Kampf um die Studierenden beginnt in der Stadthalle

Experimentiertag des VDI in Flörsheim mit 950 Kindern - Podiumsdiskussion mit Vertretern der Landtagsfraktionen

Am Freitag durften wieder Hunderte Kita- und Schulkinder beim VDI-Experimentiertag in der Stadthalle an interessanten Versuchsangeboten teilnehmen, hier am Stand des Verbandes selbst.

Muss denn wirklich jeder in Deutschland Abitur machen? Müssen denn alle nach der Reifeprüfung unbedingt in einen akademischen Beruf streben und studieren gehen? Das sind Fragen, die aus Wirtschaftsbranchen zu hören sind, die daran verzweifeln, dass ihnen durch den immer weiter steigenden Anteil Abiturientinnen und Abiturienten in den Jahrgängen zum Beispiel die Lehrlinge in den klassischen Handwerksberufen verloren gehen.

Es gibt aber auch die andere Seite, wie sie etwa der Verband Deutscher Ingenieure (VDI) vertritt. Der findet eher, dass es in Deutschland viel zu wenige Studierende gibt, jedenfalls in den Fächern, die ihnen den dringend benötigten Nachwuchs bescheren können. Es ist eben ein harter Kampf um die weniger werdenden Talente und Interessenten in einer durch schwache Geburtenzahlen geprägten Gesellschaft, auch in den Ingenieurswissenschaften.

Der VDI-Bezirk Rheingau organisiert in Zusammenarbeit mit Unternehmen, Institutionen, Schulen und Hochschulen seit vielen Jahren einmal im Jahr in der Flörsheimer Stadthalle einen „Experimentiertag“, zu dem Kitakinder und Grundschüler in ihren Gruppen vorbeischauen und an technischen Versuchen teilnehmen können. Neugier und Spaß am Außergewöhnlichen bringen die Jungen und Mädchen von Natur aus mit. Es ist die Aufgabe und Mission der diesmal 18 Aussteller bei diesen Veranstaltungen, in den Kindern ein kleines Pflänzchen zu säen, das im Laufe der Schullaufbahn wächst und sich schließlich zu einem Interesse an einem Ingenieursberuf auswächst.

„An den Vormittagen haben wir hier 40 bis 45 Schulklassen und Kitagruppen, am Nachmittag kommen dann viele Kinder mit ihren Eltern zu uns“, erläutert der Flörsheimer Geschäftsführer des VDI-Bezirksverbandes Rheingau, Wolfgang Truss. Zwischen 850 und 950 Kinder aus dem Gebiet des Bezirkes kamen in diesem Jahr in die Stadthalle, viele natürlich aus Flörsheim, ansonsten vor allem aus Rüsselsheim, Wiesbaden, Hochheim und anderen Kommunen des Main-Taunus-Kreises.

Eröffnet wurde die Veranstaltung am Vormittag durch Staatsminister Axel Wintermeyer und Bürgermeister Bernd Blisch (CDU). Unter den Ausstellern sind Schulen und Hochschulen mit einem Schwerpunkt in technischen Fächern, die Experimentierbeispiele aus ihrem Unterricht oder ihren AGs vorführten, meist zum Mitmachen. Die Rüsselsheimer Werner-Heisenberg-Schule gab einen Einblick in ihren Bereich Fertigungstechnik und präsentierte einen 3-D-Drucker in Aktion. Eine immer überzeugendere und anspruchsvolle Technik, die vorführte, wie komplexe Strukturen wie etwa Figuren aus dem Star-Wars-Universum in solch einem Drucker entstehen.

Dass so unterschiedliche Einrichtungen wie die TH Bingen, das Mathematikum Gießen, aber auch das DLR School Lab aus Darmstadt sich bei solch einer Veranstaltung präsentieren, sichert ein breites Angebot an wissenschaftlichen Themenbereichen. Auf der Bühne der Stadthalle bot die „Experiminta“ aus Frankfurt besonders kindgerechte Experimente, mit einfachen Aufbauten, aber großen Augen bei den Kindern beim Gewichte schätzen, dem nur scheinbar gewagten Zusammenbringen eines Luftballons mit einem Nagelbrett oder dem geschickten Führen eines Luftstroms zum Balljonglieren – Basisarbeit für das Interesse an Physik.

An anderen Ständen blinkte und blitze es eher hochmodern, mit ausgefeilter Elektronik als Hauptakteur. Konkret auf die Berufsausbildung zielend, eher als Information für die begleitenden Eltern von Interesse, informierte das Mainzer Industrie-Institut für Lehre und Weiterbildung. Ein wenig exotisch in diesem Kreis, aber sehr erfahren mit dem Experimentieren mit Kindern, ist das Naturschutzhaus Weilbacher Kiesgruben, das Bastelarbeiten anbot mit Bezug zu Naturthemen.

