Vom Fischerdorf zum Schifferdorf

Tage der Industriekultur: Spannender Stadtteilspaziergang durch Eddersheim mit dem Ersten Stadtrat

In diesem Jahr fand im Rahmen der Tage der Industriekultur der KulturRegion RheinMain eine interessante Führung durch den Hattersheimer Stadtteil Eddersheim statt. Erster Stadtrat Karl Heinz Spengler erzählte - unterstützt von Stadtarchivarin Anja Pinkowsky - dabei einer großen Gruppe von Interessierten einige Dinge, die sogar den Eddersheimern unter ihnen neu waren.

Auch diesmal wurde jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer zu Beginn der Veranstaltung mit einer kleinen „Spaziergangs-Ausrüstung“ versehen: in einem hübschen „Hattersheim-Beutel“ fanden sich nicht nur ein Stadtplan und die erst in diesem Jahr erschienene Festschrift „875 Jahre Eddersheim“, sondern auch ein kleine Flasche Wasser und ein kleiner Proviant für den Weg.

Dem geschichtsaffinen Ersten Stadtrat Spengler (selbst Mitglied im Hattersheimer Geschichtsverein und bei den Okrifteler Geschichtsfreunden) machte es ganz offensichtlich sehr viel Freude, die Gruppe durch den malerischsten Hattersheimer Stadtteil zu führen, zumal er dabei auch viel von dem Hattersheimer erzählen konnte, mit dessen Leben er sich immer besonders gerne beschäftigt hat: dem Erfinder Anton Flettner.

Die Führung startete mit einem Besuch in der Eddersheimer Kirche St. Martin, wo Hermann Josef Häb den Führungsteilnehmern die wichtigsten Details aus der Geschichte des Bauwerkes erzählte und anhand von Abbildungen verdeutlichte. Dabei war etwa zu erfahren, warum die Ausrichtung der heutigen Kirche von der üblichen Kirchenausrichtung abweicht: sie wurde im Zuge von Vergrößerungsmaßnahmen sozusagen „auf eine kleinere Kirche“ aus dem Jahr 1660, deren Altar noch nach Osten ausgerichtet war, „aufgebaut“. „Das Langschiff der alten Kirche ist heute das Querschiff der neuen Kirche“, zeigte Häb der Gruppe. Dennoch sind einige Schätze aus dem 17. Jahrhundert in St. Martin erhalten geblieben – unter anderem eine Gruppe von Leuchtern und Gemälde, welche das Wappen des damaligen Eddersheimer Gönners Hugo von Eltz tragen.

Von Domprobst Hugo von Eltz konnte auch Karl Heinz Spengler beim nächsten Halt der Gruppe vor dem Probsteihof erzählen - wo sich jetzt der neue Kindergarten befindet und auch noch wachsen soll, hielt sich der begüterte Hugo von Eltz gerne auf, ihm gefiel es so gut in Eddersheim, dass er nicht nur Geld für die Kirche bereitstellte, sondern etwa auch für das Pflastern von Straßen.

Dass der generöse Domprobst nicht der erste war, dem es in Eddersheim gefiel, machen etwa Funde aus der Zeit der Bandkeramiker deutlich. „Hier gab es schon vor 7000 bis 6000 Jahren Siedler“, erzählte Spengler, „es wurde schon immer auf guten Lössböden Ackerbau und im Main Fischfang betrieben, der Fluss wurde auch schon immer auch als Wasserstraße genutzt.“ Seine große Bedeutung als Nahrungsquelle hat der Fluss allerdings dann Anfang des 20. Jahrhundert durch seine immer größere Verschmutzung eingebüßt.

Der Erfinder Anton Flettner, geboren 1885, entstammte schon einem Eddersheimer Personen-Schifffahrtunternehmen, welches sein Vater gegründet hatte. Ob sich deshalb viele seiner Erfindungen auch mit Schifffahrtstechnik beschäftigen, kann man heute allerdings nicht mehr sagen. Festhalten kann man allerdings, dass manche seiner Patente auf ihrem Gebiet bahnbrechend innovativ waren, andere heute noch - oder wieder - in Gebrauch sind: so etwa die von ihm entwickelten „rotierenden Walzen-Segel“ oder der kleine Hubschrauber „Kolibri“, der noch immer etwa im Gebirge zum Einsatz kommt. Selbst an Windrädern zur Stromerzeugung hatte der Erfinder schon gedacht.

Anton Flettner forschte auch nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA noch an Hubschraubern und Raketenwaffen, er starb 1961 in New York, er ist als Eddersheimer Ehrenbürger auf dem hiesigen Friedhof beigesetzt.

Beim Gang von der „Flettner-Villa“ am Main (zwar nicht Geburtsort, aber einst Wohnhaus von Flettner) in eines der Fischerviertel Eddersheims erfuhren die Führungsteilnehmer, wie manche der inzwischen liebevoll renovierten Häuser vor der Teilnahme am Hessischen Dorferneuerungsprogramm Anfang der achtziger Jahre ausgesehen haben. Ein damals noch nicht renoviertes Häuschen fällt einem ins Auge - ein winzig kleiner, schlichter Backsteinbau mit einem offenen Dachboden. „Warum ist das denn immer noch so verfallen? Das sieht schon 40 Jahre so aus“, war von den Teilnehmer*innen zu hören. „Das ist das alte jüdische Schlachthaus“, erklärte Karl Heinz Spengler, „das steht mit dem Haus daneben unter Denkmalschutz.“ Nicht nur die Eddersheimer kauften dort einst koscheres Fleisch, auch aus Okriftel und Hattersheim fanden Kunden den Weg dorthin.

Durch die heute malerischen Straßen und Gässchen führte der Weg der Gruppe noch zur Eddersheimer Schleuse und zum Kraftwerk, welche Bedeutung es zu seiner Bauzeit hatte und wie „modern“ dort gebaut wurde - sogar mit eigenen Häusern für Bauarbeiter und Vorgesetzte - wurde dort allen ausführlich erläutert.

Eigentlich sollte die kurzweilige und interessante Führung an der Treppe zur Staustufe bei einem dort „servierten“ Bällchen Eis ausklingen. „Aber der Eismann hat uns versetzt“, berichtete Anja Pinkowsky schmunzelnd, „wir 'mussten' alle wieder zurück in die Eisdiele und dort ein Eis essen.“ Dass der Rundgang den Teilnehmer*innen viel Spaß gemacht hat, machte die Anregung aus deren Reihen deutlich, man möge solche Führungen doch öfter mal durchführen. „Und es wird sicher im Stadtarchiv ein demnächst ein paar mehr Besucher geben“, freute sich die Stadtarchivarin.

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