten Mal zusammengetan, um ihre eindrucksvollsten Werke zu präsentieren, die von Reisezielen und dem Reisen selbst berichten. Dies eben auf unterschiedliche Weise: Beinlich mit ihren Acrylgemälden und Zeichnungen, Lecher mit in vielen Fällen künstlerisch verfremdeten oder neu zusammengesetzten Auszügen aus seinem Fotoarchiv.

Damit füllen sie die Räume im Kunstturm mit rund 120 Werken, die trotz eines gewissen durchgehenden Stils auch eine große Vielfalt zeigen, farblich wie in der Präsentationsform. Entstanden sind die Werke seit den 1980er-Jahren und reichen bei Beinlich bis in die erschreckend nahe aktuelle Zeit. Denn ganz oben, am Ende des Ausstellungswegs, treffen die Besucher tatsächlich auf die ersten Corona-Kunstwerke, die sie zu sehen bekommen dürften. Sie entstanden unter dem Eindruck einer Japan-Reise Beinlichs im März, und tatsächlich tragen die Damen, die an den Terminals des Flughafens von Nagoya arbeiten, auf den Bildern „Lockdown in Nagoya“ bereits ganz vorschriftsmäßig einen Mund-Nasen-Schutz. Auf einem anderen Werk in diesem Raum wird das erste traditionell-japanische Kirschblütenfest in Coronazeiten begangen.

Beide Künstler mussten nicht der Muse wegen in die weite Welt reisen, sie brachten ihre Inspiration und manche fertige Werke – ein Grund, warum Beinlich vieles auf kleinformatigen Leinwänden anfertigt – von ihren beruflichen Reisen mit: Lechner als freier Berufsfotograf, den die Auftraggeber in die ganze Welt schickten, Beinlich in ihrem Job als Flugbegleiterin bei der Lufthansa. Diesem Beruf geht sie heute noch in reduziertem Ausmaß nach. Im Laufe der Jahrzehnte, berichtet sie, hat sich ihr Fokus dabei immer wieder verschoben, das half ihr persönlich wie künstlerisch, immer wieder neue Gebiete zu erschließen.

„In den 80er- und 90er-Jahren war ich vor allem in Südamerika“, berichtet sie. Dafür lernte die 1953 in Frankfurt geborene Beinlich nicht nur die Sprachen des Halbkontinents, also Spanisch und Portugiesisch. Sie hat seit 1997 sogar einen Magisterabschluss in Lateinamerikanistik und Anglistik der FU Berlin in der Tasche. Der Malerei widmete sie sich ab 2007, ebenfalls in Berlin, akademisch. Seit 2015 ist Beinlich offiziell Meisterschülerin von Ute Wöllmann, einer Meisterschülerin von Georg Baselitz. Beinlichs Reise-Interesse verschob sich in den jüngsten Jahren immer stärker nach Asien, siehe Nagayo.

Sie findet die Flörsheimer Ausstellungsräume mit ihren schmalen Gängen und nicht allzu großzügigen Ausstellungsräumen ideal für ihre Werke, „ich male ja nicht großformatig“. Auch Lecher kann im Kleinformat, dass zeigt seine Serie Aufnahmen, die er aus Dias im Originalformat entwickelte. Größte Komposition in der Ausstellung ist sein Werk „San Francisco“ und misst 1,90 Meter mal 1,30 Meter.

Andrang bei der Vernissage

Vorteil eines Fotografen: Ja nach Produktionsvorgang kann er seine Werke in mehrfacher Auflage herstellen (und Interessierten anbieten). Auch Lecher fand auf Umwegen dazu, künstlerische Ausdrucksform für das zu finden, was seine Kameras einfangen.1953 in Bad Waldsee bei Ravensburg geboren, schloss er in Münster ein Studium zum Diplomgeologen ab. Sofort danach ließ er sich für zwei Jahre in Madrid als Fotograf nieder, setzt diese Laufbahn seit 1987 in Frankfurt fort und sammelte so fortan Futter für seine künstlerischen Ideen.

Die Eröffnung der Ausstellung fand im Freien zu Fuße des Turms statt, da im Gebäude die Abstandsregeln nicht einzuhalten gewesen wären. Die offizielle Freigabe der Schau war die Aufgabe von Bürgermeister Dr. Bernd Blisch, dem die Laudatio des Darmstädter Kunstkritikers Roland Held folgte. Der erinnerte an die gute Tradition nord- und mitteleuropäischer Maler und sonstiger Künstler, in die südlichen Gefilde zu ziehen und die fremden Eindrücke in neue Werke umzusetzen oder von ihnen zu berichten.

Gemeinsam sei den beiden ausstellenden Künstlern, dass sie „nicht allein aus freikünstlerischer Neugierde, sondern wesentlich auch von brotberuflichen Verpflichtungen“ zu ihrer „Bildproduktion“ angestoßen wurden. Die ausführlichen Aufenthalte in den bereisten Ländern hätten dazu geführt, dass sie „Horizonte“ auch im geistigen Sinne immer wieder überschritten. Dabei finde eine schöpferische Transformierung statt, die "das Dokumentarisch-Informative“ deutlich hinter sich lasse.

Beinlich wie Lecher präsentieren im Mainturm viele Serien. Das lege nahe, „dass sie ihr Thema systematisch umkreisen, variieren, sogar künstlerisch verfremden". Dies alles mit erkennbarem Konzept. Und das kennzeichnet die beiden für Held als „Künstler unserer Tage“.

Geöffnet ist die Ausstellung jeweils donnerstags von 18 bis 22 Uhr sowie samstags, sonn- und feiertags von 12 bis 18 Uhr.

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