Auch nach vier Monaten fehlen Daten Stadtverordnetenversammlung will Bürgermeister nicht zur Beendigung des Jahnstraßen-Experiments auffordern

Die Pfosten des Anstoßes: Ziemlich genau auf halber Strecke hindert diese Absperrung in der Jahnstraße Autos an der Durchfahrt. So soll die Nutzung der Fahrradstraße als Nebenstrecke durch Nicht-Anwohner vermieden werden. Die SPD fordert nun vergeblich, Bürgermeister Blisch zur Beendigung des Feldversuchs aufzufordern.

Stadtverordnetenversammlung will Bürgermeister nicht zur Beendigung des Jahnstraßen-Experiments auffordern

Als Rennstrecke für Autofahrer ist die Jahnstraße nicht erst seit diesem Jahr völlig „out“. Seit März 2016 schon kennzeichnen Markierungen auf der Fahrbahn die Tempo-30-Gasse als Fahrradstraße, die seinerzeit erste ihrer Art im Main-Taunus-Kreis. Damit kamen die Anwohner seither ganz gut zurecht. Das Experiment, das derzeit in der knapp 650 Meter langen Straße zwischen Stadthalle und Wickerer Straße läuft, passt dagegen längst nicht jedem und bestimmte daher vorhersehbar die Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am vergangenen Donnerstag.

Die SPD scheiterte an den Koalitionsstimmen mit ihrem Dringlichkeitsantrag zu dem Thema, der aus einem Satz bestand: Das Parlament solle Bürgermeister Bernd Blisch (CDU) auffordern, in seiner Funktion als örtliche Straßenverkehrsbehörde „die provisorische Sperrung der Jahnstraße unverzüglich wieder aufzuheben“. Autos können derzeit wegen der beiden rot-weißen Metallpfosten auf Höhe des alten Friedhofs und der Fußgängerunterführung zur Eisenbahnstraße die Jahnstraße nicht durchfahren. Die ist damit seit Ende März aus beiden Richtungen zur Einbahnstraße geworden.

Einst unter alten Mehrheitsverhältnissen selbst Initiator der Ausweisung als Fahrradstraße gewesen, wollten die Sozialdemokraten ihren Vorstoß auf keinen Fall so verstanden wissen, dass sie sich von der Idee einer Gasse mit Bevorzugung der Zweiräder nun distanzieren. Die Sperrung jedoch sei „sowohl im Ortsbeirat, als auch in der Verkehrskommission lediglich als eine von vielen Möglichkeiten vorgestellt worden“, heißt es in der Begründung des Antrags vielmehr.

Sprich, die SPD fühlte sich von der Aufstellung der Pfosten überrumpelt, denn es habe „in den Gremien keinerlei Abstimmung hierüber“ gegeben. „Und die Bürger wurden überhaupt nicht beteiligt.“

Und so sieht die Fraktion ein nahezu unvermeidliches Akzeptanzproblem bei den Anwohnern. Fraktionschefin Marion Eisenmann-Kohl führte im Antragstext zudem an, dass der Beschluss der Fahrradstraßen-Einführung lediglich vorgesehen habe, die Straße für den Autoverkehr unattraktiver zu machen „und damit Fahrrädern den Vorrang einzuräumen“. Dass dies durch die Sperrung gelungen ist, lässt sich freilich kaum bestreiten, aber dass sie nun in der Fahrtrichtung eingeschränkt werden, kommt bei vielen Anwohnern nicht gut an.

Bürger haben während der Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung grundsätzlich zu schweigen, deshalb konnte Nicole Tremel sich in die Debatte am Donnerstag nicht verbal einmischen. Die Anwohnerin der Jahnstraße durfte immerhin wortlos eine Unterschriftenliste abgeben, die 136 Namen trägt, davon gut 100 vom Bürgern aus dem direkten Wohnumfeld. Sie fordert den Bürgermeister ebenfalls auf, das Experiment sofort zu beenden und die Pfosten beseitigen zu lassen.

Der Feldversuch steht nicht zuletzt wegen Corona unter keinem guten Zeichen. Eine Studie kann aus logischen Gründen nur dann verwertbare Ergebnisse einbringen, etwa zu der Wirkung einer Durchfahrtssperre, wenn zum Zeitpunkt des Versuchs die Verhältnisse so sind, wie sie normalerweise eben sind. Das war aber spätestens zwei Wochen nach dem Aufstellen der Pfosten vorbei, als die benachbarten Schulen wegen der Pandemie schlossen und all die fahrradfahrenden Kinder, an die nicht zuletzt bei der Einführung der Fahrradstraße gedacht worden war, plötzlich nicht mehr unterwegs waren.

Spätestens in dem Moment, findet Tremel, hätte das Experiment abgebrochen werden müssen, eine entsprechende Forderung habe sie schon ohne Resonanz am 17. März schriftlich bei der Stadtverwaltung eingereicht. Die Bürgerin dürfte zu dem Zeitpunkt im Rathaus schon eine gewisse Bekanntheit erlangt gehabt haben, denn seit der Bekanntgabe der Pläne gingen rund ein Dutzend E-Mails Tremels beim Bürgermeister, aber auch beim Landrat ein, berichtet die Anwohnerin.

Auch sie habe mit dem Status der Jahnstraße als Fahrradstraße kein Problem, betont sie. Doch in der Straße seien die Autos nicht zu schnell unterwegs, weil die Anwohner zum Großteil selbst Kinder hätten. Den großen Fahrradverkehr gebe es in der Gasse auch nach der Umwidmung nicht, und das verwundert sie auch nicht groß, denn „Flörsheim ist eine fahrradunfreundliche Stadt“. Der Abschnitt Jahnstraße könne daran wenig ändern, weil die Kinder vorher und nachher ungeschützt in den Straßen unterwegs seien.