Alle Einrichtungen machen die gleiche Erfahrung: Eine Garantie, dass man die Kinder mit interessanten Angeboten und Experimenten packt und diese als junge Erwachsene in die Ingenieursberufe streben, gibt es nicht. Engagierte VDI-Mitglieder gehen in Schulen auch in den Schulunterricht, um um das Interesse der Kinder zu werben, erläutert Truss, der im VDI-Bezirk auch den Arbeitskreis „Zukunftspiloten“ leitet, der 12 bis 18 Jahre alten Jungen und Mädchen Technik näher bringen will. Er ist nach seiner Erfahrung mit den Schuleinsätzen überzeugt, dass schon ab der 5. Klasse mit dem gezielten Erwecken des Interesses an Technik begonnen werden sollte. Und: Auch die Eltern müssen mithelfen, um die Entwicklung ihrer Kinder zu unterstützen, sich an die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) heranzuwagen – immer noch ganz besonders bei Mädchen.

Podiumsdiskussion in der Stadthalle

Am Dienstag hatte der VDI bereits zu einer Podiumsdiskussion in die Stadthalle eingeladen, um Ansätze auszuloten, die das Interesse junger Menschen an einer Ingenieursausbildung wieder erhöhen könnte. Die Diskrepanz zwischen dem Bedarf der Unternehmen an Ingenieursnachwuchs und den seit Jahren zurückgehenden Studierendenzahlen in den Fächern wie Maschinenbau ist enorm. Die steigende Zahl an Stellen, die die Unternehmen partout nicht besetzt bekommen, ist nicht weniger als eine logische Folge, weil in diesen hochspezialisierten Berufen Quer- und Seiteneinsteiger mit anderem Ausbildungshintergrund nun einmal keine Option sind.

Unter dem Titel „Wir brauchen Ingenieure! Ingenieurmangel und Technikverdruss“ diskutierten unter der Moderation von Professor Christian Glockner, Dekan des Fachbereiches Ingenieurwissenschaften der Hochschule Rhein-Main (Rüsselsheim), wenige Wochen vor der Landtagswahl in Hessen bildungspolitische Repräsentanten der Fraktionen über das Thema. Selbstverständlich hatten weder Lisa Deißler (FDP), Gernot Grumbach (SPD), Andreas Hofmeister (CDU) noch Daniel May (Grüne) ein Patentrezept anzubieten.

Die Tendenz der Praktiker aus dem Publikum war recht eindeutig: In den Schulen muss mehr passieren, um den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern wieder mehr Raum zu verschaffen. Dass es längst einige Bemühungen gibt und in Hessen gar in Gesetze umgesetzt wurden, vor allem durch die Einstufung der Mathematik als Pflichtfach bis zum Abitur, steht gegen diese Behauptung. Seit dem vergangenen Schuljahr gibt es in hessischen Schulen zudem das Unterrichtsfach „Digitale Welt“, wie May betonte.

Auch, dass es an der Qualifikation vieler Lehrerinnen und Lehrer in den MINT-Fächern fehlt, weil zu wenig in diesem Bereich ausgebildete Kräfte in den Schulen blieben, blieb nicht unwidersprochen. Grumbach hält es für den falschen Weg, auf „Fachidioten“ beim Lehrpersonal zu setzen. Gefragt seien Pädagoginnen und Pädagogen, „die so zusammenarbeiten können, dass etwas Sinnvolles dabei herauskommt“. Eine Frage der Verknüpfung von Angeboten.

Im Publikum wurden dennoch Mangelzustände thematisiert, so von einem Schüler, der sich fragte, wie man Schüler für Ingenieurwissenschaft interessieren wolle, wenn der Physikunterricht wie bei ihm drei Jahre lang ausfällt. Ein Lehrer ist skeptisch, ob in der Politik und in den Parteien das Verständnis für die Problemlage ausreichend vorhanden sei, schließlich gebe es in der Berufsgruppe kaum Ingenieure.

Gerade von Unternehmerseite, wie auch zu hören war, ist längst glasklar, dass das fehlende Fachpersonal sich nicht in ausreichender Zahl über ein noch so gut ausgestattetes Schulsystem rekrutieren lässt. Schon rein durch die zu geringen Jahrgangsbreiten besteht da - Mathematik Grundkurs reicht zur Bewältigung dieser Rechnung - keine Chance. Leichtere Zugangsbedingungen für ausländische Fachkräfte in den deutschen Arbeitsmarkt, auch über die Anerkennung dortiger Abschlüsse, sind der einzige gangbare Weg aus dem Problem, auch das wurde bei der Diskussion angesprochen.

Die Deutschen, heißt das aber auch, graben sich gerade selbst das Grab, indem sie zunehmend auf den rechtspopulistischen Zug aufspringen, der in Europa Fahrt aufgenommen hat und so das Image des Landes als offene Gesellschaft abschaffen. Ein Aspekt, der lediglich zeigen soll, dass es auch ganz andere Faktoren einer Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gibt, der mit mehr oder weniger Zuneigung der Schüler zu den MINT-Fächern durch mehr oder weniger guten Unterricht gar nichts zu tun hat.

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