Wenn Engagement zur Zerreißprobe wird

„Unter Nazis“: Erschütternde und gleichzeitig inspirierende Lesung von Jakob Springfeld an der HBS

mpk

Am Dienstagmittag hatten die Schülerinnen und Schüler der Heinrich-Böll-Schule die Gelegenheit, anstelle des regulären Unterrichts einer besonderen Lesung in der dortigen Aula beizuwohnen: Der junge Autor Jakob Springfeld war zu Gast. 23 Jahre alt, in Zwickau geboren, in Halle studierend (Politikwissenschaft und Soziologie) und schon seit seiner Jugend politisch und gesellschaftlich engagiert.

Mit dabei hatte er sein Buch "Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts", das er zusammen mit dem Journalisten Issio Ehrich verfasst hat. Und mit diesem Buch hatte Springfeld auch seine eigenen Erfahrungen im Gepäck. Oft leidvoll, häufig beängstigend, aber auch immer wieder ermutigend und inspirierend.

Jakob Springfeld eckt seit zehn Jahren häufig in seiner Heimat an, was hauptsächlich daran liegt, dass er immer wieder ins Visier von Neonazis und Rechtsextremen gerät, die sein Wirken und damit ihn selbst verabscheuen. Und die dort präsenter und mutiger zu sein scheinen, als man das in der hiesigen Region gewohnt ist - oder zumindest glaubt man das.

Springfeld berichtet davon, wie seine Eltern 2015 anfingen sich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren und Geflüchtete bei Sprachproblemen und Ämtergängen unterstützten. Ein Engagement, das lokalen Neonazis ein Dort im Auge war und ist. Es dauerte nicht lange, bis die Familie einen Aufkleber der rechtsextremen und neonazistischen Kleinpartei "Der III. Weg" auf ihrem Briefkasten vorfand. Damit war Jakobs Eltern klar: Neonazis in Zwickau haben die Familie auf dem Radar und kennen ihre Adresse. "Ein beschissenes Gefühl", wie es Springfeld nachvollziehbar beschrieb.

2018 gründete Springfeld mit Gleichgesinnten eine Ortsgruppe für "Fridays for Future". Voller Tatendrang fuhr die Gruppe in ihrer Anfangszeit zu einer Kundgebung nach Chemnitz. Dort wurde der Kontrast offensichtlich, den Springfeld während seiner Lesung immer wieder darstellt und der ihn auch in seinem Tun bestätigt: Das Ausmaß, das Gemeinschaftsgefühl, das einende positive und optimistische Engagement zeigt ihm immer wieder, dass überall ein hohes Potenzial zur Bildung progressiver Keimzellen besteht - auch in Städten, die häufig aus genau gegenteiligen Gründen in die Schlagzeilen geraten. Und dann erlebt er auch immer wieder direkte Bedrohungen durch stadtbekannte Neonazis. Die politisch längst nicht mehr nur rassistische und völkische Positionen vertreten, sondern ihren Hass auch gegen Klimaaktivisten richten und seit 2022 auffällig stark ihre Nähe zu Russland demonstrieren. Seit dem Überfall auf die Ukraine sind wehende Russlandfahnen fester Bestandteil rechter Montagsdemonstrationen.

Selbst von Seiten demokratischer Institutionen warten Aktivisten wie Springfeld häufig vergeblich auf Beistand oder Unterstützung. In seiner Heimatstadt Zwickau lebten jahrelang unentdeckt die Haupttäter des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Springfeld und seinen Mitstreitern ist es unter anderem auch ein Anliegen, in Hinblick auf diesen Umstand eine lokale Gedenkkultur zu etablieren. 2019 wurde in Zwickau zum Gedenken an den vom NSU ermordeten Enver Simsek ein Gedenkbaum gepflanzt. Es dauerte nicht lange, bis der Stamm dieses Baumes durchgesägt wurde. Springfeld erfuhr erst durch eine Tagesschau-Meldung über die Zerstörung dieses Baumes überhaupt von dessen Existenz in der Nähe des Gymnasiums, das der damals besuchte. Zahlreiche Schülerinnen und Schüler beschlossen damals daraufhin spontan, in der Mittagspause den zerstörten Baum aufzusuchen und dort eine Gedenkminute abzuhalten. Via Chatgruppe wurde hierzu aufgerufen und eingeladen. Die Reaktionen: Eltern hatten tatsächlich Angst davor, ihre Kinder diese Gedenkminute besuchen zu lassen, weil ihnen womöglich etwas passieren könnte, wenn sie dabei gesehen werden - so weit fortgeschritten ist die Angst vor rechter Gewalt, selbst wenn letztendlich nichts dergleichen passiert ist. Und der Schulleiter nahm Springfeld zur Seite und versuchte, ihn von dieser Idee abzubringen. Es sei keine gute Idee, ein solches Gedenken durchzuführen und die Schule damit zur "Zielscheibe" zu machen.

Allein schon der friedliche Protest gegen die Zerstörung eines Andenkens an ein Mordopfer kann heutzutage also zuweilen schon als potenziell zu gefährlich und unbedacht eingestuft werden. Ein Zustand, mit dem sich Jakob Springfeld nicht zufrieden geben will, und deshalb ist er mit seinen Lesungen intensiv unterwegs.

Die Stadt Hattersheim hat sich mit ihrer Einladung als weitaus engagierter und standfester als beispielsweise die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig erwiesen: Jene untersagte im Herbst des vergangenen Jahres einen Auftritt von Springfeld, weil dieser "zu politisch" sei und es Sicherheitsbedenken "angesichts aktueller politischer Entwicklungen" gebe. Im Gegensatz dazu begründete die Erste Stadträtin Heike Seibert die Einladung von Springfeld gerade damit, dass man in Hattersheim ganz bewusst und gezielt politische Bildung fördern, den Bezug von Gräueltaten des Nationalsozialismus zur Gegenwart herstellen und die Menschen für die Bedeutung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sensibilisieren will.

Kommentare

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.
Sicherheitsprüfung
Diese Frage hat den Zweck zu testen, ob Sie ein menschlicher Benutzer sind und um automatisierten Spam vorzubeugen.
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.


X