Gerade die Kurve Höllweg/Wickerer Straße, in die der nördliche Teil der Jahnstraße mündet, ist ein neuralgischer Punkt – für Fahrradfahrer sowieso, im Moment aber auch für alle Autofahrer aus dem nördlichen Bereich der Jahnstraße, die derzeit nicht mehr in Richtung Stadthalle und Kreisel aus der Stadt herausfahren können.

Ende Mai teilte die Stadt den Anwohnern mit, dass das Experiment nicht wie ursprünglich angekündigt am 31. Mai enden werde, sondern wegen der ungünstigen Testverhältnisse verlängert werde, nun bis Ende September. Da liegen allerdings auch sechs Wochen Schulferien dazwischen, sodass anschließend gerade sechs Wochen „normaler“ Erhebungszeitraum verbleiben. Und ob es nach den Ferien tatsächlich, wie derzeit angedacht, mit der Rückkehr in den Regelunterricht in den Schulen klappen wird und damit in der Jahnstraße endlich wieder ein normales Schüleraufkommen unterwegs ist, weiß auch noch niemand. Insgesamt also ganz unabhängig davon, wie man zu dem Versuch an sich steht, ein recht unglücklich verlaufendes Experiment, das da gerade in der Jahnstraße läuft.

In der Debatte um das Projekt in der Stadtverordnetenversammlung bekam Tremel den Eindruck, „als ginge es um einen Krieg zwischen Antenbrink und Blisch“. Das allerdings im Fernduell, beide meldeten sich zu dem Tagesordnungspunkt nicht zu Wort. Der Rückgriff auf die vorige Verwaltung war in der Debatte dennoch naheliegend, weil die Initiative und die Beschlüsse zu dem, was in der Jahnstraße gerade passiert, nun einmal von der alten SPD/GALF-Koalition initiiert wurden.

Daran erinnerten natürlich auch die Redner der Koalition und verteidigten die Weiterführung des Feldversuchs, auch wenn nicht jeder von selbst auf die Idee gekommen wäre, die Straße für die Autodurchfahrt zu sperren. „Ich bin der Meinung, dass die dauerhafte Sperrung der Straße nicht kommen sollte, es gibt andere Möglichkeiten“, sagte etwa CDU-Fraktionschef Marcus Reif. Andererseits gebe zu dem Test einen Beschluss, und wenn schon eine Straße in Flörsheim zugunsten des Radverkehrs für Autos gesperrt werden soll, dann sei die Jahnstraße „mit zwei Schulen und einer Kita nicht so falsch“.

Gesperrt, wie im SPD-Antrag formuliert, sei die Jahnstraße für die Autos derzeit übrigens gar nicht, „man kann rein und raus, und ob die Durchfahrtssperre sinnvoll ist, soll der Test zeigen, der jetzt verlängert wurde“. Am Ende müsse man „dem Bürgermeister mit Rat zur Seite stehen, die richtige Entscheidung zu treffen“.

Die GALF verwies auf die ausführliche Diskussion des Themas Jahnstraße in der Verkehrskommission. Fraktionschef Frank Laurent erinnerte daran, dass die Straße als Teil der Radwegeverbindung von Rüsselsheim nach Weilbach gedacht sei und genutzt werde, „das war der Anlass, dort eine Fahrradstraße auszuweisen“.

Nur, wer sich auf dem Rad sicher unterwegs fühle, lasse das Auto stehen und steige um. Dessen Nutzung dürfe daher nicht weiter gefördert werden, „die Verkehrsbelastung bekommen wir nur in den Griff, wenn wir es schaffen, das Autofahren unattraktiver zu machen“, sagte Laurent.

Auch Thomas Probst (DfB) betonte, sich durch Blisch in der Verkehrskommission über das Vorgehen in der Jahnstraße gut unterrichtet gefühlt zu haben. Vorgänger Michael Antenbrink habe hingegen seinerzeit die Odenwaldstraße in Wicker ohne jede Rücksprache für den Verkehr geöffnet. Die Testphase werde zu einem Ergebnis führen, die Bürger könnten sich in der Kommission zu Wort melden. „Versuche, die Leute mit Infoständen aufzuwühlen“ seien dagegen kontraproduktiv, kritisierte Probst eine entsprechende Aktion der SPD.

Da war es Melanie Ernst (SPD) mit dem Bezug auf den Ex-Bürgermeister zu viel, „mir geht es auf den Keks, dass Sie bei jedem Redebeitrag erzählen, was Antenbrink alles falsch gemacht habe“. In der Odenwaldstraße gebe es kaum Verkehr und keine Beschwerden über die Situation dort, „dann soll man es auch ruhen lassen“. Und Stände zu politischen Themen aufzubauen, „kann man uns wohl kaum verbieten“.

Für Statements in Richtung „Freie Fahrt für freie Bürger“ fühlt sich auch in Flörsheim die FDP zuständig. Fraktionschef Torsten Press begründet so die Unterstützung seiner Fraktion für den SPD-Antrag, denn „jeder sollte das Verkehrsmittel seiner Wahl nutzen können“, sagte er. Verständnis habe er zwar für das Ziel, Kinder zu schützen, „aber das tun wir, indem wir auf die Gefahren hinweisen“. Durchfahrtssperren jedoch seien „reine Schikane“, die lediglich „manche entlasten und andere belasten“.

Die Unterstützung der Freidemokraten reichte den Sozialdemokraten allerdings nicht, um die Aufforderung an den Bürgermeister beschließen zu lassen. Von Seiten des Verwaltung ist nicht zu erwarten, dass der Chef des Hauses am Terminplan rüttelt. Bis Ende September dürfte die Jahnstraße somit für die Autofahrer experimentell halbiert bleiben.

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